Jugendbanden in El Salvador

Krieg der Banden

In El Salvador bekriegen sich verfeindete Jugendbanden nicht nur auf offener Straße, sondern auch von den Gefängnissen aus, in denen ihre Mitglieder teilweise lange Strafen absitzen. Die ultrarechte Regierung hat die Jugendbanden bislang nur als ein Problem der inneren Sicherheit betrachtet und sie mit repressiven Maßnahmen bekämpft. Nun verspricht der neu gewählte linke Präsident einen Kurswechsel.

»Am Töten kann man Geschmack finden, es ist wie ein Rausch«, sagt Julio César und grinst herausfordernd. Er wirkt schmächtig, doch sein Strafregister umfasst nahezu alle Gewaltverbrechen. Den ersten Mord beging er mit 14 Jahren. »Damals hatte ich noch keine Pistole, ich hatte nur eine Machete, um einen von der MS13 klein­zuhacken. Das war meine Probe, um von der 18 aufgenommen zu werden.« Die Mara Salvatrucha (MS13) und die Pandilla 18 sind verfeindete Banden, die von den USA bis Zentralamerika die Stadtteile beherrschen und Jugendliche in zwei sich aufs Blut bekriegende Gruppen teilen. Sie sind in Zellen organisiert, Chefs in Los Angeles geben die Stoßrichtung an.
In El Salvador, einem Land, das nicht größer ist als Hessen, sollen die Banden offiziellen Schätzungen zufolge 13 000 Mitglieder haben. NGO gehen sogar von insgesamt 30 000 Bandenangehörigen aus.

Julio César ist einer der 7 500 Häftlinge in den überfüllten Gefängnissen El Salvadors. Seine Tätowierungen ordnen ihn eindeutig seiner Bande zu. »X8«, achtzehn, prangt in römisch-arabischen Zahlen auf seiner Brust. Auf die Frage, ob er ein Anführer der Pandilla 18 sei, lacht er spöttisch: »Nein, nur ein treuer Soldat.«
Julio César wurde im Januar 2008 verhaftet und zu 110 Jahren Gefängnis verurteilt. Eine absurde Strafe, doch die Aussage des Staates ist klar: Hier kommt man nicht mehr raus. Auf 100 000 Einwohner kommen in El Salvador 60 Morde; damit übersteigt die Mordrate um das fünffache ein Szenario, das die Weltgesundheitsorganisation als »epidemisch« bezeichnet. Die ultrarechte Regierungspartei, die Nationalrepublikanische Allianz (Arena), erklärte die Banden zu den Alleinverantwortlichen der ausufernden Gewalt. Im Namen der inneren Sicherheit initiierte Arena in den letzten zwei Legislaturperioden Gesetzesverschärfungen mit den propagandistischen Namen Mano dura und Super mano dura (»Harte Hand« und »Superharte Hand«).
»Diese Politik hat die Problematik der maras sehr komplex gemacht«, sagt Laura Käser von der Stiftung Quetzalcoatl, die Präventionsarbeit unter marginalisierten Jugendlichen leistet. »Nachdem die ältere Generation und die Chefs so massiv weggesperrt wurden, haben sich die Banden neu organisiert. Heute haben die neu eingestiegenen Jugendlichen keine Tattoos mehr und keine kahlrasierten Köpfe. Sie sehen ganz normal aus und sind nicht von anderen zu unterscheiden. Das kommt einer tickenden Bombe gleich.«
Jugendcliquen gibt es in El Salvador seit den siebziger Jahren. Damals waren sie aber nicht zwangsläufig kriminell und nicht in dem Maße organisiert, wie sie es heute sind. Das Phänomen der so genannten maras, wie es im heutigen El Salvador existiert, und sich darüber hinaus auf den gesamten mittelamerikanischen Raum ausgeweitet hat, findet seinen Ursprung im Bürgerkrieg der achtziger Jahre. Soziale Bewegungen, die die soziale Ungleichheit thematisierten, formierten sich unter der immer heftigeren Repression von Oligarchie und Militärregierungen zur Guerilla. Kaum eine Familie war unbeteiligt, entweder war man auf Seiten der Regierung oder der Guerilla involviert und ohnehin von Kämpfen und Bombardements betroffen. Viele Angehörige von Guerilleros flohen damals über Mexiko in die USA, während Angehörige der Todesschwadronen direkt die Green Card von der Reagan-Regierung erhielten.

»Mit meinen Eltern kam ich 1983 nach Kalifornien«, erzählt José Amilcar. Das Bandenmitglied im Gefängnis von Jucuapa hat leicht ergraute Schläfen. Ein Bild, das man nicht oft sieht, denn die meisten überleben nur wenige Jahre das ­gewalttätige Ambiente der maras. »In der Peripherie von Los Angeles waren Menschen aus ­aller Welt zu finden. Die Gringos behandelten uns wie Scheiße, die Schwarzen hatten den ­Drogenhandel in ihrer Hand, und die Mexikaner verprügelten uns. Wir brauchten eine eigene Gang«, erzählt der heute 40jährige.
»In den USA war es für viele Flüchtlingskinder eine Identitätsfrage, in die mara zu gehen«, weiß auch José María Moratalla zu berichten. Der Pater des Salesianerordens arbeitet seit 25 Jahren mit Jugendlichen in den Armenvierteln San Salvadors. »In den Staaten erfuhren sie nichts als Rassismus und gesellschaftlichen Ausschluss. Die mara aber bot ihnen Halt und Zuflucht.« Nach dem Ende des Bürgerkriegs in El Salvador im Jahr 1992 begannen die US-Behörden, sich der wegen Mord, Raub und Drogenhandel in ihren Gefängnissen einsitzenden Salvadorianer zu entledigen. Nach dem Absitzen ihrer Haftstrafe wurden sie nach Süden abgeschoben.

Edgar Ramírez kam mit acht Jahren in die USA. Mit elf war er schon Bandenmitglied. Mit 24 wurde er schließlich wegen eines Raubüberfalls eingesperrt. »Dann schoben sie mich nach El Salvador ab, ein Land, das ich kaum kannte. Eine Tante nahm mich bei sich auf.« Doch sie blieb dem tätowierten, vorbestraften Neffen gegen­über misstrauisch. Arbeit fand Edgar keine, aber die Banden waren ihm vertraut. Heute arbeitet er bei Homies Unidos, einer NGO, die seit 2006 versucht, gegen die alltägliche Gewalt auf der Straße vorzugehen, aber auch die Rechte von Bandenangehörigen in den Gefängnissen einzufordern. Die Homies Unidos bezeichnen sich selbst als »aktive, aber gewaltfreie Mitglieder« der Pandilla 18. Denn sich als Ex-Mitglied zu bezeichnen, als Aussteiger, bedeutet den sicheren Tod durch die eigenen Gefährten. Die mara verlässt man nur durchs Leichenschauhaus.
Wie eingeschworen die Bandenmitglieder sind, verblüfft auch Pater Moratalla immer wieder. »Wir vergeben im Industriekomplex Don Bosco Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätze an 150 Jugendliche. Aber nur an die, die ernsthaft aussteigen und ein neues Leben anfangen wollen«, erzählt der kleine grauhaarige Mann. Doch die Ideologie der Bande sitzt tief. Vergangene Woche habe er einem jungen Anwärter die ganz einfache Frage gestellt, wie alt er sei. »19 minus ein Jahr«, oder: »17 plus ein Jahr«, habe er geantwortet. »Er brachte es einfach nicht übers Herz, die Zahl 18 auszusprechen«, erklärt der Pater, »denn das ist das Kennzeichen der verfeindeten Gang.« Das beweist eine unglaubliche Affinität. »Manche sterben lieber, als diese eine Zahl auszusprechen, die ihnen durch ihre Bande verboten ist.«
Auch Carlos Álvarez bestätigt: »Die maras sind nicht nur einfach Kriminelle. Es ist auch eine ganze Jugendkultur, die sich hinter diesem Phänomen verbirgt, mit ihren Codes, Tattoos, weiten Hosen, Musik und Kultobjekten.« Als Frontmann der salvadorianischen Rockband Santeria verbrachte Álvarez seine gesamte Jugend im subkulturellen Milieu. Als Außenstehender konnte er sich durch seine Musik soweit an die maras annähern, dass er einen direkten Einblick in ihre Welt hat. »Was die Jugendlichen an den Banden so fasziniert, ist das Ambiente, in dem sich die Gruppe bewegt und in dem gemeinsam Erfahrungen gemacht werden. Dort herrscht eine unglaubliche Solidarität. Das ist etwas Einmaliges und für viele Jugendliche sehr anziehend.«
Dass sich eine Jugend in El Salvador meistens durch kollektive Perspektivlosigkeit auszeichnet, wissen die inhaftierten Bandenmitglieder in ­Jucuapa aus eigener Erfahrung.

»Die Kids kriegen kaum Erziehung«, erzählt Rodrigo aus La Unión. Der 23jährige mit einer langen Narbe am Hinterkopf ist Vater von zwei Kindern, hat jedoch wegen seiner Haftstrafe seinen jüngsten Sohn noch nie gesehen. »Im Fernsehen und in der Familie gibt es nur Gewalt als Antwort auf alle Probleme, und die tragen die Jugendlichen dann auf die Straße.«
Im Viertel Mexicanos, einem der größten und ärmsten Stadtteile San Salvadors, betreut der junge Franziskanerpater Antonio Rodriguez mit 75 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen 1 500 Jugendliche aus marginalisierten Familien in verschiedenen Fachschulen. 400 von ihnen sind Bandenmitglieder. »Viele Jugendliche werden in einer 30 qm großen Wellblechhütte ohne fließendes Wasser groß«, erzählt der 31jährige Spanier, der hier seit zehn Jahren arbeitet. »Die Mädchen und Jungen, die hier aufwachsen, haben keine Möglichkeit, viele Jahre zur Schule zu gehen, denn auch wenn der Schulbesuch kostenlos ist, müssen sie Bücher und Busfahrten bezahlen. Es gibt keine Sozialpolitik in El Salvador, und so stellen Jugendliche eine äußerst gefähr­dete Gruppe dar.«
Die Meinung des jungen Paters ist eindeutig: »Die Jugendlichen sind zuallererst einmal Opfer eines gewalttätigen ökonomischen Systems.« An zweiter Stelle seien sie auch Täter. »Es gibt keine Perspektiven für die Jugendlichen hier. Die junge Generation sollte als Lösung, nicht als Problem angesehen werden. Aber Armut wird in diesem Land kriminalisiert, und wer unter 18 ist, gilt sowieso als potenziell kriminell.«
So versuchte die Regierung dem Problem mit einer Null-Toleranz-Politik beizukommen. Polizeitruppen wurden aufgestockt, die Gefängnisse wurden mit Bandenmitgliedern gefüllt, Gesetze wurden verschärft. Das neue Versammlungsverbot grenzt die öffentlichen Räume ein, noch mehr, als dies schon die Angst vor Gewalttaten getan hat. Derweil operieren die Banden aus den Gefängnissen heraus und senden ihre allgemeinen Verhaltensregeln und konkreten Anweisungen per Handy in die Armenviertel. Selbst Regierungsberichte gehen davon aus, dass die Anzahl der Bandenmitglieder seit 2005 um 30 Prozent angestiegen ist.
»Die Regierung hat sich seit 2004 auf eine Po­litik der inneren Sicherheit festlegt«, erzählt Laura Käser. »Die soziale Dimension des Problems der Jugendbanden wird vollkommen ignoriert.« 38 Prozent der Bevölkerung El Salvadors leben nach Angaben der Regierung unterhalb der Armutsgrenze. Unabhängige Statistiken nennen ­jedoch einen weitaus höheren Prozentsatz und stellen den Grundnahrungsmittelbedarf von 350 Dollar dem städtischen Mindesteinkommen von 195 Dollar im Monat gegenüber. In den Supermärkten herrschen US-amerikanische Preisverhältnisse, nachdem 2001 die Dollarisierung des Landes vollzogen und die Landeswährung abgeschafft wurde. Für viele Menschen bleibt nur die Migration, 2,5 Millionen Salvadorianer und Salvadorianerinnen leben in den USA und nur 5,3 Millionen in ihrem Herkunftsland.
Dabei ist El Salvador kein armes Land, sondern zeichnet sich durch eine extreme soziale Ungerechtigkeit aus. Dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) zufolge existiert in El Salvador nach Brasilien auf dem latein­ame­ri­kanischen Kontinent die größte Kluft zwischen arm und reich. Vor einem Jahr wurden die Abgeordnetengehälter um 1 800 Dollar im Monat erhöht, was dem Jahresgehalt einer Maquila-Arbeiterin in den Freihandelsfabriken des Landes entspricht.
Die extremen Gegensätze zwischen arm und reich sind in der Hauptstadt offensichtlich. Im luxuriösen Viertel Escalón sieht man nagelneue Geländewagen, protzige Bankgebäude und gut gekleidete Geschäftsleute. Eine Viertelstunde zu Fuß davon entfernt kämpfen sich bunte qualmende Busse durch schmutzige Straßen mit unzähligen Verkaufsständen, mit denen ein Großteil der Bevölkerung den Lebensunterhalt bestreitet.

»Die Jugendbanden sind eine Rebellion der Armen gegen die Reichen«, so bringt Pater Moratalla seine Meinung auf den Punkt. »Die meisten Jugendlichen in diesem Land haben einfach von Anfang an keine Chance, während fünf Familienclans in einem Jahr mehr Vermögen erwirtschaften als die Summe des gesamten Bruttoinlandsprodukts von El Salvador«, sagt er.
Am 15. März konnte die linke, aus der ehemaligen Guerilla hervorgegangene Oppositionspartei FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí) die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden. Neuer Präsident wird der als kritischer Fernsehjournalist allseits bekannte Mauricio Funes, der im Juni sein Amt antreten wird (Jungle World, 11/09). Seine im Wahlkampf angekündigten, groß angelegten Gesundheits- und Bildungsprogramme haben bei vielen Menschen große Hoffnungen geweckt. Finanziert werden sollen diese Maßnahmen durch einen Wiederaufbau der am Boden liegenden Landwirtschaft und die Stärkung der nationalen Wirtschaft durch eine Integration in den zentral- und lateinamerikanischen Markt.
Offen bleibt jedoch, inwieweit es für den FMLN möglich sein wird, mit einer recht knappen Mehrheit das Land zu regieren. Immerhin sind fast alle Printmedien wie auch die drei großen Fernsehsender, die gemeinsam Einschaltquoten von 90 Prozent erreichen, in den Händen von Arena-Funktionären. Es ist zu erwarten, dass die Medien einen erheblichen propagandistischen Aufwand betreiben werden, um die Politik des FMLN zu diskreditieren. Während die Arena nahezu die gesamte ökonomische und politische Elite der Gesellschaft hinter sich hat, gehören die Anhänger des FMLN der Unter- und Mittelschicht an.
Die Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit und die Einführung einer engagierten Jugend- und Sozialpolitik würde in El Salvador langfristig das Phänomen der Jugendbanden eindämmen können, indem es ihnen ihre soziale Basis nimmt. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg, und die Gewalt, die die Mara Salvatrucha und die Pandilla 18 heute zwischen Los Angeles und San Salvador ausüben, kann nicht mehr einfach eingeschränkt werden. Der Hass sitzt in den Köpfen fest.
»Der eigentliche Feind der Jugendlichen in den Banden ist der Staat, der ihnen die Chance auf ein würdiges Leben verwehrt und ihre Rebellion mit harten Mitteln bekämpft«, beteuert Pater Antonio, der morgens oft an jugendlichen Toten am Straßenrand vorbeigehen muss. »Doch sie kämpfen gegen einen Feind, der leichter greifbar und angreifbar ist: die andere Bande. So bekriegen sich die 13 und die 18 auf’s Blut, obwohl sie im Grunde keine gegensätzlichen Interessen haben. Aber die Konstruktion des Anderen als Feind rechtfertigt ihre eigene Identität und den Kampf um die Macht in den Städten.«
»Glaubt ihr, dass es einmal eine friedlichere Gesellschaft geben wird?« fragt Jorge Alberto Castro von der Stiftung Quetzalcoatl die verfeindeten Bandenmitglieder im Gefängnis von Jucuapa. »Es gab doch mal einen Waffenstillstand zu Weihnachten, und für einen Monat konnten sich alle frei bewegen«, fährt er fort. Die meisten der jungen Männer schweigen und schauen zu Boden. Julio César, der Wortführer der 18, verdreht die Augen und schüttelt verächtlich den Kopf.