die Covention der US-Demokraten in Denver

Mile High

80 000 Zuschauer, 15 000 Journalisten, jede Menge Prominenz und eine Partei, die sich geschlossen hinter ihren Kandidaten stellte. Teils über 3 000 Dollar musste für eine Eintrittskarte ins Stadion von Denver bezahlt werden, wo Barack Obama seine Abschlussrede hielt. Jemand bot für ein Ticket sogar eine Niere.

Montag, 25. August
Vielleicht bilde ich es mir ein, aber die Sicherheitszonen (# 8) werden immer größer. Gehe an der Umleitung vorbei, laufe durch durch eine riesige verkehrsfreie Fläche zur Sicherheitskontrolle. Dann stehe ich in der Schlange für den Parteitag der Demokraten. Wir sind ein Haufen Fremder, die für zehn oder 15 Minuten auf engem Raum zusammengepfercht sind – wie bei einer langen, unangenehmen Fahrt mit dem Aufzug. Was tun? Es stellt sich heraus, dass dies eine gute Gelegenheit ist, Netzwerke aufzubauen, und der Typ vor mir nutzt sie, um einem ausländischen Besucher zu erklären: »Diese Parteitage sind großartig – das letzte echte politische Theater in Amerika«, und er fügt hinzu: »Aber das wissen Sie ja schon.« Dann überreicht er ihm seine Visitenkarte: »Rufen Sie mich an, wenn Sie zurück in DC sind.« Ich bezweifle, dass irgendjemand hier bald zurück in New Hampshire sein wird, wo ich wohne, also schlurfe ich still weiter, bis ich an der Reihe bin. Ich werde mit Schmug­gelware erwischt: der Obstsaft (»Ernährungsergänzung«) aus meinem Willkommenpaket für die Presse. Stürze ihn hinunter (bei täglichem Konsum könnte ich die Erfolge in vier bis acht Wochen sehen!), betrete das Gebäude.
Die Pakete sind voller nützlicher Dinge: Minzbonbons von UPS, die Feuchtigkeitscreme »Welcome to Denver« (von der Wirtschaftskanzlei Hogan und Hartson), ein »Protecting America«-Notradio (# 14), eine große Packung Aspirin und andere Dinge (# 17, # 20). Fröhliche Vertreter von Trojan’s haben sogar Kondome verteilt, aber Essen für hungrige Journalisten gibt es leider nicht. Stelle mich für ein Hühnchensandwich an; wie das Glück so spielt, tritt, gerade als ich meine Bestellung bekomme, Howard Dean, der Vorsitzende der Demokraten, ans Rednerpult, um den Parteitag offiziell zu eröffnen. Ich stehe mit einem Ta­blett (biologisch abbaubar) voller Essen da. Fast gelingt es mir, in die Arena zu kommen, aber jemand tippt mir auf die Schulter, und ich muss die Festlichkeiten auf einem Monitor in der Eingangshalle verfolgen. Macht nichts. Eine der Diskussionen, denen sich die Presseleute dort widmen, dreht sich darum, warum 15 000 Journalisten so viel Zeit und Geld darauf verwenden, von einem Ereignis zu berichten, das, nun, eigentlich kein Ereignis ist. Die Antwort lautet natürlich, dass sie hier sein müssen, solange alle anderen hier sind. Gilt auch für mich.
Ich höre, wie ein Delegierter erklärt, dass ein Anzug zwar schön und gut sei, dass man aber kein Foto von sich in die Zeitungen bekomme, wenn man nicht etwas Auffälligeres trage. Also laufen hier einige Leute in exotischem Outfit (# 4) herum, und die anderen wünschen sich, sie wären früher darauf gekommen. Gehe herum, mache Fotos (# 22). Alles scheint in Ordnung zu sein, aber der Hunger meldet sich wieder, und gerade als ich mich meinem Burger mit Zwiebelringen widme, tritt die Person ans Podium, auf die wir alle gewartet haben: Michelle Obama. Dieses Mal habe ich viel Gesellschaft in der Eingangshalle, und ich gebe mich, nachdem ich mich in einer abgelegenen Ecke auf dem Fußboden nieder­gelassen habe, mit gelegentlichen Blicken auf den Monitor zufrieden.
Der Abend wird mit einem Segen beendet; ich schleiche mich hinunter ins Parkett und geselle mich zu einer Menschenmenge, die sich an einer Bühne versammelt hat, von der live gesendet wird. Cindy Lauper wird interviewt. Hinterher ist sie so freundlich, sich mit mir fotografieren zu lassen. Das Bild ist ziemlich unscharf, und da ich mit meiner Reihe »unscharfe Fotos von berühm­ten Leuten« nicht viel weiter gekommen bin, beschließe ich, mich auf meine neue Reihe »unscharfe Fotos von mir mit berühmten Leuten« zu konzentrieren. Fotografiere das Aufräumen, sammle Souvenirs (# 1, # 13) wandere dann aus der Sicherheitszone.

26. August
In der Hast, meinen Flug nicht zu verpassen, habe ich mein Handy vergessen, aber mit der Hilfe meiner Frau und einiger nervöser, doch freundlicher Postbeschäftigter (wer außer einem Terroristen würde sich ein Päckchen postlagernd zustellen lassen?) bin ich wieder im Geschäft und auf dem Weg in die Innenstadt.
Heute scheint ein besserer Tag an der Prominenten-Front zu sein. Frank Luntz, ein Freund meines Zimmergenossen auf dem College, ist hier. (In den alten Tagen bemühte er sich, meinen Zimmergenossen zum Präsidenten der Studentenvertretung zu machen, dann wandte er seine Aufmerksam­keit den Republikanern zu und half ihnen in den neunziger Jahren, den Senat zu übernehmen.) Er scheint sich nicht an mich zu erinnern, aber er ist bemerkenswert entgegenkommend und posiert für einige Fotos. Dann – nicht dass ich ihn erkannt hätte, aber die Massen scheinen zu wissen, wem man folgen muss – geht der Ex-Basketballer Charles Barkley vorbei, und mir wird klar, dass ich die Pläne, meine »unscharfe Bilder«-Reihe einzustellen, nochmal überdenken sollte.
Bekomme gegen Kameratribünenpass, Führerschein und ein paar Appelle (warum sollte der Bay Guardian gegenüber der ­Jungle World bevorzugt werden?) zwei Parkettpässe (# 15), auch für die Rede von Hillary Clinton, die zur Prime-Time ausgestrahlt wird. Als ich die Pässe endlich bekomme, ist das Parkett feuerpolizeilich geschlossen, aber ich finde einen unbewachten Eingang, schlüpfe hinein und gönne mir das Privileg, mich in eine große Menschenmenge irgendwo in der Nähe des Podiums zu zwängen. Der Vorteil daran, in solch einer Menge zu stehen, ist, dass man sich zurücklehnen kann, ohne zu fallen; der Nachteil ist, dass man, wenn man sich zurücklehnt, um, sagen wir, ein Foto von einem Typ zu machen, der ein Periskop mitgebracht hat, um die Action verfolgen zu können, unweigerlich seine Nachbarn verärgert, die einen unfreiwillig aufrecht halten müssen.
Ich war zu sehr damit beschäftigt, Fotos zu machen, um der Rede zu folgen, aber sie muss ziemlich emo­tional gewesen sein, zumindest für die Frau ein paar Plätze weiter, der am Schluss Tränen übers Gesicht liefen. Die ganze Sache ist sorgfältig darauf ausgelegt, in den engen Zeitrahmen der Fernsehprogramme zu passen, und als sich die Prime-Time ihrem Ende nähert, dünnt die Menge aus. Ich frage mich, ob Hillary Clinton sich genug für die Einheit der Partei eingesetzt hat, um die Diskussionen darüber verstummen zu lassen, ob sie sich genug für die Einheit der Partei einsetzt. Vielleicht liegt es daran, dass ich altmodisch bin, aber ich dachte immer, die Einheit der Partei sei etwas Schlechtes (etwas für kommunistische Parteien), während der freie Austausch von Ideen ein demokratisches Ideal sei. Nun gut. Mache Fotos von Putzkolonnen und von einigen anderen Aktivitäten; fliege auf wegen eines Fotos von einem »Kein Wasser«-Schild auf einem VIP-Kühlschrank; begebe mich zurück in mein Zimmer.

27. August
Es lief gestern nicht gut mit meiner »To-do«-Liste, und jetzt bleiben mir nur noch zwei Tage, um alles zu erledigen. Gehe die Liste noch mal durch: das republikanische »Hauptquartier« besuchen; Sonnenmilch kaufen. Lese in der Zeitung von einem Konzert von Rage Against the Machine, gefolgt von einem Protestzug. Ich bin mir nicht sicher, ob die Ziele der Demonstranten noch mit dem Demonstrationsmotto von gestern übereinstimmen (»zunächst und vor allem die völlige Abschaffung des Staates«; wenn das nichts wird, die Störung des Parteitags). Aber nach zwei Tagen Berichterstattung von offiziellen Ereignissen ist es wohl sinnvoll nachzusehen, was es sonst noch da draußen gibt. Besorge mir ein kostenloses Fahrrad, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Humana (# 16), schwanke einen Moment, ob ich nicht lieber zu einer Diskus­sionsrunde über Richter des Supreme Court gehen soll, und mache mich auf den Weg zum Coli­seum. Verfahre mich ein wenig (# 21), aber glücklicherweise kreist ein Hubschrauber (Polizei? Presse?) in der Nähe, dem ich zu der Menschenmenge folge, die das Konzert gerade verlässt.
Ein Typ mit einem großen Bündel Banknoten verkauft Wasser, und ich kaufe eine Flasche, halte dann inne, um meine Kamera zu zücken: Welch perfekte Mischung aus Obamas Philosophie des »Warum können wir nicht alle einfach miteinander auskommen« und durstigen Anarchisten, die der Sache eines Unternehmers dienen, aber bevor ich meine Kamera aus der Tasche ziehen kann, hat er keine Ware mehr (sogar sein geheimes Lager scheint leer zu sein), und er begibt sich zurück in die Stadt.
Folge der Demonstration in die Innenstadt (# 10, # 7). Verschiedene Gruppen (Polizisten, Demonstranten) möchten sicherstellen, dass ich nicht im Weg stehe, aber alles in allem ist die Situation bemerkenswert ruhig (# 9), insbesondere im Vergleich zu Montag, als ein 80jähriger auf dem Heimweg von der Bibliothek in eine Demonstration geriet und von der Polizei festgenommen wurde (er wurde entlassen, so die Rocky Mountain News, nachdem er seine Ausleihquittung vorgezeigt hatte). An der Spitze marschiert eine Gruppe der Veteranen gegen den Krieg, und die Demonstranten applaudieren und danken ihnen für ihre Dienste. Nach einigen Stunden erreichen wir die (leere) »Freie-Rede-Zone« (die Stadt hat sie raffinierterweise hinter Zäunen, Barrikaden und Sicherheitsabsperrungen versteckt, so dass eine eventuelle Demonstration zwar unter dem wachsamen Auge der Polizei stattfinden, aber nicht von irgendwelchen Zivilisten gesehen oder gehört werden kann. Es gibt ein paar angespannte Momente, als die Gruppe der Veteranen verlangt, Obama einen Brief vorzulesen, und sich weigert, den Ort zu verlassen. Aber dann gibt sie sich damit zufrieden, mit einem Mitarbeiter zu sprechen, und löst sich friedlich auf; es ist nicht klar, ob die von der Polizei versprochenen Anreize (Wasser und Erfrischungen andernorts) den Beschluss irgendwie beeinflusst haben.
Ein weiterer Punkt auf meiner »To-do«-Liste ist, eine Party zu besuchen. Es gibt Hunderte davon, und ich habe mir Sorgen gemacht, dass ich keine Einladungen bekommen habe, aber es stellt sich heraus, dass der Congressional Quarterly Listen von Veranstaltungen mit Informationen über die Zugangsbedingungen abdruckt. Die Partys von Daimler und Maryland scheinen beide offen zu sein; zufälligerweise begebe ich mich zur Maryland-Party und laufe zufälligerweise der Frau über den Weg, die sich wegen des einen oder anderen meiner Nachwirkungsfotos über mich lustig gemacht hat. Dieses Mal ist sie freund­licher; ich biete ihr einen Bissen meines Frühstücks­burritos an, und wir begeben uns zu der irischen Bar, in der die genannte Veranstaltung stattfindet.
Sie erweist sich als erstaunlich ein­schmeich­lerisch: Sie beginnt Unterhaltungen mit so ziemlich allen Leuten auf der Straße, die uns zufälligerweise begegnen, und kurz nach unserer Ankunft haut sie den Generalstaatsanwalt wegen Tickets für die begehrteste Veranstaltung des Abends an. »Hey, Doug, gehst du zu... Hast du noch ein Ticket? Denkst du, du könntest mich reinschleusen? Bist du wirklich der Generalstaatsanwalt?« Aber Doug hat andere Pläne, und wir zwei Parteitagsbesucher mit wunden Füßen und begrenztem Taxigeld bleiben hier und nehmen, was wir kriegen können.
Am Ende unterhalten wir uns mit einem Typ, der für eine französische Atomstromfirma arbeitet (ja, ein Lobbyist). Er hatte tatsächlich VIP-Tickets für die Party du jour, aber nachdem er eine Stunde in der Schlange gestanden hatte, teilte man ihm mit, dass die Feuerpolizei niemanden mehr hineinließ (was denkt diese Feuerpolizei eigentlich, wer sie ist?), außer natürlich die V-VIPs, zu denen der genannte Atomstrom-Befürworter aber nicht gehörte. Er hat einen Abschluss in Publizistik und hat als Journalist gearbeitet, bevor er zu PR wechselte. (Irgendwas mit Familie ernähren.) Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ich auch eine Familie habe, hätte ich mir wohl seine Karte geben lassen sollen, aber er hat mir anvertraut, dass er auch den Parteitag der Republikaner besuchen wird, also sehe ich ihn vielleicht dort wieder.

28. August
Heute ist der große Tag: Obamas Rede im Invesco-Stadion. Demconwatchblog berichtet, dass jemand angeblich 3 650 Dollar für ein Ticket geboten hat, was ausreicht, um einen armen Korrespondenten der Jungle World innehalten zu lassen; auf Craigslist ist es sogar noch dramatischer: Ein junger Mann meint, seine beiden gut funktionierenden Nieren seien »ein bisschen exzessiv«; er bietet eine von ihnen im Austausch gegen Tickets für ihn und seine Freundin. Ich stimme dem Teil mit dem »exzessiv« nicht unbedingt zu; andererseits wären drei Nieren wirklich zu viel. Ich hole tief Luft, stecke meine Pressekarte in den Rucksack und mache mich auf den Weg in die Stadt.
Schaue schnell im Pepsi-Center vorbei (Ort der ersten drei Tage des Parteitags), auf einen Blick hinter die Bühne (# 6), unter die Bühne, und um VI-Unterstützer- und VI-Medien-Souvenirs zu sammeln (# 2, # 23). Esse ein salziges, fettiges, all-amerikanisches Gericht und nehme dann den Shuttle-Bus ins Stadion. VIPs sind überall, und vier Stunden vor dem großen Ereignis füllt sich das Stadion schnell mit Fans von Obama (# 5, # 19). Auf einmal sehe ich ein lächelnden Mann mit einem Judenstern auf seiner Basecap (# 11). Ich gucke ein zweites Mal hin: ein Judenstern? Wer trägt heutzutage sowas noch freiwillig? Er sagt, dass er tatsächlich jahrelang in Konzentrationslagern war und heute sehr glücklich ist, hier zu sein.
Dann erwische ich John Kerry, wie er wehmütig dreinschaut; er erinnert sich (vielleicht) daran, dass der ganze Aufwand vor vier Jahren ihm galt. Jetzt ist das Land über ihn hinweg. Aber gut, vielleicht denkt er auch nur daran, wie schön es ist, ohne all diese Fernsehkameras im Gefolge in den Ferien Windsurfen zu gehen. Egal, er bemerkt, dass ich ihn beobachte, und schaltet schnell in den »Ist es nicht großartig!«-Modus.
Es ist ein warmer Sommerabend, und, nennen Sie mich voreingenommen, es ist ein magischer Moment. Nach Tagen voller Nachrichten, deren Themen von den Republikanern bestimmt wurden, frage ich mich, wie die anderen Journalisten am heutigen Abend reagieren werden: Fällt noch jemandem auf, was mir auffällt? Oder bilde ich mir das nur ein? Obamas Rede, abgesehen von seinen Reaktionen auf die erwähnten republikanischen Themen, ist, zumindest für mich, überzeugend. Er bringt die Dinge auf einen aufrüttelnden, inspirierenden Punkt, gekrönt von Feuerwerk und Konfetti; dann endet die Prime-Time, und ich belausche plappernde Experten, wie gut er auf seine Kritiker geantwortet habe – schon wieder diese Themenwahl.
Eine jener späten Sticheleien aus dem republikanischen Hauptquartier bestand darin, die Bühne, auf der Obama seine Rede hielt (# 3, # 12), zu kritisieren. Es hieß, sie sehe aus wie ein griechischer Tempel, für mich hatte sie eine gewisse Ähnlichkeit mit einem berühmten neoklassizistischen Bau, der in der Hauptstadt eines großen und mächtigen demokratischen Landes als Wohnort des Präsidenten dient. Die Bühnen­mannschaft ist in Eile, das Set abzubauen; fotografiere neoklassizistische Ruinen und sammle Souvenirs (# 18).
Um ein Uhr morgens wartet der Shuttle-Bus, aber der Fahrer besteht darauf, dass er nur Journalisten der NBC-Nachrichten fah­ren soll; 16 von uns suchen sich ihren Weg unter Highways und über Hektare von Parkplätzen aus der sicheren Zone heraus, und zurück zum Pepsi-Center. Ah, die Eigentümergesellschaft.
Lasse die Partys aus; nehme den letzten Bus zurück zu Debra (wo ich die Woche übernachtet habe) und falle ins Bett.
Der Parteitag hat Eindruck gemacht, aber die Republikaner gehen kein Risiko ein. Innerhalb weniger Stunden hat ihn John McCain mit der Nominierung seiner Vizekandidatin aus den Schlagzeilen verdrängt. Und am frühen Freitagnachmittag habe ich schon fünf neue E-Mails von den Republikanern bekommen. Eine zitiert Quellen aus dem ganzen Land, die zum zweiten Mal in einer Woche darüber diskutieren, was ihrer Meinung nach das bessere Bühnendesign ist.

Aus dem Amerikanischen
von Martin Schuster