Archivfunde

Oft waren alte Fotos der Ausgangspunkt für Martin Pollacks literarische Reportagen des Bands »Warum wurden die Stanislaws erschossen?«. Aufnahmen in Schwarz-Weiß aus dem besetzten Polen: Ein Dorf an einem Markttag, nichts Außergewöhnliches, wären da nicht die Frauen und Männer, erkennbar als Juden wegen der Armbinden, die sie tragen. Einträge in Chroniken kleiner burgenländischer Gemeinden im Österreich der Nachkriegszeit, die im geflissentlichen Kleinbürokratendeutsch der Bürgermeister davon berichten, dass es 1955 gelang, »die letzten zwei Zigeunerfamilien (…) wegzubringen«. Was ist mit den Juden aus dem polnischen Dorf passiert? Wohin wurden die Roma aus dem Südburgenland, seit Jahren Pollacks Wahlheimat, gebracht? Fragen wie diese stehen am Beginn der Recherchen.
Anderen Reportagen dieses Bandes (er versammelt Texte aus insgesamt drei Jahrzehnten) liegen wiederum konkrete Rechercheaufträge zu Grunde: Noch als Spiegel-Reporter reiste der Autor 1985 nach Lujbljana, um die homosexuelle Szene der slowenischen Hauptstadt zu beschreiben, später machte sich Pollack nach Weißrussland und in die Ukraine auf, um Menschen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zu porträtieren. Pollack konnte schon mit seinem nüchternen Bericht »Der Tote im Bunker« über die Lebensgeschichte seines Vaters, einen strammen Nationalsozialisten, überzeugen. Auch auf seinen Reisen, in die Persönliches eingelassen ist, begleitet man ihn gern.

Martin Pollack: Warum wurden die Stanislaws erschossen? Reportagen. Zsolnay Verlag, Wien 2008, 229 Seiten, 19,90 Euro