Politische Romantik

Maurice Blanchot, der große Unbekannte der französischen Literatur, versammelte in entscheidenden Momenten fast die gesamte Intelligenz des Landes hinter sich. Seine politischen Pamphlete sind faszinierend und gefährlich zugleich. von stefan ripplinger

Maurice Blanchot (1907 bis 2003) ist vielleicht der wichtigste, jedenfalls aber der einflussreichste Literaturtheoretiker des verflossenen Jahrhunderts. Aber vor der Literatur galt seine Leidenschaft der Politik, oder vielleicht sollte man sagen: der politischen Metaphysik. Der vorliegende Band vereinigt politische Manifeste, Skizzen, Essays von Blanchot. Bereits die ersten Sätze fassen sein Denken mustergültig zusammen.

»In einem bestimmten Moment wissen wir, dass wir uns angesichts der öffentlichen Ereignisse verweigern müssen. Die Weigerung ist absolut, kategorisch. Sie diskutiert nicht und auch ihre Gründe legt sie nicht dar. Sie ist schweigsam und einsam und bleibt es selbst dann, wenn sie sich, wie sie es muss, vor aller Augen behauptet. Die Menschen, die sich weigern und die miteinander durch die Kraft der Weigerung verbunden sind, wissen zugleich, dass sie noch kein Ganzes bilden. Gerade die Zeit für die gemeinsame Bejahung ist das, was ihnen genommen worden ist. Was ihnen bleibt, ist die unbeugsame Weigerung, die Freundschaft dieses sicheren, unerschütterlichen und strengen Neins, das sie vereint und miteinander verbindet.«

Geschrieben werden diese Sätze vor 50 Jahren, kurz nach der Rückkehr des Generals de Gaulle an die Macht. Der General, der das Heil verspricht und die Leere bringt, ist nach dem Marschall Pétain die zweite große Gegenfigur für Blanchot. Hasst der im Verborgenen lebende Schriftsteller das sakrale Gepränge, das sich diese selbst ernannten Retter des Vaterlands geben? – Am meisten hasst er vielleicht, dass es nur Gepränge ist, Pomp, Behauptung. Er bleibt jedenfalls noch bis 1968 auffällig auf de Gaulle fixiert.

Gegen den General entstehen während des Algerien-Kriegs und während der Studentenunruhen zugleich düstere und flammende Pamphlete. Manche von ihnen – so das legendäre Manifest der 121 – werden von der gesamten linken Intelligenzija unterzeichnet.

Es ist bemerkenswert, dass ein eher abseitiges Denken, eine öffentlich unsichtbare Person derart viele Intellektuelle auf die Beine bringen kann. Blanchots politische Metaphysik fasziniert, vielleicht gerade ihrer Gefährlichkeit wegen. Ihre Grundzüge stehen lange vor 1958 fest, die ersten Sätze von »Le refus« (Die Weigerung), in diesem Jahr entstanden, erhellen sie nur noch einmal wie Schlaglichter.

Im Einzelnen: »In einem bestimmten Moment wissen wir, dass wir uns verweigern müssen.« Dieses Denken findet seine Gründe nicht in der Dauer, in der Entwicklung oder der Dialektik, sondern im Ereignis, in der Epiphanie. Plötzlich »wissen wir, dass wir uns verweigern müssen«. Dieses Denken kennt kein Abwägen, keine umständliche Prüfung, es setzt auf unmittelbare Evidenz. »Die Weigerung diskutiert nicht und auch ihre Gründe legt sie nicht dar.« Da es keine Reflexion gegeben hat, bedarf es auch nicht mehr der Erläuterung. Gerade weil Blanchot seine »Weigerung« vor dem Absinken ins Geschwätz bewahrt, erspart er ihr auch die Kritik.

Wenn das Politische die Sphäre der Vermittlung ist, ist die Blanchotsche Weigerung apolitisch, unvermittelt, abrupt. Im selben Pamphlet bringt er dafür den Begriff des »Bruchs« (rupture) ein. Das wäre eine bloße Desperado-Philosophie, balancierte Blanchot den Voluntarismus nicht aus, indem er die Weigerung zur Sache einer geheimen Gemeinschaft macht. Zwar bildet diese kein Ganzes, ist also weder Partei noch Bewegung. Doch verbindet ein »strenges Nein« die Verweigerer zu einer diskreten Freundschaft. In einem Brief an Jean-Paul Sartre wird Blanchot von einer »gewissen anonymen Gemeinschaft von Namen« sprechen.

Immer wenn sich dieses Paradox verwirklichen lässt, wenn sich also Namen namenlos vereinigen, sieht Blanchot die Stunde seines klandestinen Kommunismus gekommen. Das ist in der Résistance der Fall, als schweigsame, strenge, entschlossene Weigerung gefordert ist. Es ist erneut der Fall, als General de Gaulle die Widerstände gegen seine Algerien-Politik niederkartätschen lässt und auch die Folter wieder in den Gebrauch kommt. Und schließlich bietet 1968 idealen Nährboden für dieses Denken, Namen gelten nicht mehr viel, Kollektive alles. Im Schutze dieser Anonymität verfasst Blanchot einige seiner stärksten Texte. Seine politische Metaphysik erstrahlt stets nur im Ausnahmezustand.

In den manchmal quälend langen Zwischenzeiten wirkt sie dagegen deplatziert, ja komisch. Seine aus den frühen Sechzigern stammenden Entwürfe für eine internationale Zeitschrift sind durchweg brillant, aber ihr programmatischer Chiliasmus befremdet. Eine »Zeitenwende« stehe kurz bevor – ein geringerer Anlass für die Herausgabe einer Zeitschrift kommt für ihn wohl nicht in Frage. Sartre hat nicht die geringste Lust, zugunsten dieses hoch fliegenden Vorhabens seine Temps modernes einzustellen, und die in Erwägung gezogenen deutschen Mitarbeiter – neben dem von Blanchot geschätzten Uwe Johnson u.a. auch H. M. Enzensberger, Günter Grass und Martin Walser – verstehen wohl nicht mehr als Bahnhof. Blanchot zahlt mit dem Scheitern des Projekts für seine Weltfremdheit.

Um sein politisches Denken ganz zu erfassen, fehlen in dem von Marcus Coelen herausgegebenen Sammelband nicht nur separat erschienene Essays wie »La communauté inavouable« (Die uneingestehbare Gemeinschaft) und »Les intellectuels en question« (Die in Frage gestellten Intellektuellen), es fehlen vor allem Blanchots faschistische Artikel aus den dreißiger Jahren.

Ohne diesen Faschismus mit antideutschen Vorzeichen (s. Jungle World 17/1998) ist aber der ganze Mann nicht zu begreifen, seine späten, dem Freund Emmanuel Lévinas verpflichteten Essays und Einlassungen so wenig wie sein Kommunismus. Bevor Georges Bataille und Dionys Mascolo sein politisches Denken formen, steht es unter dem Einfluss von Maurice Barrès. Aber ob sie nun von rechts oder von links kommt, bewahrt sich die politische Romantik doch stets ihre Vorliebe für das ahistorische Ereignis, die apolitische Unvermitteltheit und für das Einschmelzen des Subjekts in eine verschworene Gemeinschaft, und sie pflegt, so oder so, ihre Zweifel gegenüber Argument, Diskussion im Besonderen und Vernunft im Allgemeinen. Blanchot ist ein politischer Romantiker vor dem Holocaust und er bleibt es auch danach.

Zwar verschwinden alle genuin faschistischen Aufladungen aus den nach 1942 entstandenen Schriften – aus der Anbetung der Stärke wird eine Parteinahme für die Schwachen, aus Rassismus entschiedener Antirassismus, aus Einheit und Nation Zersplitterung und Internationalismus –, aber ihre romantische Rhetorik erhält sich. Gerade das verhindert, dass sie veralten. Aus nur wenigen, immer neu geschärften Begriffen entsteht eine durchaus anstößige politische Philosophie, die ihre Anlässe paradox genug fasst, um sie zu überdauern.

Maurice Blanchot: Politische Schriften 1958-1993. Übers. u. hg. v. Marcus Coelen. Diaphanes, Zürich und Berlin 2007, 190 Seiten, 19,80 Euro