My Container is over the Ocean

In Wilhelmshaven hat der Ausbau des einzi­gen deutschen Tiefwasserhafens begonnen. Vor allem wegen der expandierenden Geschäfte mit China und anderen asiatischen Ländern lässt sich mit der Containerschifffahrt viel Geld verdienen. von lutz getzschmann

Wilhelmshaven ist eine mittelgroße Stadt an der Nordsee. Bemerkenswertes gibt es dort kaum, weder der Tourismus noch der Hafen bringt das große Geld. Das soll bald anders werden – mit dem »Jade-Weser-Port«, einem neuen Containerterminal draußen im Watt für die größten Handelsschiffe der Welt, das die Stadt neben europäischen Großhäfen wie Rotterdam und Hamburg etablieren soll.

So heißt es seit zehn Jahren schon. In einem aufwändigen Verfahren ließ die Betreibergesellschaft die beiden in Frage kommenden Städte Wilhelmshaven und Cuxhaven jahrelang von der Beratungs­firma Roland Berger auf ihre Tauglichkeit für einen solchen Ausbau prüfen. Die Wahl fiel auf Wilhelmshaven. Damit begann die endlose Auseinandersetzung um Bauaufträge und Beteiligungen, denn bei dem Prestigeprojekt der Länder Niedersachsen und Bremen geht es um viel Geld. In dieser Woche haben die Vorarbeiten auf der Baustelle begonnen – trotz der weiter andauernden Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit der Ausschreibungen. Die Rodungen für die Straßenanbindung müssten bis Ende Februar, dem Beginn der Brutzeit der Vögel, abgeschlossen sein, teilte die Realisierungsgesellschaft am Freitag mit.

Der neue Jade-Weser-Port soll nach dem Willen der Betreibergesellschaft Eurogate spätestens im Jahr 2010 in Betrieb gehen. Ob der Zeitplan eingehalten werden kann, ist fraglich, denn ursprünglich sollte der Bau bereits im Jahr 2006 beginnen. Doch erst im März 2007 konnte der Planfeststellungsbeschluss für den Tiefwasserhafen übergeben werden. Die Bearbeitung von fast 3 000 Stellungnahmen und Einwendungen hatte zu den Verzögerungen geführt.

Der Bauauftrag war zunächst an ein Konsortium um das Unternehmen Hochtief vergeben worden. Dagegen legte die Papenburger Baufirma Bunte erfolgreich Klage ein und erhielt im vergangenen September selbst den Zuschlag. Inzwischen verlangt die Firma Bunte von der Realisierungsgesellschaft jedoch 65 Millionen Euro mehr als zunächst veranschlagt. Die Verzögerung des Baubeginns habe zu höheren Personal- und Materialkosten geführt, erklärte der Geschäftsführer Manfred Wendt. Sollte der erste Rammschlag noch länger auf sich warten lassen, könne die Summe noch steigen.

Die Opposition vermutet, dass bei der Vergabe des Auftrags über 480 Millionen Euro manipuliert wurde. Hingegen erklärten Niedersachsens Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) und andere Mitglieder der Landesregierung wiederholt vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages in Hannover, die Vergabe des Auftrags sei rechtens und transparent erfolgt.

Nicht nur angesichts dieses Gezerres könnte man sich fragen, warum überhaupt so viel Geld in den Ausbau eines Containerhafens investiert wird. In den vergangenen Jahren konnte man doch eher den Eindruck gewinnen, die Arbeitsplätze in den Häfen und Werftanlagen Norddeutschlands seien längst verloren, die Handelsschifffahrt sei fest in der Hand von Reedereien, die ihre Schiffe mit Vorliebe unter liberianischer Flagge fahren lassen und philippinische Seeleute zu Hungerlöhnen beschäftigen. Haben vor diesem Hintergrund norddeutsche Häfen überhaupt eine Chance?

Offensichtlich ja, denn das Handelsvolumen, von dem auch deutsche Reeder etwas abbekommen wollen, ist in den vergangenen Jahren deutlich größer geworden. Die internationale Containerschifffahrt zählt zu den Wirtschaftszweigen mit den größten Zuwachsraten. Zwischen 1990 und 2005 expandierte der Containerhandel in den Seehäfen der Welt um durchschnittlich knapp zehn Prozent pro Jahr. Damit übertrifft die Branche deutlich das Wachstum des internationalen Luftverkehrs.

Auch in den nächsten Jahren wird sich, so die Prognosen, das Wachstum der internationalen Containerschifffahrt mit nur leicht verminderter Dynamik fortsetzen. Wachstumsraten von neun Prozent beim Containerumschlag werden bis 2015 vorhergesagt. Im innerasiatischen Verkehr sowie auf den Routen von Nordamerika bzw. Europa nach Asien ist mit der größten Expansion zu rechnen. Dagegen dürfte der Verkehr zwischen Nord­amerika und Europa weniger stark wachsen.

Heute liegen von den 25 größten Container­häfen der Welt 16 in Asien, sechs in Europa und nur drei in Nordamerika. Unter den zehn größten finden sich Rotterdam an siebter und Hamburg an neunter Stelle. Drei der vier größten Containerhäfen der Welt liegen in China. Sie wachsen nach wie vor und haben bereits unfassbare Dimensionen erreicht. So stieg der Containerumschlag in Shanghai von 1996 bis 2005 um knapp 820 Prozent, in Shen­zhen sogar um 2 650 Prozent. Allein der Zuwachs dieser beiden Häfen in den vergangenen drei Jahren ist größer als der gesamte jährliche Umschlag in Hamburg. Das Wachstum wurde durch einen enormen Ausbau der Kapazitäten in diesen Häfen ermöglicht.

Hierin spiegelt sich die wachsende Bedeutung Chinas im Weltkapitalismus wider. Aber den beeindruckenden Zahlen zum Trotz ist es nicht ganz unwichtig, darauf zu achten, welche Länder in das Netz der Containerschifffahrt und damit in den internationalen Warenverkehr am stärksten eingebunden sind. Und auf diese Frage gibt es eine überraschende Antwort: Seit 2007 sind nur noch China und Hongkong besser als Deutschland in das weltweite Netz der Containerschifffahrt eingebunden. Das zeigt der Liner Shipping Connectivity Index, den die Welthandelskonferenz (Unctad) ermittelt.

Die Bewertung basiert auf mehreren Kriterien: Zahl, Kapazität und maximale Größe der in den Häfen von 160 Ländern abgefertigten Containerschiffe, die Zahl der vertretenen Reedereien und der Länder, zu denen direkte Linienverbindungen bestehen, sowie die Qualität der Hinterlandverbindungen. Dass Deutschland von Platz sieben im Jahr 2006 auf Platz drei vorrücken konnte, begründen die Schifffahrtsexperten der Unctad damit, dass mehr Asien-Dienste eingerichtet und größere Schiffe eingesetzt wurden. Das bedeutet, dass die deutsche Werftindustrie und Containerschifffahrt ihren Aufschwung zu beträchtlichen Teilen dem Wachstum der chinesischen Industrie verdanken. Die Niederlande schnitten in der Wertung für 2007 ebenfalls besser ab als im Vorjahr und landeten auf Platz fünf. Belgien, Großbritannien und die USA fielen dagegen zurück.

In einem Beitrag für Labournet schrieb Winfried Wolf im Juni 2007 über die wundersame Wandlung der deutschen Handelsschifffahrt und Werftindustrie von der Abbruchruine zum Global Player im internationalen Transportsektor. Erstaunlicher noch als die deutschen Häfen hätten die deutschen Werften, die noch in den neunziger Jahren nicht als konkurrenzfähig galten, expandiert. So hätten sich ihre Auftragsbestände von 2002 bis 2006 mehr als verdoppelt, und die Zahl der vom Stapel gelaufenen Schiffe sei von 119 auf 230 gestiegen. »Zwar sind inzwischen bei den Massenfertigungen die Werften in Südkorea, Japan und China führend, doch die deutschen Werften spielen eine maßgebliche Rolle im Spezialschiffbau. Vor allem aber ist die deutsche Werftenzulieferindustrie – u.a. im Bereich des Schiffmotorenbaus – weltweit führend.«

Von nichts kommt nichts, und es erweist sich auch hier wieder, dass der gerade von vielen Linken als weitgehend machtlos angesehene Staat nach wie vor einen wesentlichen Anteil daran hat, die deutschen Kapitalinteressen zu fördern. Oder, wie Wolf es in besagtem Artikel ausdrückt: »Die neue hervorgehobene deutsche Position im weltweiten maritimen Komplex ist nicht das Ergebnis purer Marktkräfte. Es ist der deutsche Staat, der diese Entwicklung fördert und der eine aktive Industriepolitik betreibt, wie sie angeblich im Zeitalter der Globalisierung keinen Platz mehr hat bzw. wie sie nach gängiger Leseart nur von Ländern mit einer sehr spezifischen Tradition, so von Frankreich, betrieben wird.«

Rund 90 Prozent aller Waren, die zwischen Europa, Asien und Amerika transportiert werden, kommen auf dem Seeweg an ihr Ziel, zumeist verpackt in den normierten stählernen Kisten. Auch die Schiffe, die die Waren über die Weltmeere transportieren, werden immer größer. Handelsschiffe mit Platz für 7 000 Container und mehr sind keine Seltenheit mehr – und Ingenieure tüfteln schon an der nächsten Generation von Schiffen mit Platz für 10 000 Standardcontainer. Die riesigen Schiffe werden meist in Südkorea gebaut und von den Auftraggebern ver­chartert. Seit Jahren haben sich vor allem deutsche Investoren im Neubau von Schiffen engagiert und so inzwischen die größte und modernste Container­flotte der Welt geschaffen.

Wer Containerschiffe bauen lässt, braucht vor allem Kapital. Eines von ihnen kann 70 Millionen US-Dollar und mehr kosten. Die größten Werften, auf denen die Schiffe zusammengeschweißt und mit moderner Elektronik ausgerüstet werden, sind zwar in Asien zu finden, aber der wichtigste Ort für die Finanzierung der Schiffe ist Hamburg. In Deutschland ist eine Reihe von Gesellschaften darauf spezialisiert, die gewachsene Nachfrage großer Linienreedereien zu befriedigen. Im Idealfall konzipiert eine solche Gesellschaft das Schiff nach den Bedürfnissen des Bestellers, gibt einer Werft den Auftrag zum Bau, sichert die Finanzierung, schließt möglichst langfristige Charterverträge, sucht die Mannschaft aus und betreut die Technik. Das gesamte Geschäft konzentriert sich mitt­lerweile bei wenigen internationalen Konzernen, zu denen Werften, Reedereien und Hafenbetreiber infolge von Unternehmenskäufen zusammengewachsen sind.

Der Bau des Jade-Weser-Ports in Wilhelmshaven ist somit Bestandteil eines größeren Restrukturierungsprozesses. Deutsche Reederei-, Hafen- und Finanzkonzerne nutzen den Entwicklungsschub im Weltwirtschaftssystem, um sich im Konkurrenzkampf der Staaten und Konzerne durchzusetzen – mit dem Ziel möglichst großer Profite.