Arbeiten, wo die Elche wohnen

Keine Arbeit, keine Anerkennung, keine Perspektive: Deutsche Bauarbeiter in der Jobkrise sind die Protagonisten der Auswandererkomödie »Der Letzte macht das Licht aus«. Von Kim Bönte

Rasenmähen an der Autobahn als staatliche Maßnahme, einen Job auf dem Bau finden oder auswandern – das sind die Möglichkeiten, zwischen denen sich Silvio Waschke entscheiden muss. Und so steht der arbeitslose Bauschreiner schon bald mit anderen erwerbslosen Handwerkern bällchenwerfend im Kreis und muss, wann immer er dran ist, sagen: »Jeg heter Silvio og kommer fra Tyskland.«

Das Spiel ist allerdings keine Beschäftigungstherapie für gelangweilte Jobsuchende, sondern Teil einer amtlichen Maßnahme. Denn Silvio hat sich entschieden, nach Norwegen auszuwan­dern. »Sechs Wochen Urlaub, Festanstellung, dreifaches Gehalt«, lautete das Angebot der Sach­bearbeiterin; es anzunehmen, fiel dem 39jährigen nicht schwer.

Schließlich lag eine deprimierend erfolglose Arbeitssuche auf diversen Baustellen hinter ihm. Wie im Märchen von den Bremer Stadtmusikan­ten meinte Silvio irgendwann auch, dass etwas Besseres überall zu finden sein dürfte.

»Der Letzte macht das Licht aus« ist der Titel einer Komödie, die sich mit dem Auswandern beschäftigt. »Mir ging es darum, Leute zu zeigen, die in meinem Alter sind und die plötzlich mitten aus ihrem Leben gerissen werden, denn sie wandern ja nicht aus Abenteuerlust aus, sondern weil der Druck so groß ist«, sagt Knud Kohr, der gemeinsam mit Regisseur Clemens Schönborn das Drehbuch für den Film geschrieben hat.

Mit Aussteigerromantik habe das Ganze nichts zu tun, »wir wollten zeigen, wie das ist, wenn man im mittleren Alter noch einmal neu startet, weil die einzigen Möglichkeiten lauten: weiter arm sein in Deutschland oder nochmal los und in die Prärie reiten«.

Kohr, selbst »in einem Handwerkerhaushalt aufgewachsen und deswegen sehr vertraut mit dem Problem«, sieht den Film als eine Social Comedy, die gleichzeitig unterhält »und einen ernsten Aspekt beleuchtet: Es geht um Männer, die in ihrer Lebensmitte gesagt bekommen, dass sie hier keiner mehr braucht.«

Wie wenig diese Männer gebraucht werden, zeigt der Aufwand, den die staatlichen Stellen betreiben, um sie loszuwerden. Silvio und die anderen potenziellen Auswanderer werden in Kursen ausgiebig auf Norwegen vorbereitet und drei Monate fürs Lernen der neuen Sprache bezahlt. Nicht alle werden am Ende auch wirklich umziehen, für die Ämter ist aber jeder Einzelne, der seine Koffer packt, ein Erfolg, weil er nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik aufgeführt wird.

»Leute wegschicken, die oft gar nicht erfassen können, auf was sie sich da einlassen, das kann nicht die Lösung sein. Wenn man ehrlich ist, dann gibt es auch gar keine Lösung, sondern nur indiskutable Ideen wie die irgendwelcher rechten Rattenfänger«, sagt Kohr. Der Film könne nur beschreiben, »zum Beispiel auch die Entsolidarisierung auf dem Bau. Die einen kom­men nach Deutschland, um für lächerlich wenig Geld zu arbeiten, und die anderen, die Angst um ihre Jobs haben, hetzen ihnen die Polizei auf den Hals, ohne sich zu fragen, warum die Leute ihr Land verließen, um woanders ihren Lebensunterhalt zu verdienen.«

Immerhin: Den deutschen Bauarbeitern wird man in Norwegen nicht vorwerfen, sie würden anderen die Arbeit wegnehmen, was wohl auch daran liegt, dass sie fast ausschließlich in Re­gionen beschäftigt sein werden, aus denen die jungen Einheimischen nach der Ausbildung so schnell wie möglich wegziehen.

Der Traum vom aufregenden Nachtleben in Oslo platzt für Silvio und die anderen schon während des Sprachkurses. Nordnorwegen wird ihr Ziel sein, dort, wo die Natur zwar ganz besonders skandinavisch aussieht, aber in den lan­gen Wintermonaten auch völlig im Dunkeln liegt. »Sechs Monate Polarnacht, denk doch mal an die Stromkosten. Und immer Lachs. Ich hasse Lachs«, sagt denn auch die Frau des ehemaligen Baustellenleiters Norbert im Film.

Und benennt damit die wenigen Vorurteile über Norwegen, das für die meisten Deutschen eigentlich so eine Art Paradies mit Elchen ist. Die Klischees vom idyllischen Land mit nahezu unbegrenztem Reichtum, unberührter Natur und extrem niedriger Arbeitslosenquote stimmen natürlich nicht, wie Auswanderungswilligen in den einschlägigen Jobforen immer wieder von denjenigen erzählt wird, die schon länger in Skandinavien arbeiten. Die Mieten sind exorbitant hoch, in manchen Gegenden terro­risieren Nazi-Banden alle, die nicht in ihr Weltbild passen, und die Gefahr, ganz allgemein Opfer von Gewalt zu werden, ist nicht signifikant niedriger als in deutschen Innenstädten.

Dazu kommt, dass Deutsche in Norwegen nicht sonderlich beliebt sind. Sie gelten als nervige Touristen, über deren seltsames Verhalten im Sommer in Zeitungskolumnen und Fern­sehbeiträgen viele Witze gemacht werden. Das Schlagwort tysk bobil, deutsches Wohnmobil, reicht, um den einheimischen Lesern und Zuschauern klarzumachen, worum es geht: Reisende, die nicht nur die Komplettverpflegung für den dreiwöchigen Urlaub aus Deutschland mitgebracht haben, sondern häufig auch einen Kühlanhänger. Darin werden die geangelten Lachse eingefroren und nach Deutschland geschafft, wo sie dann verkauft werden.

Wer nicht angelt, der will typisch Norwegisches erleben, und wie das aussieht, davon hat der deutsche Tourist ganz klare Vorstellungen. Das erlebt beispielsweise ein in Oslo geborener schwarzer Student immer wieder, der in den Semesterferien als Fremdenführer arbeitet. Deut­sche Urlauber reagierten extrem feindselig auf ihn, berichtete er der Zeitung Dagbladet, und wollten häufig gar nicht glauben, dass er wirklich ein »richtig echter« Norweger sei. Sie schienen im Gegenteil zu denken, dass sie »mit irgendeinem billigen Ersatz abgespeist werden, und guckten neidisch auf andere Gruppen, die einen blonden Fremdenführer erwischt haben«.

Silvio und den anderen Handwerkern dürfte vollkommen egal sein, was man in Norwegen von ihnen hält. Ihre Geschichte endet mit dem Aufbruch der meisten aus der Gruppe nach Skan­dinavien, und es wird, so Kohr, wohl kaum eine Fortsetzung à la »Der Letzte macht das Licht aus, Teil 2« geben.

»Ich glaube nicht. Wir wurden darauf angesprochen, aber da müssten dann allein schon alle Schauspieler wieder mitmachen, was nicht so einfach wäre. Und es geht ja im Film nicht um Norwegen, sondern darum, aus der Heimat gerissen zu werden.«

Außerdem beschäftigen sich im Fernsehen gleich mehrere Doku-Soaps damit, wie es deutschen Auswanderern in der neuen Heimat ergeht. Wie viele dann tatsächlich nicht zurecht- und wieder zurückkommen, ist übrigens nicht bekannt.

»Der Letzte macht das Licht aus«. Regie: Clemens Schönborn. Buch: Clemens Schönborn/Knud Kohr. Darsteller: Jürgen Tarrach, Wolfram Koch, Mario Irrek. Start: 24. Januar