Wunderbare Welt der Einbauküche

Margarete Schütte-Lihotzky, österreichische Architektin und Kommunistin, kann mit ihren billigen Einbaumöbeln als frühe Wegbereiterin von Ikea gelten. Die Ausstellung »Ich bin keine Küche« beschäftigt sich mit ihrer Biografie, ihrem Werk und ihrem widersprüchlichen Vermächtnis. Von Jutta Sommerbauer

Es sind die von Hand gezeichneten Tabellen und minutiösen Pläne, die die Blicke der Ausstellungsbesucher auf sich ziehen. Tabellen, die über die richtige Höhe von Arbeitsflächen zentimetergenau Auskunft geben, damit möglichst wenig Kraft bei der Küchenarbeit aufgewendet werden muss. Grafiken von den komplizierten Wegen der Hausfrau in einer normalen Küche und von der »Weg­erspar­nis« in der modernen Einbauversion. Detaillierte Pläne eines »Detklub« – eines Freizeitclubs für Kinder – in der ostrussischen Schwerindustriestadt Magnitogorsk.

Diese und andere Stücke aus dem Nachlass der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky werden derzeit in einer Ausstellung der Universität für angewandte Kunst in Wien unter dem Titel »Ich bin keine Küche« gezeigt. Die Arbeitsunterlagen offenbaren eine tiefe Überzeugung ihrer Verfasserin: dass Design, Architektur und Stadtplanung dazu da seien, das Leben ihrer Nutzer zu erleichtern; dass Geplantes praktisch und zu bezahlen sein müsse. Programmatisch gesagt: dass Architektur eine soziale Aufgabe zu erfüllen habe.

Margarete Schütte-Lihotzky gilt als die erste österreichische Architektin. Von 1915 bis 1919 absolvierte sie als erste Frau die k.u.k.-Kunstgewerbeschule in Wien. Ihre Lehrer – die Architekten Oskar Strnad und Heinrich Tessenow – stellten ihr ein gutes Zeugnis aus. »Fräulein Lihotz­ky« habe sich, heißt es in einem Jahreszeugnis, »ausdauernd verwendet, lobenswert verhalten und einen vorzüglichen Fortgang erzielt«. Entgegen dem Wunsch ihrer Familie hatte sie Architektur studiert – und nicht einmal sie selbst war zu Beginn überzeugt, dass sie den Beruf der Architektin ausüben würde können. »1916 konnte sich niemand vorstellen, dass man eine Frau damit beauftragen wird, ein Haus zu bauen – nicht einmal ich selbst«, sagte sie anlässlich ihres 100. Geburtstags.

Die Verbesserung der Lebensverhältnisse durch »demokratisches Design« war zeitlebens ihr Programm. Als junge Frau ging sie selbst in Arbeiterviertel und lernte dort Menschen kennen, die zu acht in einem Zimmer leben mussten. Aus diesen Erfahrungen entwickelte sie ihre Entwürfe. Praktisch, funktional, billig und der Moderne verpflichtet – so lautete ihr Anspruch, zusammengefasst in den Worten: »Jeder Millimeter macht Sinn.«

In den Zwanzigern plante sie gemeinsam mit dem Architekten Ernst May sozialen Wohnungsbau in Frankfurt – und entwickelte dort in der Typisierungsabteilung des Hochbauamts das Konzept einer multifunktionalen Einbauküche, der so genannten Frankfurter Küche: Zwischen 1926 und 1930 wurden über 10 000 Frankfurter Gemeindewohnungen mit ihr ausgestattet. Schütte-Lihotzky, die Küchenerfinderin: Gegen die Reduktion ihrer Arbeit auf dieses Bild wehrte sie sich später – vergeblich. »Ich habe«, versuchte sie noch in den Neunzigern klarzustellen, »die Küche als Architektin entwickelt, nicht als Hausfrau.«

1930 ging sie mit May für Großaufträge nach Russland – es sollte ein prägender Aufenthalt werden. Bis 1937 war sie an städtebaulichen Projekten beteiligt, die gleichzeitig mit dem Aufbau der Stalinschen Schwerindus­trie entstanden. Die Architektin beteiligte sich an der Planung der sozialen Infrastruktur des Großreichs: Kindergärten, Kinderkrippen, Freizeitclubs.

1940 kehrte sie – damals bereits im sicheren Istanbul lebend – freiwillig nach Wien zurück, mit einem besonderen Auftrag: den kommunistischen Widerstand in Österreich zu organisieren. Nach wenigen Wochen wurde sie von der Gestapo verhaftet. Sie hatte Glück im Unglück: Der ursprüngliche Antrag der Staatsanwaltschaft auf Todesstrafe wurde in eine 15jährige Haftstrafe umgewandelt, die sie im Gefängnis Aichach in Bayern bis zur Befreiung 1945 absaß.

Ihre Freude über das Ende des »Dritten Reichs« war groß – doch blieb Schütte-Lihotzky im Nachkriegsösterreich zeitlebens der Erfolg als Architektin verwehrt. Sie selbst sprach immer von einem »Berufsverbot«, das über sie verhängt worden sei, über die Parteikommunistin und – bis zuletzt – Verteidigerin von Stalin. Dafür plante und lehrte sie in Kuba, Bulgarien und der DDR – abermals hatte das sozialistische Lager mehr Bedarf an ihrer kommunalen Infrastruktur als ihr Herkunftsland, in dem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zumindest in den fünfziger und sechziger Jahren noch kein Thema war.

Schütte-Lihotzkys Programmatik wirft noch heute Fragen auf: Fragen nach dem Wesen des »demokratischen Designs« zwischen emanzipatorischer Absicht und paternalistischer Bevormundung. »Leistbarkeit für alle« ist im Ikea-Zeitalter zu einem simplen Werbespruch verkommen, der emanzipatorische Anspruch irgendwo im globalen Kapitalismus – zwischen Kinderarbeit, Geschmacksnormierung und Umweltverschmutzung – verloren gegangen. Bezahlbares Design ist also nicht unbedingt demokratisch, weder in den Produktionsbedingungen noch in der Handhabe.

Oder ist es so einfach zu beweisen, dass sich die Hausfrauen mit Hilfe der praktischen »Füllbüchsen« aus der Frankfurter Küche – im Gegensatz zu altmodischen Papiersäckchen zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln – allesamt selbst ermächtigt haben? Das ist der Moment, in dem die Nutzer und ihre Partizipation ins Spiel kommen. Schütte-Lihotzky glaubte noch zu wissen, für wen sie ihre Architektur entwickelte und Gebäude errichtete. Die Nutznießer der sozialen Architektur waren klar definiert: die selbständige Frau, der Arbeiter, die finanzschwache Familie. Aus heutiger Sicht ist auch das freilich eine »paternalistische Art von Architektur«, wie der Architekturkritiker Robert Temel sagt. Mitbestimmen und an der Gestaltung mitverhandeln konnten auch die Bewohner von Schütte-Lihotzkys Bauten nicht.

Eigentlich, sagt die Designexpertin Tulga Beyerle, hafte Schütte-Lihotzkys Gedanken der Effizienzsteigerung und Vereinfachung der Arbeitsabläufe »etwas sehr Kapitalistisches« an, das sie unter ihrem sozialen Anspruch der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen subsumiert habe. Aus der Möglichkeit für Frauen, Beruf und Familie zu vereinbaren, ist etwa heute eine alltägliche Anforderung geworden. Schütte-Lihotzkys Traum einer sozialen Moderne hat sich nicht erfüllt. Freilich war auch sie – die überzeugte Kommunistin – nicht so naiv zu glauben, dass ihr Programm in der Marktwirtschaft einzulösen wäre. In den siebziger Jahren schrieb sie zum Thema sozialdemokratische Wohnungsbaureformen und Mietenproblematik: »Im kapitalistischen Wirtschaftssystem mit seinem Privatbesitz (…) sind die Fragen der Stadtplanung, von denen die Volksgesundheit so sehr abhängt, nicht zu lösen.« Klare Worte, die bei aller minutiösen Berechnung der Höhe von Arbeitsflächen nicht vergessen werden sollten.

»Ich bin keine Küche«: Gegenwartsgeschichten aus dem Nachlass von Margarete Schütte-Lihotzky. Universität für angewandte Kunst Wien. Bis 25. Januar