»Wir wollen ein Update des New Deal«

Sara Horowitz, Gründerin der Freelancers Union:

Bei den streikenden Autoren in Hollywood handelt es sich um Freiberufler. Außerhalb der Unterhaltungsmedien ist es für Freiberufler in den USA jedoch nicht möglich, sich gewerkschaftlich zu organisieren. 2001 gründete Sara Horowitz, Anwältin für Arbeitsrecht, die Freelancers Union, die erste Organisation der Welt, die ausschließlich die Interessen von Freiberuflern vertritt; sie hat derzeit 16 000 Mitglieder. von doris akrap

Hat der Streik der Hollywood-Autoren dafür gesorgt, dass die Situation der Freiberufler stärker diskutiert wird?

Nein. Aber interessant ist, dass die Anzahl der Streiks in den USA gestiegen ist. Die Taxifahrer in New York haben, wenn auch erfolglos, gestreikt. Es gab den Ausstand der Bühnenarbeiter, der den Broadway lahm legte, und nun den Autorenstreik. Sicher hat dieser Streik gezeigt, wie weit verbreitet die Arbeit der Freiberufler ist. Die Unterhaltungsbranche ist allerdings eine Ausnahme. Denn durch die gewerkschaftliche Organisierung in den dreißiger Jahren hat diese Branche es geschafft, dass ihre Mitglieder als Angestellte betrachtet werden, weswegen sie eine starke Gewerkschaftsorganisierung aufweisen.

Was ist das Programm der Freelancers Union?

Bislang war es in den USA nicht möglich, sich als Honorarkraft oder Teilzeitangestellte in einer Gewerkschaft zu organisieren, da das amerikanische Gesetz dies nur Angestellten erlaubt. Also haben wir nach einer Möglichkeit gesucht, in der sich diese neue Form der Arbeiterschaft organisieren kann. Das Ziel jeder Gewerkschaft ist es, die Arbeiter zusammenzubringen, um ihre Probleme zu lösen. Wir haben jetzt die erste Version einer neuen Form von Gewerkschaft aufgestellt. Unabhängig vom Einkommen kann jeder Frei­berufler bei uns Mitglied werden. Wir bieten Grund­leistungen an, die den Bedürfnissen der mobilen Arbeiter entsprechen. Dazu gehört eine Kranken- und Invalidenversicherung ebenso wie die Renten­vorsorge. Außerdem bieten wir eine Rechtsberatung an. Einer unserer Erfolge ist beispielsweise die Verringerung der Steuerabgaben für Freiberufler in großen Städten wie New York, Los Angeles oder Philadelphia.

Wie finanzieren Sie die Leistungen für Ihre Mitglieder?

Die Mitgliedschaft bei uns ist kostenlos. Wir richten unsere Angebote danach aus, was die Mitglieder brauchen. Wir sind nicht auf offizielle Mittel einer Stiftung oder der Regierung angewiesen. Wir verhandeln direkt mit den Unternehmen, denen wir die Leistungen abkaufen. Den Mitgliedern vermitteln wir dann diese Versicherungen für eine geringe Verwaltungsgebühr.

Aus welchen Bereichen kommen Ihre Mitglieder?

Unsere Mitglieder, die zu gleichen Teilen Frauen und Männer sind und deren Einkommen zwischen 25 000 und 60 000 Dollar jährlich liegt, arbeiten in verschiedenen Bereichen. 25 Prozent unserer Mitglieder sind Kreative. Ansonsten gibt es Leute aus den nicht kommerziellen Bereichen, dem Gesundheitswesen oder der IT-Branche.

Um in die Freelancers Union aufgenommen zu werden, muss man mindestens 20 Stunden in der Woche selbständig tätig sein. Doch eines der Kennzeichen von Freiberuflern ist es, immer wieder arbeitslos zu sein. Wie gehen Sie mit dem Status der Arbeitslosigkeit um?

Wir treten für eine neue Form des Arbeitslosensystems ein. Nicht nur die Freiberufler, auch die traditionelle Arbeiterklasse in Amerika verarmt mehr und mehr durch Arbeitslosigkeit. Wir wollen Ronald Reagans und Margaret Thatchers Konzept des Bürgers als Individuum aufbrechen. Wir wollen ein Update des New Deal. Unsere Absicht ist es, die Arbeiter zu vernetzen, damit die grundlegenden Probleme keine individuelle Angelegenheit mehr bleiben.

Arbeiten Sie mit anderen Gewerkschaften zusammen?

Wir haben uns nie als Konkurrenz zu den Gewerkschaften verstanden. Unsere Mitgliedschaft ist nicht exklusiv. Im Gegenteil, es ist sogar sehr clever, Mitglied in einer anderen Gewerkschaft zu sein und von unseren Leistungen zu profitieren. Denn wir haben keine Ahnung von den spezifischen Problemen der einzelnen Arbeitsbereiche. Wir kennen uns aber mit Steuern und Gesetzen aus. Als wir uns »Freelancers Union« nannten, sagten viele Leute, die Leute würden abgeschreckt werden, wenn wir uns als Gewerkschaft bezeichnen würden. Eines unserer zentralen Anliegen ist es aber, den Gewerkschaften wieder zu mehr Stärke zu verhelfen, denn sie sind für eine Demokratie unentbehrlich.

Eine ihrer Plakatwerbungen in den New Yorker U-Bahnen lautet: »Lose your boss, not your teeth«. Schöner Slogan. Das dürften aber auch die meisten Unternehmer denken, die ihre Angestellten gerne durch schlecht entlohnte Freiberufler ersetzen.

Es ist definitiv so, dass die Unternehmen durch die Beauftragung von Freiberuflern Geld sparen. Aber auch der traditionelle Angestellte erhält schon lange nicht mehr so hohe Leistungen von seinem Arbeitgeber wie noch vor 30 Jahren, und unbefristete Festanstellungen gibt es sowieso kaum noch. Auch die vom Arbeitgeber subventionierte Kranken- und Rentenversicherung ist ein Auslaufmodell. Arbeitgeber gehen immer mehr dazu über, ihren Angestellten eine bestimmte Summe Geld zu geben, mit der diese dann selbst ihre Versicherung kaufen sollen. Hinsichtlich der sozialen Leistungen besteht also keine große Differenz mehr zwischen Angestellten und Freiberuflern. Die ganze Debatte, ob diese Entwicklung gut oder schlecht ist, haben wir in den USA vor zehn Jahren geführt, und es ist eine falsche Debatte. Man kann nicht darüber diskutieren, welche Realität man lieber hätte, man muss mit der Realität umgehen. Einen Vorteil hat das selbständige Arbeiten. Anders als ein Angestellter, der an den Arbeitgeber gebunden und damit machtlos ist, kann der Freiberufler sich einer Organisation anschließen, deren Mission seinen Bedürfnissen entspricht.

Das ist aber doch die klassische Aufgabe der Gewerkschaften. Diese verhandeln aber immerhin über Löhne und Arbeitsbedingungen, was Ihre Organisation nicht macht.

Das amerikanische Gewerkschaftssystem ist dem britischen sehr ähnlich. Es basiert auf einer kollektiven Verhandlung über den konkreten Arbeitsplatz. In Deutschland, Frankreich und Skandinavien werden die Verhandlungen politischer und allgemeiner geführt. Das Modell der Freelancers Union liegt genau dazwischen. Allgemeine Verhandlungen wird es erst geben, wenn man darüber hinausgekommen ist, über spezielle Fälle in bestimmten Bereichen verhandelt zu haben. Uns geht es darum, die Leute zusammenzubringen, um überhaupt miteinander zu reden.

Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Sie in Zukunft auch Streiks von Freiberuflern organisieren werden?

Streiks sind für mich nur ein Mittel. Ich bin eher am Ziel interessiert. Unser nächster Schritt wird erst mal darin bestehen, dass wir uns mit unterschiedlichen Gewerkschaften und Vereinigungen zusammentun, um darüber zu reden, wie das neue Sicherheitsnetz aussehen kann. So weit weg sind wir davon nicht, denn in New York sind wir die viertgrößte Gewerkschaft und in Los Angeles, Miami, Austin und Philadelphia entstehen derzeit Ableger der New Yorker Freelancers ­Union.

Haben Sie Kontakt zu linken Gruppen in Europa, die sich mit dem Problem der prekären Arbeit beschäftigen?

Direkten Kontakt haben wir nicht. Aber auf unserer Homepage kann man sehen, dass sich Leute aus Indien, Italien oder Israel für unser Modell interessieren. So wie die nationalen Grenzen für Unternehmen bedeutungslos geworden sind, werden auch für die Arbeiter die Grenzen bedeutungslos werden. Die Freelancers Union ist in diesem Bereich ganz vorne. Zwar hält man in den USA die europäische Arbeiterbewegung für besser und erfolgreicher. Aber das stimmt nicht mehr. Die europäische Linke hat sehr lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass es sich bei den Freiberuflern um eine neue Kraft handelt.

Das Symbol der Freelancers Union sind drei Bienen, die um einen Bienenstock kreisen. Wieso haben Sie ausgerechnet Bienen gewählt, die nicht gerade ein Symbol für Unabhängigkeit sind?

Die Biene ist ein sehr gutes Beispiel, denn sie erledigt selbständig ihre Arbeit und kehrt in das Kollektiv des Bienenstocks zurück. Die Arbeit der Freiberufler scheint isoliert und individualisiert, aber wenn sie nicht mehr arbeiten, würde die ganze Ökonomie zusammenbrechen. Dasselbe würde mit dem ökologischen System geschehen, wenn die Bienen aufhören würden, die Blüten zu bestäuben: Es würde zusammenbrechen.

www.freelancersunion.org