Das Nebeneinander der Kulturen

Seyran Ates fordert in ihrem Buch »Der Multikulti-Irrtum« eine aktive Integrationspolitik. von kerstin eschrich

In Seyran Ates’ neuem Buch »Der Multikulti-Irrtum« bekommen alle ihr Fett weg: insbesondere Linke, Liberale, antideutsche Autonome, engagierte Feministinnen und Mulitikulti-Fanatiker, denen sie anlastet, für die nicht vorhandene Integrationspolitik der vergangenen Jahre verantwortlich zu sein. Und damit für alle Grau­samkeiten wie Ehrenmorde und Zwangsverheiratungen, die Musliminnen in den vergangenen Jahren widerfahren sind.

Die Anwältin und Frauenrechtlerin wirft ihnen vor, eine unverbindliche Toleranz gegen­über anderen Kulturen zu üben, die dazu führe, Men­schenrechte für Frauen nicht gelten zu lassen. Sie spricht etwa von »Multikultis«, die sich »mit dem türkischen oder kurdischen Patriarchen solidarisiert« haben, ohne das geliebte Objekt der Solidarität auch nur im geringsten infragezustellen. Diese müssten sich die Frage gefallen lassen, ob die Errungenschaften, die hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten erkämpft wurden, etwa die Gleichheit der Geschlechter und das Recht auf Unversehrtheit der eigenen Person (keine Zwangsheirat, kein Fernhalten von Bildungsangeboten), nur für die privilegier­ten »Urdeutschen« zu gelten haben, nicht aber für die »Deutschländerinnen«. Wobei sie in ihrem Buch durchgängig den Begriff »Urdeutsche« für die Herkunftsdeutschen und »Deutschländer« für die Migranten verwendet.

Ates arbeitet sich durch unterschiedliche Bereiche, die die Debatten, auch in der Jungle World, in den vergangenen Jahren geprägt haben. Es geht um Integration, Menschenrechte, Ehrverbrechen, Leitkultur, Nationalismus, Islam und Fundamentalismus und um Auswege aus dem dabei konstatierten Dilemma. Auch wenn das Buch bisweilen etwas unstrukturiert ist und mit Wiederholungen aufwartet, bezieht die Autorin klar Position. Und sie tut das voller Enthusias­mus, Lust an der Provokation und Optimismus, trotz allem. Das Buch bietet Einsichten in das In­nenleben türkischer und kurdischer Communities. Die Autorin breitet vor den Leserinnen und Lesern ihre Erfahrungen aus, die sie als Linke, bei ihrer Arbeit als Anwältin vor allem für türkische und kurdische Mi­grantinnen und natürlich als Tochter von Mi­granten der ersten Generation gemacht hat.

So berichtet sie, dass 90 Prozent ihrer Mandan­tinnen Angst vor einem Ehrenmord haben, und erläutert in diesem Zusammenhang auch, warum sie nicht von »so genan­nten« Ehrenmorden spricht: »Weil diese Morde tatsächlich Morde im Namen der Ehre sind.« Der Begriff »Ehre« werde von den Urdeutschen ganz anders verstanden als von Mus­limen. Im orientalischen Kontext habe Ehre nichts mit der Achtungswürdigkeit eines einzelnen Menschen zu tun, sondern defi­niere sich zu »erschreckend großem Teil über die sexuelle Integrität der Frauen in der Familie«. Sie sei »eine Last, etwas, das es zu behüten gilt und wofür man bereit ist, sein Leben zu geben«.

Die Sexualität sei in der muslimischen Welt der zentrale Punkt, um den es in nahezu allen Bereichen gehe. Gleichzeitig sei in keinem ande­ren Bereich die Kluft zwischen der Mehrheits- und der Minderheitsgesellschaft so eklatant wie im Bereich der Sexualität. Die muslimische Welt schildert die Autorin einerseits als extrem sexualfeindlich, auf der anderen Seite als hochgradig sexualisiert. Der Islam beansprucht für sich, alle Bereiche im Leben eines Gläubigen zu regeln und damit einen umfassenden Einfluss auch auf das Sexualleben der Gläubigen zu haben.

Ähnlich wie Ayaan Hirsi Ali in ihrer Auto­biographie, die sie auch gleich zu Beginn zitiert, wartet Ates mit einer ganzen Reihe von Zitaten aus dem Koran auf, um darzustellen, dass Frauen­feindlichkeit, Gewalt und Unterdrückung durchaus in der Schrift angelegt seien. Gleichzeitig fordert sie, den Islam endlich zeitgemäß auszulegen und die Religion zu reformieren.

Um die Kluft zwischen Urdeutschen und Deutsch­ländern zu überwinden, setzt Ates auf eine »europäische Leitkultur«, die den »Deutsch­ländern eine Vorstellung von der Gesellschaft gibt, in der sie sich integrieren und deren Teil sie schon sind«. Dafür sei es wichtig, das wird Ates nicht müde zu betonen, der Privilegierung von muslimischen Patriarchen in Deutschland ein Ende zu setzen.

Seyran Ates: Der Multikulti-Irrtum. Ullstein, Berlin 2007, 256 S., 18,90 Euro