Wachstum mit Gewächsen

Klimafragen sind Machtfragen. Beim Thema Biotreibstoffe zeigt sich deutlich, wie der Kapitalismus die Klimadebatte in seinem Sinne zu nutzen versucht. Die Linke fehlt in diesem Diskurs. von juliane schumacher

Schon einmal prägte der Anbau von Biotreibstoff ganze Landstriche: Vom späten Mittelalter bis weit in die Neuzeit wuchs auf rund einem Drittel der Ackerfläche Mitteleuropas Hafer – nicht als Nahrungsmittel, sondern als Treibstoff für die Mobilität von Oberschicht, Handel und Militär. Das Szenarium könnte nun im globalen Maßstab zurückkehren: Die Diskussion um einen drohenden Klimawandel hat dem Anbau und Handel mit Biotreibstoffen einen rasanten Aufschwung beschert. Längst konkurrieren die Pflanzen zur Spritproduktion in vielen Ländern des Südens mit Nahrungsmitteln um die Anbauflächen.

Es ist nur ein Aspekt, und doch zeigt er: Der Klimawandel – oder vielmehr der Diskurs um den Klimawandel – hat sich zu einer Maschinerie entwickelt, die weltweit Techniken sortiert und Entwicklungen beschleunigt oder bremst. Durch einen verminderten Ausstoß von CO2 die Erwärmung des Planeten zu verlangsamen, ist dabei nur ein Kriterium unter anderen. Eingeschrieben in den Diskurs sind die bestehenden Machtverhältnisse und Notwendigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise; die Rede vom Klimawandel spiegelt die Hierarchien wider zwischen Nord und Süd, oben und unten. Aber kann die Linke deshalb die ganze Diskussion um den Klimawandel angewidert beiseite wischen, als sei diese nur eine perfide Strategie der Eliten des Westens, um die eigene Vorherrschaft zu verteidigen und sich neue Märkte zu erschließen? Oder die Zerstörung der Lebensgrundlagen nur als einen Nebenwiderspruch dem Kapitalismus anhängen, der sich schon lösen wird, wird die bestehende Produktionsweise erst durch eine andere abgelöst? Beides greift zu kurz.

Als politisches Problem drang der Klimawandel in den siebziger Jahren einer Minderheit ins Bewusstsein, die sich um die Zukunft des Planeten sorgte. Heute dürfen Beteuerungen zum Klimawandel in keinem politischen Dokument fehlen; wo Wissenschaftler nicht auch den »Global Change« untersuchen, fließt kein Forschungsgeld; der Klimawandel liefert die Kulisse für Romane und Katastrophenfilme. Der Klimawandel ist das Umweltproblem des Postfordismus.

Bereits in der Antike holzten Griechen und Römer die Wälder rund ums Mittelmeer fast vollständig ab; Maya-Kulturen in Mittelamerika gingen an Hungersnöten zugrunde, nachdem sie die Grundlage ihrer Ernährung durch Übernutzung zerstört hatten. Ein zerstörerischer Umgang mit natürlichen Ressourcen ist nicht auf den Kapitalismus beschränkt. Dennoch: Der Klimawandel, über den wir derzeit diskutieren, den wir vielleicht in Ansätzen bereits miterleben, ist untrennbar mit dem Kapitalismus verwoben – und mit einem modernen Verständnis von Natur, das den Aufstieg des Kapitalismus erst ermöglicht hat. Dies gilt nicht nur, weil sich der Kapitalismus erst Bahn brach, als die Verbrennung von Kohle die industrielle Revolution entfachte und damit den Klimawandel als physikalisches Problem auslöste. Nicht nur, weil der Kapitalismus teils abhängig ist von eben jener mechanistischen Sicht auf die »Umwelt«, die zu Beginn der Moderne die bis heute weithin geltende Grenze zwischen Natur und Kultur festschrieb. Weil niemand ernsthaft an eine Lösung der Klimaproblematik glauben kann, ohne hinter die kapitalistische Forderung nach immerwährendem Wachstum ein Fragezeichen zu setzen.

Vor allem ist der Klimawandel ein Problem, das unter den heute bestehenden Umständen definiert wurde. Anhand des Diskurses über den Klima­wandel definiert und bearbeitet die globale Elite die ökologischen Probleme, die das kapitalistische Produktionsmodell mit sich bringt; er bildet das Terrain, auf dem über die Zukunft entschieden wird – nicht über die des Planeten, sondern die der Gesellschaft. Nicht deshalb wird der Klimawandel thematisiert, weil er den Eliten nützt, sondern weil er ihnen zu schaden droht, weniger wirtschaftlich als vielmehr ihrer Glaubwürdigkeit. Weil er, zusammen mit anderen ökologischen Problemen, durchaus kritische Fragen entstehen lässt: Fragen der Gerechtigkeit, der Verantwortlichkeit, des Verhältnisses zu und des Umgangs mit der Natur. Fragen, die linke Intellektuelle und soziale Bewegungen in den siebziger Jahren gestellt haben. Aber auch neue Fragen, die aufgekommen sind, als in den neunziger Jahren, eng verwoben mit der Entwicklung neuer Techniken und eines veränderten Verhältnisses zur Natur, ein gigantischer Inwertsetzungsprozess in Gang kam, jene Bereiche kolonisierte, die dem Markt bisher teilweise oder ganz verschlossen waren, und sie der kapitalistischen Verwertung zuführte: Pflanzen, Tiere, Wasser und Böden, Bräuche, Teile des Menschen selbst. Diese neue Runde einer »ursprünglichen Akkumulation« hat begonnen, bevor der Klimawandel die Titelseiten füllte. Weil sie indes immer eng mit »Umweltfragen« verknüpft war, konnte sie an die aufkommende Diskussion um einen durch Menschen verursachten Klimawandel anknüpfen. Er wurde zu einem Instrument, Widerstände klein zu halten und sich neue Felder zu erschließen.

Wie diese Mechanismen wirken, zeigt das Beispiel Biotreibstoffe. Denn die Einführung von Treibstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen weckte ursprünglich durchaus emanzipatorische Hoffnungen: Strom und Sprit aus Zucker, Mais und Raps sollten eine dezentrale und demokratische Energieversorgung ermöglichen. Der Bauer aus dem globalen Süden sollte den Sprit tanken, den er auf dem eigenen Acker anbaut und in der lokalen Genossenschaft verarbeitet. Doch kaum war Biotreibstoff als scheinbar klimafreundliche Alternative zu Benzin in den Sog der Diskussion um den Klimawandel geraten, kaum hatten die Energiekonzerne Biotreibstoffe als profitablen Ersatz fürs knapper werdende Öl entdeckt, wurde das Thema neu besetzt. Grundsätzliche Fragen der Energieversorgung und einer gerechteren Verteilung von Ressourcen wurden aus der Diskussion gedrängt, in deren Zentrum nun eine ganz andere Frage steht: Wie sich das bestehende westliche Modell auch angesichts eines drohenden Temperaturanstiegs und knapper werdender fossiler Ressourcen fortsetzen lässt. Die westlichen Eliten definierten das Problem um, wissenschaftlich untermauert und von klimapolitischer Dringlichkeit gestützt. »Energiesicherheit« ist eben kein globales Problem, sondern das Problem einer globalen Elite – während die direkten Folgen des Klimawandels vor allem jene treffen, die am wenigsten dazu beitragen und sich am schlechtesten dagegen schützen können.

Heute sind Biotreibstoffe einem UN-Bericht zufolge das »am schnellsten wachsende Segment des Weltagrarmarkts«. Die USA, Japan und Europa haben angekündigt, bis in zehn Jahren Diesel und Benzin zehn bis 15 Prozent Sprit aus Biokraftstoff beizumischen; in Brasilien, Indien und China fressen sich Plantagen ins Land. Das rasante Wachstum der Produktion von Biotreibstoffen verläuft in Bahnen, denen die bestehenden Herrschaftsverhältnisse und alte Abhängigkeiten enge Grenzen setzen: Länder des globalen Südens exportieren Rohstoffe in den Norden, damit dort ein Lebensstil fortgesetzt werden kann, der für den Rest der Menschheit in dieser Weise niemals möglich sein wird. Rohstoffe, die wenig kosten, weil ihre Förderung auf Ausbeutung und Vertreibung basiert. Rohstoffe, an denen vor allem die verdienen, die die Ressourcen besitzen, am globalen Markt teilzunehmen: Großgrundbesitzer, Agrar- und Energiekonzerne. Die global agierenden Unternehmen haben die Chance rechtzeitig erkannt, um zu verhindern, dass ihnen aus der neuen Technik tatsächlich Konkurrenz erwachsen könnte. Die Raffination befindet sich in der Hand weniger Großunternehmen aus Nord und Süd. Entwicklungs- und Pilotprojekte werben darum, Bauern und Bäuerinnen durch langfristige Verträge in die Produktionskette der globalen Konzerne aufzunehmen – das Geschäft mit den Bio­treibstoffen ist auch ein weiterer Versuch, jenes Feld der kapitalistische Marktlogik zuzuführen, das sich bisher immer wieder dagegen sperrte: die bäuerliche Landwirtschaft.

Was für Biotreibstoffe gilt, gilt auch für andere Klimaschutz-Instrumente: Die Kontrollmechanismen des neoliberalen Diskurses filtern diese feinsäuberlich. Erprobt, gefeiert wird, was Gewinn verspricht und markt­tauglich erscheint. Dass die wenigsten dieser Instrumente den Temperatur­anstieg tatsächlich aufhalten, ist nebensächlich. Ihr Ziel hat die Bearbeitung der Klimaproblematik erreicht. Sie verdeckt, dass das bestehende System keine Antworten hat auf die Fragen, die zu wenige stellen. Sie verdeckt das fortwährende Scheitern bei der Aufgabe, ein Modell zu bieten, das eine andere Zukunft als selbstlaufende Selbstzerstörung zur Folge hat. Zeit, dass die Linke etwas unternimmt. Klimafragen sind Machtfragen. Und auf dem Terrain des Diskurses über den globalen Wandel fehlt die Linke derzeit gewaltig.