Mein Haus, meine Frau, meine Schrotflinte

Lange indiziert, nun als DVD wieder veröffentlicht: Sam Peckinpahs »Straw Dogs« zeigt die gewalttätige Seite der Vernunft. von sven jachmann

Dies ist mein Haus!« schreit David Sumner (Dustin Hoffman). »Gewalttaten in diesem Haus lasse ich nicht zu«, ruft er den aggressiven und betrunkenen Gestalten entgegen, die sein Anwesen belagern, um den des Mordes verdächtigen Henry Niles (David Warner) zu lynchen. David gewährt ihm Unterschlupf. Wenige Minuten später bringt der Hausherr selbst die Gewalt in sein Heim. David schlägt seiner Frau Amy (Susan George) ins Gesicht und weckt so unwissentlich Assoziationen an die Vergewaltigung, die ihr von zwei der fünf draußen tobenden Männer angetan wurde. Keiner der fünf Belagerer verlässt den Schauplatz lebend.

Die Gewalt entwickelt eine derartige Eigendynamik, dass sie am Ende nur eskalieren kann. Welche Mechanismen vonnöten sind, um der Destruktivität eine solche Macht zu verschaffen, und wie der Weg bis zum Ende beschaffen ist, sind die Fragen, denen Peckinpah in seinem Film »Straw Dogs« von 1971 so knapp wie differenziert nachgeht.

Der Konflikt zwischen Ratio und animalischem Impuls mag auf den ersten Blick typisch erscheinen. Bereits am Anfang wird der Gegensatz deutlich: Der frisch verheiratete, intellektuelle Astro-Mathematiker David Sumner zieht mit seiner Frau in ein namenloses englisches Städtchen, zu rüpelhaften Dorfbewohnern. Doch Peckinpah dürfte wenig daran gelegen gewesen sein, dieses altbekannte Westernmotiv lediglich in die Gegenwart zu verlegen.

Tatsächlich sind augenscheinlich sämtliche Bestandteile des Motivs vorhanden: Der pazifistische Held will in der Kleinstadt Ruhe für seine Arbeit finden. Die Bewohner beäugen ihn mit Skepsis und machen jeden Integrationsversuch unmöglich. Die Situation spitzt sich zu: Auch wenn die Hauptfigur nichts davon erfährt, finden die Attacken in der Privatsphäre ihren Höhepunkt. Die Vergewaltigung der Ehefrau zerstört die sexuelle Integrität ihres Körpers und die gemeinsame Intimität. Auf den Versuch der Dörfler, Davids Haus, sein Land, seine Grenze samt der ihr eingeschriebenen Prinzipien zu erobern, folgt die blutrünstige Verteidigung seiner Würde und seines Glaubens. Zwar ist die Ordnung wieder hergestellt. Sie trägt aber irreversible Schäden davon.

Diese Lesart war stets dominierend. Auch die Zensur, die der Film nicht nur in Deutschland zu erdulden hatte, stützte sich auf diesen Befund. Doch die Interpretation unterschlägt völlig den Anteil der weiblichen Rolle. Auf sie fokussiert, ließe sich der Inhalt auch folgendermaßen beschreiben: Die Heldin Amy kehrt mit dem frisch angetrauten Ehemann in ihre englische Heimatstadt zurück. Ihre stetigen Bemühungen, David die Umgebung vertrauter zu machen, bleiben fruchtlos. Seine intellektuelle Arbeit überschattet das Verhältnis und fördert zunehmend die gegenseitige Entfremdung. Die lebenslustige Amy ist gelangweilt von Davids Desinteresse. Ihre Hoffnung, David aus der Reserve zu locken, schlägt in Frustration um. Im Gegensatz zu ihm hat Amy bereits erkannt, dass hinter seinem verhaltenen Wesen der Unwille steckt, einen Standpunkt klar zu beziehen. Mit diesem Wissen um David als auch um die Interaktionsgepflogenheiten des Dorfs schärft sich Amys Blick für die drohende Gefahr, die von den Nachbarn ausgeht. Gleichzeitig wächst aber auch der Wille, der Enge der Ehe zu entfliehen. Enttäuscht und gekränkt von der defensiven Haltung ihres Mannes, wendet Amy selbst bei ihrer Vergewaltigung die letzten Kräfte auf, um eigenmächtig Lustgewinn aus der Gewaltsituation zu ziehen. Ein Vergewaltiger scheint nämlich ein ehemaliger Liebhaber zu sein. Der Versuch schlägt fehl. Traumatisiert und gebrochen bleibt ihr einzig zu beobachten, wie David alles darauf verwendet, sein Haus zu verteidigen, und dabei selbst vor grausamster Selbstjustiz nicht zurückschreckt.

Man mag den Plot drehen und wenden und entweder David oder Amy zur Hauptfigur machen: Immer unterschlägt man dabei die mehr oder weniger verborgene Gewalt in der im Film präsentierten Ehe. Diese Ehekonstellation birgt von Anfang an so viel unausgesprochenes Konfliktpotenzial in sich, dass es wahrscheinlich nicht einer abweisenden Umgebung bedurft hätte, um ihren Bruch zu bewirken. So beginnt eine Szene unmittelbar am Ende eines Streits und enthält dem Zuschauer seine Entstehung vor. Zu viele Informationen fehlen, um die gemeinsame Geschichte der Charaktere wie in gängigen Filmen zu erfassen. Wer die Personen sind, erfahren wir vornehmlich in ihren Interaktionen.

Alles in dieser Welt scheint merkwürdig disparat zu sein, keine Figur auch nur einen Hauch des Vertrauens würdig. Die Landschaft ist neblig und von einem abweisenden Grau durchzogen. Die Bewohner reagieren nicht nur auf die Fremden mit geheuchelter Freundlichkeit oder abweisend, sondern scheinen auch untereinander zu keiner freundschaftlichen Bindung fähig. In der ersten Einstellung tänzelt eine Gruppe Kinder laut singend um einen verwirrten Hund herum. Es wird nicht ersichtlich, ob es sich um Spiel oder Quälerei handelt. Peckinpahs Werk indes lässt erahnen, dass das Tier gequält wird.

In dieser Welt ist die Gewalt omnipräsent. Sie entlädt sich eruptiv. Aus diesem Grund ist das letzte Drittel des Films weniger das Resultat einer Kausalkette, an deren Ende auch der Unbedarfteste zur Gewalt getrieben wird. Dafür besitzt die Figur Davids doch eine zu exponierte Stellung: ob er beständig seine Frau mit seinem passiv-aggressiven Verhalten traktiert und zu keiner zärtlichen Regung fähig ist oder ob er den schlauen Dorfbewohnern mit dezenten Provokationen, großer Selbstgefälligkeit und einem süffisanten Grinsen beweist, dass er ihnen intellektuell weit überlegen ist. Es ist diese Rationalität, die ihm hilft, sein Heim zu verteidigen. Der Schlüssel zum Sieg ist die gewaltsame Instrumentalisierung der Vernunft, die David den gesamten Film über schon erprobt. In diesem Sinne bebildert Peckinpah weniger eine negative Anthropologie des Menschen als den Zweifel an der Aufklärung: In einer unzivilisierten Welt ist auch die Vernunft selbst vor der Gewalt nicht gefeit. Das ist der unbequeme Tenor des Films: »Straw Dogs« sind überall zu finden.

Der Verleih konnte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) dazu bewegen, nicht nur die 1983 verhängte Indizierung aufzuheben, sondern den Film auch ab 16 Jahren freizugeben. Außerdem lässt die Edition keine Wünsche offen. Das Booklet informiert über die Produktionsbedingungen des Films und ist reichhaltig mit Werbematerial aus verschiedenen Ländern illustriert. Der aufschlussreiche Audiokommentar wechselt zwischen Anekdote und Analyse. Das Bonusmaterial besteht aus einem Teil der Dokumentation »Passion & Poetry: The Ballad of Sam Peckinpah.« Als Ergänzung finden sich nicht verwendete Interviews sowie Trailer und die Super8-Fassung des Films.

»Straw Dogs – Wer Gewalt sät« (Großbritannien 1971). Regie: Sam Peckinpah. Auf DVD erschienen