Alles super-prima in Deutschland!

Wirtschaftsminister Michael Glos auf »Dialogtour«: Mittelstand ist bester Laune und feiert den Aufschwung. von thomas blum

Berlin. Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, ist nicht nur ein Mann von beeindruckender Statur, sondern auch von außergewöhnlichen Fähigkeiten: Er kennt sich aus in Betriebswirtschaftslehre, kann ohne fremde Hilfe von eins bis ganz weit zählen und sich allein die Schuhe zubinden. Man kann von Glück reden, einen solchen Chef an der Spitze der Deutschland-AG zu haben.

Schon als er mir nach dem Betreten des Saals der Industrie- und Handelskammer (IHK) die Hand reicht und fragt: »Is’ des heud’ hier herinnen der Abend, wo i’ was red’ soll?«, fällt es schwer zu sagen, wovon man bei diesem Mann auf Anhieb mehr beeindruckt ist, von seinem enormen Wuchs oder von seiner überwältigenden Klugheit. Im Grunde müsste man sagen: Er ist so gescheit wie lang.

Der kräftige, zupackende Mann tritt mit behendem Schritt aufs Podium und breitet die Arme aus, um mit beschwichtigenden Handbewegungen die begeisterte Stimmung im Saal zu dämpfen und das frenetisch tobende Publikum zu beruhigen. Vereinzelt erklingen Jubel- und Hochrufe. »Mi-cha Glos, jetzt geht’s los!«

»Mir sin’ spiddse! Da kann der Kines’ dahemm bleib’!« Des Weiteren spricht Glos, unerschütterlicher Fels in der Brandung der Globalisierung, über Wachstumsprognosen, hocheffiziente Schlüssel-, Führungs-, Motivations-, Qualifikations- und Innovationskompetenzen, Gegen­finanzierungsgeschäftsmodelle, Kartellrechtsdings und die Abschaffung des Gießkannenprinzips. Ja, wer so mitreißend reden kann, ist wahrhaft ein Mann der Tat! Das Auge klar, die Rede wahr, so steht der Minister, dessen angenehmer mundartlicher Einschlag in seiner Sprechweise ihn so sympathisch macht, vor dem entzückten Publikum am Redepult. Hätten wir nur mehr seines Kalibers in Deutschland!

Sein Ziel hat Michael Glos, Deutschlands geliebter Wirtschaftsführer, am Dienstagabend in Berlin voll und ganz erreicht. Der Superminister kann hochzufrieden mit der Diskussionsveranstaltung der IHK sein. Widerworte gegen Glos’ bewegende Rede gab es keine. Vereinzelte anwesende Mittelständler, die unvernünftige Fragen stellten, waren offenbar verwirrt und wurden von freundlichen Herren aus dem Saal begleitet, sodass endlich Ruhe einkehrte und der Minister wieder das Wort hatte.

Er wolle auf seiner »Dialogtour« im Rahmen der Mittelstandsinitiative »Impulse für Wachstum« hören, »was Mittelständler brauchen«, hatte Glos in seinem Vortrag angekündigt, zu hören bekam er von den Anwesenden vor allem Lob für die Politik der Bundesregierung, von der alle Menschen draußen im Lande wissen, dass sie die Probleme energisch anpackt und weder ruht noch rastet, um das Volk glücklich zu machen. Und die Bevölkerung ist überglücklich, wie man täglich sehen kann. Denn insbesondere dank des nimmermüden Einsatzes des Wirtschaftsministers brummt die Wirtschaft in der Hauptstadt wie nie zuvor: Viele Menschen tanzen vor Freude besinnungslos auf den Straßen und Plätzen. Einige von ihnen sieht man weinen vor Glück. Der Königswusterhausener Murmelfabrikant Reinhold Jackopp etwa, der einem mittelständischen Familienbetrieb vorsteht, hat in seinen Augen Freudentränen, die ihm über die Wangen kullern, und wedelt mit einem dicken Geldbündel: »Ich dachte schon, ich müsse die Firma ins Ausland verlegen, doch jetzt wird alles, alles gut!« Ja, sein Ministerium habe viel getan, sagt der bescheidene Glos, dessen elektrisierende Worte augenblicklich das innige Vertrauen der hingebungsvoll lauschenden Zuhörer wecken, »gerade und insbesondere im Murmelherstellungsgewerbe«. Und er zählt die vielfältigen Maßnahmen und zahlreichen Erfolge seines Ressorts auf: Bürokratieabbau durch die Abschaffung des ganzen Umweltschutzquatsches, Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten für moderne Medien (siehe rechts) und nicht zuletzt die Unternehmenssteuerreform zugunsten notleidender Millionäre. Gerade auch von den Lohnanpassungen nach unten bei minderjährigen osteuropäischen Leiharbeitern und anderen innovativen Modernisierungsmaßnahmen profitiere »die breite Masse der Betriebe«, erläuterte Glos geduldig und freundlich, diese Erfolge solle man »nicht kleinreden«.

Das hatte an diesem Abend aber auch niemand vor. Der IHK-Präsident Eduard Bimbes lobte, »dass die genannten Reformen greifen und Impulse aussenden«. Deshalb sei es um so verständlicher, dass »alle Menschen saumäßig gut drauf sind«. Insgesamt habe die Bundesregierung ein »anspruchsvolles Programm aufgelegt«, das, so war man sich einig, »enorme Wirkung« zeige und »insgesamt voll geil« sei. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt praktisch im Sekundentakt, der Aufschwung ist mit Händen zu greifen. Es sei daher nicht im geringsten erstaunlich, dass nicht allein der Mittelstand heute, unter Glos’ weiser Regentschaft, offenbar »wunschlos glücklich ist«, sagt Jungle-World-Wirtschaftsredakteur Jörn Schulz, der die sich anschließende Diskussion engagiert und kenntnisreich moderiert, und ist ganz gerührt von der überwältigenden Zustimmung, die dem Wirtschaftsminister im Saal entgegenschlägt. Vor einigen Jahren, so Schulz, als noch die »rot-grüne Ökostalinistenbande« das geschundene Land mit Staatsbürokratie in den ökonomischen Niedergang trieb, habe man noch schwarz gesehen, doch damit sei es jetzt vorbei.

Nur am Ende der Debatte wurde leider deutlich, dass noch nicht alle Anwesenden bereit sind zu begreifen, dass Deutschland auf dem Weg in eine goldene Zukunft ist. Bedauerlicherweise trifft man auch an Orten wie diesem noch auf einzelne Miesmacher und Schwarzseher: Wilhelm Knorricke von der gleichnamigen Topflappenfabrik in Berlin-Reinickendorf nörgelte, dass der Aufschwung bei ihm nicht ankomme. Doch Minister Glos sagte, er erwarte, dass – wenn man in Berlin erst mal die Kommunisten, die die Stadt regieren, los sei – auch die Handels­umsätze in der Textilbranche anziehen würden. Und er versprach: In einem Jahr werde Knorricke »strahlen wie Deutschlands Zukunft«.