Lyrik und Befehl

Gisela Heidenreich veröffentlicht die Liebesbriefe, die ihre Mutter von einem hochrangigen Nazi erhielt. von jörg sundermeier

Gisela Heidenreich hat es nicht leicht gehabt, denn sie war zwar ein Wunschkind, allerdings hatte sie nicht das gewünschte Geschlecht. Die Mutter hätte lieber einen Sohn gehabt, ein Kind, das man dem Führer schenken konnte, ein Mädchen war da nur halb so gut, auch wenn es helfen sollte, die »arische Rasse« zu erhalten. Heidenreich wurde in einem norwegischen »Lebensborn« geboren, sie war die Tochter eines SS-Manns, den sie erst spät, mit 18, kennen lernte, dieser Mann war verheiratet, jedoch nicht mit Heidenreichs Mutter.

Ihr Aufwachsen als uneheliches, also »Le­bensborn-Kind« war schwer, zunächst sug­gerierte man ihr sogar, sie sei eine Waise und die Mutter habe sich nur aus Barmher­zigkeit ihrer angenommen. Erst in ihren letzten gemeinsamen Jahren wurde das Verhältnis zur Mutter einigermaßen zärtlich, und das, obschon Heiden­reich ihre Geschichte in einem Buch auf­gearbeitet hatte, dem Best­seller »Das end­lose Jahr«, ­dessen Verfilmung vor einigen Wochen im Fernsehen lief.

Nun hat die Familientherapeutin und Mediatorin ein weiteres Buch verfasst, wieder über ihre Mutter, wieder über sich, denn sie fand nach dem Tod der Mutter einen Stapel Liebesbriefe, der ihre Liebschaft mit einem hochrangigen Nazi do­ku­mentiert, den sie ausgerechnet im Nürn­berger Gefängnis kennengelernt hatte.

Diese obsessive Liebschaft zweier kaum zur Liebe fähigen Menschen allerdings, die Heidenreich in ihrem Buch mit dem Titel »Sieben Jahre Ewigkeit« präsentiert, wird von der Person der Autorin verstellt, die sich dazu entschlossen hat, dem Buch eine Art Rahmenhandlung zu geben. So liest man nun in diesem ganz auf die Bestsellerlisten zugeschnittenen Buch eine Autoreportage.

Die Autorin stellt sich dumm und behauptet zunächst, der Spannung halber, nicht wissen zu können, wer der Geliebte ihrer Mutter war. Sie sieht sich dazu veran­lasst, die Briefe, die behutsam und neutral kommentiert und als Dokumente abgedruckt viel stärker gewirkt hätten, unbedingt aus der Sicht der Tochter zu kommentieren, die sich immer wieder von ihrer emotionalen Bindung an die Mutter zu kleinen Eifersuchtsanfällen hinreißen lässt, die versucht, sich einzuleben, ja, die sogar glaubt, Szenen im Gefängnis nachempfinden zu müssen, sich in ihre oft so verständnislose und meinethalben sogar unverstandene Mutter einzufühlen. So muss das Täterkind bei allem Bemühen darum, die Mutter nicht als Opfer erscheinen zu lassen, die Bedingungen in der Haft, das Leben als alleinerziehende Mutter etc. als schmerzhaftes, großes Drama darstellen.

Es ist ein Drama, in dem der Mann, der Konkurrent um die Liebe der Mutter, schließlich die Mutter, nachdem er ihr die heißesten Liebesschwüre gewidmet und entlockt hatte, sitzen ließ. So bleibt der Nazi letztlich die Unperson, der Buhmann, dieweil die Mutter, die Mittäterin, als ein schwacher Charak­ter auftritt, eine Frau halt, ein Weib.

Nun war der Geliebte, Standartenführer Horst Wagner, der im Auswärtigen Amt die Judenvernichtung mitplante, tatsächlich alles andere als ein netter Typ. Auch gelang es ihm, sich der Bestrafung durch Flucht zu entziehen, von 1948 bis 1956 hielt er sich größtenteils im Ausland auf, lebte unter verschiedenen Namen und brachte Heidenreichs Mutter, die Mitwisserin seiner Taten war, immer wieder dazu, ihm zuzuarbeiten.

Doch die Briefe, die der liebe »Horstel« zunächst aus der Nachbarzelle und später aus Rom schrieb, bevor er sich nach Spanien absetzte, zeigen auch etwas anderes, nämlich den sich in Kitsch und hohle Phrasen flüchtenden Narziss­ten, der einerseits Befehle gibt, sich andererseits aber freiwillig unterwirft: »Wenn Du gluecklich bist in der Sorge um mich und vor allem die grenzenlose Hingabe Deines Herzens und Deines Koerpers Dich an mich draengen wird und meine Liebe sich ueber Dich senken wird, siehst Du, Du Liebstes, das mir alles bedeutet, dann wird das Leben schoen. Auf diesen Tag warte. Fuer diesen Tag halte Dich gesund und kraef­tig. Dein Geliebter und Dein Herzensbub werden Deine Kräfte verbrauchen.« Tatsächlich schreibt er »verbrau­chen«. Dann wieder ist er ihr »Herzens­kind«, ihr »Seemann«, dann nennt er sie »Prin­zessin« und schließlich ebenfalls »Herzenskind«.

Sie wiederum fügt sich ganz in die Rolle, wird ihm die »Edileinfrau«, wünscht, dass er sie »zur Königin« mache, und nimmt auch die Mutterrolle ein: »Bevor ich Dich heute in Dein Bettchen bringe, muss ich Dir noch erzählen, dass ich gerade einen süßen Jungen bekommen habe, den ich noch immer an mein Herz drücke, um zu spüren, dass es auch wirklich wahr ist. Und weil er so allerliebst und ganz so ist, wie ich ihn mir erträumt und ersehnt hatte – mein ganzes bisheriges Leben war ja nur ein Warten auf ihn – werde ich den nie mehr von mir weglaufen lassen, sondern will ihm mein zärtliches, verstehendes und mitfühlendes Herz schenken, damit er sich bei mir auch wirklich wohl und geborgen fühlt.«

Gisela Heidenreich, die Tochter, die bei der Lektüre eines solchen Briefes, in dem sie noch einmal als falsches Kind abgelehnt wird, selbstverständlich erschrecken muss und die, im Ringen um die Liebe der nun toten Mutter, in diesem von nichts als Eitelkeit und Kälte zeugen­den, nur von sich selbst berauschten Wort­schwall ein tiefes Gefühl sehen muss, wird so gezwun­gen, sich zu versöhnen, posthum und für immerdar.

Sie ist daher als Herausgeberin dieser Briefe die ungeeignete Person, gerade weil sie dort eine Liebe sehen muss, wo keine ist. Wagner und Heidenreichs Mut­ter haben im Gefängnis der Alliierten und danach einfach weiter »Drittes Reich« gespielt. Selbst dort, wo die Tochter darauf hinweist, dass der Massenmörder Wagner und seine Edileinfrau sich obszönerweise selbst für unschuldig halten und sich sogar als Opfer der Alliierten fühlen, versucht sie dennoch weiterhin anzunehmen, dass diese beiden nicht besonders erwachsenen Romanze-Darsteller wirklich eine tiefe Liebe spüren konnten. Das macht die Lektüre dieser un­erträglichen Briefe leider noch schlim­mer, denn das Buch macht aus dem Schmu eine, wie es in der Verlagswerbung heißt, »Liebe im Schatten der Vergangenheit«. Dabei ist doch gerade diese von beiden als richtig empfundene Vergangenheit der einzige Grund für ihre Liebe.

Gisela Heidenreich: Sieben Jahre Ewigkeit. Droemer Verlag, München 2007, 430 S., 19,90 Euro