Rausflug bei Airbus

Bei dem europäischen Rüstungskonzern EADS sollen 10 000 Arbeiter entlassen werden. Aber nicht in Deutschland, sagen die Deutschen. von stefan frank

Man weiß nicht, wie es anfing, aber es hört so schnell nicht mehr auf. Aus einem Konzern, der ehemals sehr erfolgreich kleinere Passagierflugzeuge baute, ist einer geworden, der sehr erfolglos versucht, Riesenmaschinen zu entwerfen, die auf den meisten Flughäfen der Welt gar nicht landen können. Das ist so, wie wenn die Leute bei MAN einen LKW bauen würden, der so breit ist, dass er auf die Gegenfahrbahn ragt, oder so hoch, dass er durch keine Unterführung fahren kann. Das würden die freilich nicht tun, nicht nur, weil es die Straßenverkehrsordnung verbietet, sondern auch, weil es sich die Firma nicht erlauben könnte, aus Größenwahn Milliarden zu verpulvern.

Airbus aber gehört zu EADS, dem wichtigsten Rüstungskonzern Europas, und den würden Deutschland und Frankreich niemals pleite gehen lassen. Deshalb ist es möglich, die Firma als ein Non-Profit-Unternehmen zu führen: ein Spielplatz für verrückte Konstrukteure.

Dabei kann man nicht einmal behaupten, dass Airbus vor einem unüberwindlichen Hindernis stünde. Es ist eher ein Parcours mit vielen Planken, Barren, Mauern und Wassergräben, bei dem Pferd und Reiter insgesamt keine gute Figur machen, bis die Preisrichter irgendwann die Nase voll haben. Mal liest man von zu kurzen Kabeln am Airbus A-380, dann stimmt mit der Tragfläche irgendetwas nicht, und plötzlich ist das ganze Flugzeug viel zu schwer. An den Kerosinverbrauch hat auch niemand gedacht. Aber ist das alles überhaupt ein Grund zur Aufregung? Welches bedeutende Bauwerk ist denn schon zum geplanten Zeitpunkt fertig geworden? Der Kölner Dom jedenfalls nicht.

Unangenehm ist es, dass die Flugzeuge schon verkauft sind, was den Käufern Gelegenheit zu Regressforderungen gibt und es noch weniger wahrscheinlich macht, dass das Projekt einen Gewinn abwerfen wird. Das haben die ägyptischen Pyramiden seinerzeit aber auch nicht, wenn auch aus anderem Grund.

Nun fängt das Management doch an zu rechnen. Ob das andere Langstreckenflugzeug A-350 wirklich gebaut wird, scheint nicht sicher. »Eine zweite Katastrophe können wir uns nicht leisten«, sagen die einen. »Können wir wohl«, die anderen. Außerdem sollen 10 000 Arbeiter entlassen werden, verriet Frankreichs Premierminister Dominique de Villepin in einem Interview.

Sollte das stimmen, so mutet es seltsam an. Denn wenn die Beschäftigten nicht nur so tun, als würden sie arbeiten, sondern tatsächlich an der Produktion beteiligt sind, wie will Airbus sie dann ersetzen – zumal in den Pressemitteilungen, in denen die Verzögerungen erklärt werden, von »bottlenecks«, also Engpässen, die Rede ist?

Politiker in Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg sind erstens empört und zweitens einig: wenn Entlassungen, dann nicht bei uns. »Haben wir dem Konzern nicht unser ganzes Gold gegeben?« fragen sie. »Haben wir nicht ihm zuliebe lauter krumme Dinger gedreht?« Schnell erinnert man sich an den Notfallplan, der lautet: Spätestens wenn ein Boot Gefahr läuft, auf tödliche Klippen zu stoßen, sollten die Ruderer die Paddel nehmen und sie sich gegenseitig um die Ohren hauen.

Eine Kampagne gegen Frankreich wird lanciert, zunächst nur publizistisch: »Rücksichtslos« versuche Frankreich, nationale Interessen durchzusetzen, heißt es in Pressekommentaren. Ein Autor von Spiegel online hat alles schon lange kommen sehen: »Jean-Baptiste Colbert, der allmäch­tige Wirtschaftsminister von König Ludwig XIV., gab die Richtung vor.« Ganz schön fies soll der gewesen sein. »Seine rücksichtslose Linie hatte Erfolg: In den 22 Jahren von Colberts Amtszeit stieg Frankreich zur führenden Macht auf dem Kontinent auf. Seither ist der Strategen-Haudegen aus dem 17. Jahrhundert leuchtendes Vorbild für die meisten französischen Wirtschaftspolitiker. Deren Kodex lautet: Erlaubt ist, was der eigenen Nation nutzt, Gemeinschaftsprojekte dienen dem Eigennutz, Einflussnahme von außen ist in jedem Fall abzuwehren, Alleingänge sind erlaubt.«

Von diesem Kodex hat auch der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Wend, gehört. Die Franzosen betrieben eine »erkennbar hemdsärmlige Industriepolitik« zu ihren Gunsten, sagt er. »Industriepolitik«, d.h. staatliche Unterstützung großer Konzerne, ist also offenbar etwas Schlimmes. Zwei Tage vorher allerdings hatte Franz Müntefering gesagt: »Ich bin für eine klare Industriepolitik für Deutschland.« Manche erinnern sich vielleicht auch noch, wie die vorige Bundesregierung mithalf, den Eon-Konzern durch die Ruhrgas-Übernahme zum Gasmonopolisten zu machen. Auch prahlen Politiker in Deutschland gern damit, dass sie in besonderem Maße die Interessen der Automobilindustrie vertreten.

Aber nicht immer ist deutsche Industriepolitik erfolgreich, vielleicht weil es noch keinen Kodex gibt. Wenig bekannt ist, dass Gerhard Schröder im Sommer 2004 gern die Postbank mit der Deutschen Bank fusioniert hätte. Der »Konsolidierungsprozess« bei den Privatbanken müsse »endlich ernsthaft« beginnen, bläute Schröder den begriffsstutzigen Monopolkapitalisten auf dem Sparkassentag im Mai 2004 ein. Eine Woche später gab es die ersten Gerüchte über die Übernahme der Postbank – sie scheiterte, wofür die Bundesregierung aber nichts konnte.

Was aber bezwecken die Franzosen eigentlich? Ein Kommentator der FAZ vermutet: »Nicht nur dass technisches Wissen für die Konstruktion von Flugzeugen unzweifelhaft auch militärische Aspekte hat; hier geht es auch darum, einen ›europäischen Champion‹ zu stützen und zu schützen, der – in Pariser Augen ein besonders wichtiger Effekt – dem amerikanischen Konkurrenten Paroli bietet.« Das aber wollen die Deutschen nicht weniger, und würde man von einem Politiker behaupten, er trenne Politik (»Rahmenbedingungen«) und Geschäft (»Arbeitsplätze«), hielte er das für Verleumdung.

Indessen hat Russland Interesse an einer engeren Zusammenarbeit mit EADS bekundet, zumal die Beziehung zu den USA derzeit als angespannt gilt. Verhandlungen zwischen der russischen staatlichen Fluglinie Aeroflot und Boeing über die Lieferung von 22 Flugzeugen des Typs 787 wurden Ende Februar abgebrochen, wie es heißt, aus politischen Gründen. Die USA hatten gegen die russische Waffenexportfirma Rosoboronexport und gegen den Kampfflugzeughersteller Suchoi Sank­tionen verhängt, weil sie mit dem Iran Geschäfte machen. Nun will Aeroflot bei Airbus ordern und möglicherweise auch seinen Anteil an dem Unternehmen erhöhen. Derzeit hält die russische Staatsbank Vneshtorgbank fünf Prozent der Anteile an EADS.

Der russische Präsident Wladimir Putin sagte am Mittwoch der vorigen Woche dem französischen Außenminister Philippe Douste-Blazy und der französischen Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie bei ihrem Besuch in Moskau, mehr Kooperation sei »interessant und nützlich«, nicht nur für die russischen Firmen, sondern auch für die europäischen Partner. Ja, die können Hilfe wirklich brauchen, und nicht nur technische.