Kinder, wie die Zeit vergeht!

Halb Anzeigen-Maschine, halb Klassentreffen. 20 Jahre nach dem ersten Heft erscheint Tempo noch mal als Jubiläumsausgabe. von jörg sundermeier

Am 13. Februar 1996 brach die Welt zusammen. Denn die Boyband Take That löste sich auf – und das Leben Tausender Pubertierender hatte plötzlich keinen Sinn mehr. Zwar konnte man sich mit Robbie trösten, dem schon zuvor aus der Band ausgetretenen bösen Buben, doch der ist mit seinen Tattoos, seinem x-ten Drogen­ex­zess, seinen Bemerkungen über Fürze beim Tanzen und seinen Dauerdepressionen nie der richtige Ersatz gewesen. Der gefallene Engel ließ alle nur noch mehr den Himmel ersehnen.

Doch die Band fand nicht wieder zusammen, jeder der vier vertrödelte ganz allein seine Zeit. Und unsere. Dieweil heirateten wir, die Ehe ging in die Brüche, wir bauten ein Haus und mussten es verkaufen, wir wurden gekündigt, woanders wieder eingestellt und träumten von der Zeit, in der alles gut war. So wie unsere Eltern, wenn sie die Beatles hörten, oder die Stones, die sich nie auflösen werden, nicht mal, wenn alle Gründungsmitglieder tot sind.

Dann aber, am 24. November dieses Jahres, hat uns Gott beschenkt mit etwas, das unsere Eltern nicht mehr bekommen werden, denn George und John sind tot, Paul vernichtet sich öffentlich, und Ringo schweigt schlau. Gary, Howard, Jason und Mark haben wieder zusammengefunden und eine neue Platte mit dem Titel »Beautiful World« veröffentlicht, die klingt wie alle Platten zuvor. Das ist das Licht, das in unser Dunkel scheint. Sofern wir höchstens 30 Jahre alt sind.

Sind wir schon 40, dann haben wir uns über ein anderes Weihnachtsgeschenk gefreut, denn es liegt eine neue Ausgabe von Tempo in unseren Händen, am Freitag erschienen, ebenfalls rund zehn Jahre nach der letzten Ausgabe. Tempo war in den zehn Jahren von 1986 bis 1996 eine Zeitgeistpostille, in der der »letzte Hipster« verhöhnt wurde, erklärt wurde, wie man einen Gummibären richtig verzehrt, und in der Haider gelobt wurde, als ihn gerade alle außerhalb Österreichs widerlich fanden.

Ihn zu loben, hatte Christian Kracht übernommen. Er ist die einzige Tempo-Berühmtheit, die in der Jubiläumsausgabe fehlt. Er ist eben immer der Blinde unter den Einäugigen; er pflegt die elitäre Einsamkeit, die er in Nordkorea oder hinter einem Krawattenknoten findet. Beinahe alle anderen jedoch sind auf Einladung des Tempo-Gründers Markus Peichl noch einmal zusammengekommen: Helge Timmerberg, Marc Fischer, Andrian Kreye, Thomas Hüetlin, Moritz von Uslar und die seinerzeit sehr beliebten Kolumnisten Uwe Kopf, Peter Glaser und Maxim Biller.

Sie alle haben ein Blatt geprägt, das zunächst tatsächlich neu war in Deutschland, das einen linksliberalen Gestus mit Mode und gutem Leben verband und mit all dem, was man damals unter Hedonismus verbuchte. Dort konnte Maxim Biller in einer Weise über Deutsch­land sprechen, die der Linken erst Jahre später von den Antideutschen beigebracht werden musste. Man wusste, dass die Sozialdemokraten Verräter waren, hasste Kohl, liebte allerdings seinen Führungsstil und verhielt sich immer so, wie es nicht erwartet wurde, also nicht »korrekt« – wobei »korrekt« eine Vokabel war, die es mit dieser Bedeutung noch gar nicht gab.

Selbstverständlich, das brachte die Liebe zur Oberfläche so mit sich, war Tempo sexistisch, vergötterte das jeweils aktuelle Supermodel, war Schwulen gegenüber eher vorsichtig ablehnend, verehrte Warhol zwar, doch nicht seine Radikalität, schätzte Literatur, wenn sie nicht zu schwer war, lehn­te die alten Herrenbünde ab und hielt den eigenen Herrenbund dagegen.

Dabei war Tempo zunächst nicht langweilig, manchmal erhellend, manchmal nur nett anzusehen, und es hatte durchaus den Effekt, die Linken wie die Modeopfer ein wenig aufzustören. Nicht wenigen hat Tempo den Weg hin zu Spex oder Konkret geebnet.

Nach der Wiedervereinigung wollte Tempo »seriöser« werden, zugleich aber konnte man sich von dem provokativen Gestus nicht verabschieden, den die Redaktion für identisch mit dem so verehrten New Journalism hielt. Daher schwenkte das Blatt nun immer öfter nach rechts aus, suchte den Kon­flikt mit der bisherigen Leserschaft, die ihrerseits aus der alten BRD ins neue Deutschland katapultiert worden war und das Beste daraus zu machen versuchte.

Die Tempo-Redakteure und -Autoren, die sich selbst wohl durchaus als Stars ansahen, wurden immer egozentrischer. Pech, dass Tempo keine dummen Leser hatte und nun keine dummen fand, die das mitmachten. Nachdem die Auflage auf unter 100 000 und damit um 50 Prozent gefallen war, stellte der Verlag die Produktion ein. Kaum jemand jammerte.

Denen, die nun das Jubiläumsheft gestaltet haben, das ausdrücklich keinen Neuanfang darstellt, sondern einen einmaligen, dekadenten Scherz, den allerdings die üppige Werbung finanziert, ist durchaus noch der alte Stil anzumerken. So verleiht man im Nahmen einer fiktiven »Nationalakademie« per Einladung die Ehrendoktorwürde an Prominente. Die in dem Begleitschreiben genannten Grundüberzeugungen der »Akademie« entsprechen dabei dem Programm der NPD. Die Mehrheit der Angeschriebenen lehnte dankend ab, einige sogar empört, andere, die man als Aufschneider kennt, also Udo Walz oder Dieter Bohlen, sagten zu. Dass dies die stillschweigende Akzeptanz von rechtsradikalen Ideen in der Mehrheit belege, ist jedoch ein bisschen zweifelhaft. Da gibt es bessere Tests.

Dennoch ist es ungewöhnlich, dass eine solche Scherzaktion von einem Hochglanzblatt initiiert wird. Maxim Biller verkündet in seiner Kolumne »100 Zeilen Hass«, der deutsche Nationalismus zwänge ihn dazu, das Land zu verlassen. »Ich werde dorthin ziehen, wo Autobusse in die Luft fliegen und Katjuschas vom Himmel regnen. Aber es wird mir trotzdem besser gehen.«

Diese Tempo-Redaktion ist allerdings zu sehr verzahnt mit den restlichen Medien, so dass sie sich Frank Schirrmacher, Benjamin von Stuckrad-Barre oder Gesine Schwan als Autoren einlädt und Kai Diekmann und Matthias Matussek zu Handyreportern macht. Heraus kommt viel Chichi und ein bisschen Porno. Kate Moss ist auf dem Cover, weil sich die älteren Herren an dieses Supermodel noch erinnern und es schon seit 1988 vernaschen möchten. Kate Moss ist aber auch auf den Covern der meisten in diesem Jubelheft beworbenen sonstigen Hochglanzpostillen.

Und der schale Witz ist noch schaler geworden. So wird Falco mit folgenden Worten als »Held« gekennzeichnet: »Seit Hitler der einzige Österreicher, der etwas in der Welt bewegte (TopTen in den USA schaffte Hitler allerdings nicht).« Das ist nicht böse, nicht aufrüttelnd, nur oll. So schreiben es dieselben Leute seit Jahren auch in allen anderen Medien, derer sie habhaft werden können. Tempo war nie tot, es hieß nur anders. Und die, die es vermisst haben und es eine »Legende« nennen, haben allesamt dafür gearbeitet. Das Jubiläumsheft ist ein Klassentreffen auf rund 400 Seiten.

Markus Peichl immerhin, der Begründer des Blatts und der größte Fan des Mythos, entwickelt übrigens gerade ein »Kulturmagazin« für einen großen Verlag. Der Arbeitstitel lautet: »Momo«. Ist das nicht süß?