In die Magengrube

Paul Rachman dokumentiert die Hardcore-Bewegung der achtziger Jahre. von tobias kirsch

Paul Rachman, der selbst aus der Szene stammt, konnte sich beim Drehen des Films auf viele alte Verbindungen verlassen. Die Inspiration für die Dokumentation bekam er durch das Buch »American Hardcore: A Tribal History« von seinem alten Bekannten Steven Blush. Dieser arbeitete für das einflussreiche Seconds-Fanzine und verfügt über zahlreiche Kontakte zur Szene. Zufällig trafen sich Steven und Paul im Jahr 2000 in New York auf der Straße, kurz bevor das Buch in den USA erscheinen sollte.

Im Jahr darauf ­begann Rachman mit den Arbeiten zu seiner Dokumenta­tion. Bei der Recherche ging er von Stevens Arbeiten aus, der den Film auch als Drehbuchautor unterstützte.

Als ehemaliger Musikvideoregisseur, vor allem für Grunge-Bands wie Alice in Chains oder Mudhoney, hätte Rachman einen ganz anderen Film machen können. Stattdessen hat er die formalen Mittel reduziert und sich auf Interviews mit den Protagonisten der Szene konzentriert sowie altes und seltenes Livematerial verwendet. Rachman spitzt es im Interview sogar noch zu, wenn er behauptet: »Ich wollte alles verlernen, was ich in 20 Jahren als Filmemacher gelernt hatte.« Das ist definitiv zu strikt formuliert, denn so amateurhaft wirkt »American Hardcore« dann auch wieder nicht.

Fast alle wesentlichen Bands, wie Minor Threat, Minutemen, Black Flag, Bad Brains oder SS Decontrol, tauchen im Film auf. So entsteht das differenzierte Bild einer Be­wegung, die der Widerstand gegen die Politik Reagans einte. Für die authentischen Livesequenzen konnte Rachman auf eine Menge eigenen Materials aus seinem Archiv zurückgreifen. Zudem wurden alte Bekannt­schaften wieder aufgefrischt. Dabei hat man sich gegenseitig viel geholfen, im Gegensatz zu anderen subkulturellen Szenen sei die Hardcore-Szene wenig von Intrigen geprägt, wie der Regisseur im Interview berichtet. Er wirkt dabei glaubwür­dig, und so soll auch sein Film wirken. Das gelingt ihm über weite Strecken, auch wenn nicht jeder interviewte Musiker explizit der Hardcore-Szene zuzurechnen ist. So stammt der ehemalige Pantera-Frontmann Phil Anselmo definitiv nicht aus der Szene, gibt aber wichtige Statements ab.

Rachman schlägt mit »American Hard­core« einen Bogen von den damaligen Aktivisten zu den Musikern, die auch heute noch bekannt sind. Neben den Sprachrohren der Szene wie Henry Rollins (Black Flag) und Ian Mac Kaye (Minor Threat) tauchen als heutige populäre Vertreter Bassist Flea (Red Hot Chili Peppers), Moby und Brett Gurewitz (Bad Religion, Epitaph Records) auf. Der Fokus liegt jedoch auf den Künstlern der damaligen Zeit, es gibt angenehmerweise keine Bevorzugung der bekannteren Bands. »Hardcore was not pretentious«, bringt der Regisseur diese Haltung auf den Punkt.

Rachman zeigt die Ursprünge von Grunge, Crossover und Neo-Punk auf. Wichtig war die Vernetzung der lokalen Szenen, die in den Achtzigern noch ohne Internet stattfand. So tauchen auch aus jeder größeren Stadt ehema­lige Szenegrößen in den Interviews auf und geben einen lebendigen Rückblick auf ein Milieu, das keine Kompromisse kannte und keinen Gedanken an die kommerzielle Verwertbarkeit der Musik verschwendete. Paul Rachman meint, dass es für die heutige Jugend viel schwieriger sei zu rebellieren. Ansätze für einen Widerstand sieht er allenfalls in der Antiglobalisierungsbewegung. Hardcore war für ihn typisch amerikanisch, auch die Mentalität des »Do it yourself« lebt von der Devise »Nichts haben und alles daraus machen«.

Im Film wird die Behauptung aufgestellt, dass Punk vorbei sei. Paul Rachman sieht das im Interview differenzierter: »Die Gründe, warum junge Musiker Punk machen, sind halt sehr unterschiedlich.« Durch die Kommerzialisierung des Punk war es möglich, mit der Jugendrebellion Geld zu verdienen.

Die Einstellung der Protagonisten von damals ist heute in dieser Form nicht mehr lebendig. Das Credo war »Nicht aufgeben«, die Szene lebte von einem starken Gefühl des »Nicht mit uns«. Die Jugend, die sich mit Hardcore identifizierte, wollte nicht in einem Amerika des Ronald Reagan aufwachsen und hatte eine klare Ethik der Abgrenzung und Kompromisslosigkeit. Für Paul Rachman ist Punk aber nicht endgültig vorbei. »American Hardcore« will die alten Underground-Ideale in die Öffentlichkeit bringen und einem jungen Publikum die Geschichte des Hardcore verständlich machen. Rachman möchte ihnen »die wahre Geschichte erzählen«.

Mit dem Film gibt er seiner eigenen Szene eine Legitimät zurück, die ihr in der Phase der Kommerzialisierung des Punk genommen wurde. Hier kommen die Kids von damals zu Wort, berichten von ihrer Wut auf das politische System und Präsident Reagan und erinnern sich selig an bessere Zeiten, als Konzerte noch sehr spontan in Garagen stattfanden und die Unterstützung der Fans ohne große Werbekampagne sicher war. Es geht um eine Zeit, als Werte wie Antifaschismus, Vegetarismus, Antisexismus und »DIY« wichtig wurden.

Ein kleines Problem dieses Films ist die schlechte Bild- und Tonqualität der Livesequenzen, die echte Fans jedoch nicht abschrecken wird. Trotz einer fehlenden Auseinandersetzung mit der Dominanz der Männer in der Musiker­szene und deren symbolischer Kampf­rhetorik ist »American Hardcore« ein lebendiges Zeugnis davon, wie kultureller Widerstand mit einfachen Mitteln möglich war. Ein großes Verdienst in Zeiten des religiösen und neokonservativen Rollbacks.

»American Hardcore« (USA 2006). Regie: Paul Rachman. Start: 14. Dezember