Amok, digital

Nach dem Amoklauf an einer Schule in Emsdetten wird wieder einmal ganz allgemein über ein Verbot von Ego-Shootern diskutiert. Dabei gibt es ganz verschiedene Computer-Ballerspiele mit jeweils unterschiedlichen Vorzügen. Ego-Shooter-Debatte? Die Jungle World diskutiert mit.

Enemies everywhere

Nach einer Einstiegssequenz, in der ein glatzköpfiger Herr erklärt, dass ein rechter Mann am falschen Ort Großes bewegen könne, wird man als Gordon Freeman auf den Bahnhof von City 17 entlassen, einer Stadt, in der es mit den Menschenrechten und dem Umweltschutz nicht zum Besten steht.

Schon diese erste Szene ist ästhetisch derart ansprechend gestaltet, dass die Rahmenhandlung sogleich in den Hintergrund tritt. City 17 hat den morbiden Charme einer Ostblock-Metropole, die von einer Diktatur beherrscht wird, welche irgendwie auch mit Aliens gemeinsame Sache macht. Zwar ahnt der Spieler, dass er dem monotonen Gequatsche aus dem Bahnhofslautsprecher mehr Aufmerksamkeit schenken sollte, denn schließlich stellt hier der Oberschurke Dr. Breen die neue Ordnung vor, doch das fällt nicht eben leicht, wenn man gleichzeitig von einem Milizionär genötigt wird, eine Getränkedose, die er selbst auf den Boden warf, in den Mülleimer zu werfen. Aber dann ist der Weg in den autoritären Überwachungsstaat endlich frei.

Dieser hat Freeman auf die Abschussliste gesetzt, und so befindet sich der Spieler allzeit auf der Flucht oder in Konflikt mit den Schergen des Bösen. Dabei steht ihm eine kleine Untergrund-Guerilla zur Seite. Doch selbst in gemeinsamen Kampf­handlungen trägt natürlich Freeman die Hauptlast beim Aufräumen. Die Gegner ins Jenseits zu befördern, ist in Half-Life 2 eher Nebensache. Die Entscheidung, einen der zahleichen Milizionäre des Oberschurken mit der Magnum umzunieten oder mit einem der liebevoll animierten Vehikel über den Haufen zu fahren, wird durch den eigenen Gesundheitszustand und den Stand der eigenen wie der gegnerischen Bewaffnung diktiert. Pathologisch Interessierten wird auffallen, dass beide Tötungsarten im Nachhinein zum selben Ergebnis führen.

claire sinn

Half-Life 2: Valve, 2004. Für PC. Etwa 20 Euro, FSK: keine Jugendfreigabe

Besonders geeignet für: Außenseiter, die nie bei der Jugend­ban­de mitmachen durften, Paranoiker und verhinderte Großstadtrevolutionäre

Kill the German

Sie wissen nicht, wohin mit der ganzen Gewalt in Ihnen? Sind auch Sie von zweifelsfrei antifaschistischer Gesinnung? Aber als isoliertes modernes Individuum denken Sie, dass es auf Sie nicht ankommt? Dann spielen Sie »Medal of Honor Allied Assault«! »Conviction. Duty. Honour. Can one man make a difference?« Aber sicher! Sie kämpfen im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis. Ihr Engagement wird den Krieg entscheiden. Unrealistischer Unfug? Mitnichten! Sie landen am D-Day in der Normandie, waten unter heftigem Beschuss durch die Dünung. Sie versuchen, eine der Panzersperren zu erreichen – die einzige Deckung hier. Granaten schlagen ein. Vom Druck werden Sie herumgeschleudert. Überall Leichen. Auf den Stahl Ihrer Deckung prasseln Salven deutscher MG-Stellungen. Wenn Sie es bis zum Strand schaffen und dort nicht auf eine Mine treten, sind Sie gut. Ihre Überlebens­chance geht gegen Null, fast wie an der realen Omaha Beach. Dort betrugen die Verluste in den ersten Stunden über 90 Prozent. Wie gut, dass Sie abspeichern können! Mit genügend Ausdauer schaffen Sie es, in den Verteidigungsbunker einzudringen, wo die Krauts Sie – auch in der englischen Version auf Deutsch – provozieren: »Ist das alles was du kannst, Ami?!«

Anders als das neoliberale »Counterstrike«, wo sich beliebig zusammenrottende Rackets gegenseitig abballern, bietet »Medal of Honor« die Vorzüge des guten, alten Fordismus: Linearität der Laufbahn, Eindeutigkeit der Ziele, klare Einteilung in Gut und Böse. »Die Deutschen müssen das Töten lernen«, titelte jüngst der Spiegel. Hier haben Sie die politisch korrekte Gelegenheit. Ganz antifaschistisch. Schießen Sie auf den Deutschen!

raul rheinlaender

Medal of Honor Allied Assault. Electronic Arts, 2002. Für PC. Unter zehn Euro. FSK: keine Jugendfreigabe

Besonders geeignet für: Hoffnungslose Romantiker, antideutsche Bellizisten, historisch interessierten Antifa-Nachwuchs

Seek and kill

Massenmörder sind uncoole Choleriker, die einen schlechten Tag haben und deshalb mit großkalibrigen Knarren durch einen McDonald’s rocken. Serienkiller hingegen sind gestörte Psychopathen mit Sexproblem und Hang zum Extravaganten. Serienmörder ohne gravierendes Sexproblem, aber dafür mit Geschäftssinn arbeiten als Profikiller. Ein nervenaufreibender und sehr anspruchsvoller Job – wie man in der vierteiligen Mörderspielserie »Hitman« lernen kann.

In einer düsteren Geschichte wird da der Auftragsmörder »Nummer 47« kreuz und quer über den Globus geschickt, um diverse Aufträge zu erledigen. Die Mission beginnt man stets in Arbeitskleidung: einem sehr schicken schwarzen Anzug mit Krawatte und Handschuhen. Das Handwerkszeug wird stilvoll im Geigenkoffer transportiert. Im Laufe einer Mission tauscht der Totmacher sein Outfit zumeist gegen eine passende Verkleidung. So schleicht er mal unauffällig als Koch umher und vergiftet das Essen, mal verkleidet er sich als Arzt und schnippelt bei einer Bypass-Operation munter mit, und ein anderes Mal spielt er den Chauffeur, um unauffällig eine Autobombe zu platzieren. Die Gegner geben dabei recht realistisch den Löffel ab. Ein Kopfschuss mit dem Scharfschützengewehr bewirkt den sofortigen Exitus, bei unsauberen Treffern oder der Bearbeitung eines Gegnersmit stumpfen Gegenständen gibt es hingegen eine ziemliche Sauerei. Verwundete liegen zuckend in großen Blutlachen herum, schreien und betteln laut um ihr Leben. Das nervt, denn bei dieser Mordsimulation ist leises Vorgehen gefragt. Nur wer möglichst wenig Aufmerksamkeit beim Töten erregt, den Bodycount klein hält, die Leichen versteckt und das Ganze wie einen bedauerlichen Unfall aussehen lässt, bekommt die Auszeichnung »Silent Assassin« und eine Prämie. Von dem Geld kann man sich dann hübsche neue Präzisionsmordwerkzeuge kaufen.

jesse-björn buckler

Hitman: Blood Money. Eidos, 2006. Für PC, PS2 und XBox 360. Etwa 30 Euro bzw. 40 Euro. FSK: keine Jugendfreigabe

Besonders geeignet für: Kryptopsychopathen und Freunde der eiskalten, mit der Hingabe eines wirklichen Künstlers vollendeten Rache

The good one

Counter-Strike ist ein bisschen wie Deutschpunk: ein Ding, das in ganz besonderer Weise gelangweilte 15jährige Vorstädter anspricht und ihre Herzen mit Freude erfüllt. Selbst die verkommensten meiner verkommenen Bekannten reagieren mit einer Mischung aus nostalgischem Augenglänzen und Abwinken: Ja, früher habe man ganze Nächte durchgezockt, aber heute komme das nicht mehr in Frage. Tatsächlich hat das Spiel, das immer wieder für Amokläufe verantwortlich gemacht wird, ein paar Jahre auf dem Buckel. Die erste Version ist gut sieben Jahre alt und spielt sich dementsprechend wie, nun ja, ein sieben Jahre altes Computerspiel.

Das Prinzip ist schnell erläutert: Entweder platziert man als Terroristengruppe Sprengfallen und bewacht eine Geisel oder entschärft als Counter-Terroristenteam Bomben und versucht, die Geisel zu befreien. Dazu ist Zusammenarbeit notwendig, unterstützt durch quakendes Teamspeak und viel »LOL! ROFL! OMG!« im Gruppenchat. Das war’s. Töten ist nicht mal notwendig, um das Ziel zu erreichen. Es gibt keine Schulmädchen, die es umzubringen gilt, ganz gleich, wie oft es in der Presse verbreitet und immer wieder abgeschrieben wurde.

Bei der in Deutschland ab 16 Jahren freigegebenen Version können Getroffene nicht einmal sterben. Sie setzen sich lediglich auf den Boden und schütteln traurig den Kopf. Eine Umfrage unter Spielern, ob sie Karten erstellten, anhand deren sie ihre Gewaltphantasien planen, ergab ein klares Ergebnis: Nein, eine Karte der eigenen Schule habe man nie angefertigt. »Meistens ist das nicht notwendig, jemand anderes hat das schon getan, und das kann man dann benutzen.« Leicht beeinflussbare Jugendliche lernen von Counter-Strike vor allem eins: Nur gemeinsam sind wir stark. Pädagogischer geht’s nicht.

jens ohlig

Counter Strike Anthology: Electronic Arts, 2005. Für PC. Etwa 15 Euro. FSK: 16

Besonders geeignet für: Jungs, die sich gern mit anderen Jungs vergnügen und es dabei echt jungsmäßig mögen