Mann ohne Plan

Bushs Irak-Politik in der Kritik von anton landgraf

John Murtha gilt als ehrenwerter Mann. Er kämpfte im Korea-Krieg und in Vietnam, wurde hoch dekoriert und sitzt seit 30 Jahren für die Demokraten im Kongress. Seit kurzem gilt er auch als Nestbeschmutzer. Auf einer Pressekonferenz Mitte Mai in Washington D. C. beschuldigte er US-Marines, im November 15 irakische Zivilisten getötet zu haben, darunter eine sechsköpfige Familie. Diese wurden nicht, wie zunächst offiziell behauptet, Opfer eines Anschlags mit anschließendem Schusswechsel, sondern »von unseren Truppen kaltblütig erschossen«. Inzwischen hat das Marinekorps eine Untersuchung eingeleitet, und es liegen Fotos vor, die Murthas Anschuldigungen offenbar bestätigen.

Es sind Berichte wie diese, die den US-Präsidenten George W. Bush immer mehr in Bedrängnis bringen. Einer Umfrage zufolge unterstützt gerade mal noch jeder vierte US-Bürger seine Politik. Sein einziger Vorteil besteht wohl darin, dass sein Ansehen bis zu den Wahlen im November ohnehin kaum mehr sinken kann. Nur Richard Nixon war am Ende seiner Amtszeit noch unbeliebter. Und es vergeht kaum eine Woche ohne weitere hässliche Neuigkeiten.

Bush selbst bezeichnete in der vergangenen Woche ungewohnt selbstkritisch die Vorgänge in dem Gefängnis Abu Ghraib als den »schlimmsten Fehler« der USA im Irak. »Dafür haben wir lange bezahlt«, sagte er nach einem Gespräch mit dem britischen Premierminister Tony Blair im Weißen Haus. Nur wenige Tage zuvor hatte in Ford Meade im US-Bundesstaat Maryland der Prozess gegen Santos Cardona begonnen, einen ehemaligen Wärter im Gefängnis Abu Ghraib. Zwar gab es schon einige Verfahren wegen der Übergriffe in dem Gefängnis. Aber dieses Mal soll mit Jeffrey Miller ein ranghoher General aussagen, der im Jahr 2003 von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld von der US-Basis Guantánamo Bay nach Bagdad geschickt worden war. Miller habe dort die psychologischen Verhörmethoden der CIA perfektioniert, schreibt Alfred McCoy in seinem kürzlich erschienenen Buch über Folterpraktiken. Damit sitzt zum ersten Mal, zumindest indirekt, auch der Verteidigungsminister mit auf der Anklagebank.

Schwerwiegender als diese Skandale wiegt aber für viele US-Bürger vor allem eine Tatsache: dass sich der ganze Aufwand bislang nicht gelohnt hat. Die Vorfälle in Abu Ghraib, Guantánamo oder im afghanischen Bagram haben zwar die moralische Reputation der US-Regierung ruiniert, einen nachweisbaren Fortschritt beim Wiederaufbau des Irak oder im »Krieg gegen den Terror« konnten sie jedoch nicht bewirken. Im Gegenteil.

Eine große Mehrheit der Amerikaner glaubt mittlerweile nicht mehr, dass Bush über einen Plan für den Irak verfügt. Die neue irakische Polizei, die für die US-Nachkriegspläne äußerst wichtig ist, sei eine »böse zugerichtete und dysfunktionale Truppe, die dabei mitgeholfen hat, den Irak an den Rand des Bürgerkriegs zu bringen«, urteilte in der vergangenen Woche die New York Times.

Auch die Kritik an den innenpolitischen Maßnahmen wird schärfer. Der Vorsitzende des Justizausschusses im Senat, Arlen Specter, bezeichnete die kürzlich bekannt gewordenen Abhöraktionen des Geheimdienstes NSA als »Big-Brother-Programm«. Zuvor hatte die Zeitung USA Today berichtet, dass der Geheimdienst nicht nur die Gespräche von Terrorverdächtigen abhört, sondern sich auch aller Verbindungsdaten der großen Telefongesellschaften bemächtigt hat.

Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich die öffentliche Wahrnehmung solcher Aktionen bis zu den Kongresswahlen im Herbst noch korrigieren lässt. Denn der Eindruck wächst, dass Inkompetenz generell ein Merkmal dieser Regierung ist.