Die Welt zu Gast bei mir

doris akrap hat nichts dagegen, ihre Wohnung während der Weltmeisterschaft zu vermieten. Besonders willkommen sind ihr zahlende englische Gäste

Der Anblick der Käufer bei Ikea kann sensible Menschen in schwere Depressionen stürzen. Obwohl diese Einrichtung ein kleinbürgerliches Paradies darstellt – hier noch ein Leselämpchen und dort noch ein Plastikschüsselchen! – sieht die Mehrheit der Kunden zutiefst unglücklich aus. Wohl deshalb befindet sich hinter den Kassen, an denen die Unglücklichen viel Geld für unnützen Plunder ausgeben, ein Bereich, in dem Schokolade und Wurst zu niedrigen Preisen feilgeboten werden. Wer etwas im Magen hat, produziert eventuell noch ein paar Glückshormone, die er dafür benötigt, sich über das neu erworbene Inventar für die eigenen vier Wände zu freuen. Zuhause bin ich König! Für diese größte aller kleinbürgerlichen Idyllen hält die deutsche Sprache ein unübersetzbares Wort bereit: die Gemütlichkeit. Bekanntlich bedeutet die Kehrseite dieser Gemütslage, die sich mit den Worten »Ich werd’ gleich ungemütlich!« ankündigt, eine Bedrohung für Leib und Leben anderer Leute.

Selbst in der ordentlichsten linken »Wohngemeinschaft« – noch so ein unübersetzbarer urdeutscher Ausdruck – trifft man auf diese beklemmende Gemütlichkeit. In der »Gemeinschaftsküche« steht ein »Gemeinschaftssofa«, und wer es sich dort nicht wenigstens die Hälfte der Woche über gemütlich macht, ist ein Spielverderber, ein »Sozial­arsch« und wird eher früher als später aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.

Zu dieser »alternativen Wohn- und Lebensform« gehört, dass man seinen »Hintern nicht verkauft«, niemals eine Putzhilfe anstellen würde und Menschen als »Spießer« bezeichnet, die sich kein »Ivar«-Kellerregal ins Zimmer stellen und die es vorziehen, beim Besuch der Toilette nicht auf Piktogramme wie »Stehpisser« oder »Nazis verboten« zu stoßen. Zwar hatte gleichzeitig zur ökonomischen Krise und der Suche nach den letzten bezahlten Jobs erfreulicherweise das Thema Wohnen eine Konjunkturschwäche. Doch in Zeiten, in denen man wieder zum Wohnen kommt, weil man sonst nichts zu tun hat, nimmt das Gerede über die Wohnverhältnisse wieder zu. Und es gibt kein Thema, über das WG-Bewohner lieber und häufiger reden würden als ihre Wohnung.

Ob WG oder linker Spießer in der Einzimmerwohnung, man fordert »offene Grenzen« und gibt sich »internationalistisch«. Sobald es aber um die eigenen vier Wände geht, ist die Welt kein gern gesehener Gast mehr. Wohngemeinschaften verlangen die fristgemäße Ankündigung von Besuch, der, sollte er länger als drei Tage verweilen, auch um einen Beitrag zur Miete gebeten wird. Der vereinzelte linke Spießer wiederum hat so­eben seine Topflappen­samm­lung aus dem mütterlichen Keller in sein Apartment transportiert und kann es nicht in Kauf nehmen, dass sie von einem Eindringling beschädigt wird. Und den Fußballfan kann sich der gemeine Wohnungsinhaber nicht anders vorstellen als in der Gestalt eines blind um sich schlagenden Faschisten.

So wie es viele Gründe gibt, Deutschland im Allgemeinen und WGs im Besonderen zu verlassen, so gibt es auch viele Gründe, sich der Fußballweltmeisterschaft zu entziehen. Allen voran der schwarz-rot-goldene Plastikramsch und der unheimliche Gemeinschaftsruck, der unter anderem im Boom der Bettenbörsen Ausdruck findet.

Im Internet werden verschiedene Schlaf- und Wohnmöglichkeiten zur WM angeboten. Man wolle »weg vom Kommerz der Spiele« und fordert deshalb alle dazu auf, ihre warmen Betten »mit Familienanschluss« für die Sache der »Völkerverständigung« und des »interkulturellen Kontakts mit Fans« herzugeben. Möglichst sollen die Bettengeber keine Miete verlangen, sondern sich mit einer Kiste Bier oder einer Gegeneinladung des Gastes zufrieden geben. Doch zum Leidwesen der gastfreundlichen Bettenbörsen gibt es schwarze Schafe, die noch aus dem letzten Quadratmeter Kapital schlagen wollen.

Es gäbe also allen Grund, diese scheinheilige Freundlichkeit zu verspotten. Schließlich sind die Gäste nur so lange willkommen, wie es sicher ist, dass sie wieder gehen. Allein, das besorgen die Nazis schon, und den Fan aus Togo muss man nicht mehr darüber informieren, dass es in Deutschland lebensgefährlich sein kann, eine dunklere Hautfarbe zu haben. Anders, als die deutschen Wohnungsinhaber befürchten, wird die dritte Halbzeit nicht bei ihnen zuhause stattfinden, sondern in den ostdeutschen No-Go-Areas.

Es bleibt also nur eins: Die schwarzen Schafe vermehren und die Mieten in die Höhe treiben. Und wenn der Obolus für die Unterkunft erst eingestrichen ist, spricht nichts dagegen, mit englischen Fußballfans auf das deutsche Vorrundenaus zu trinken.