Pack das Glück beim Schopfe!

»Das Prinzip Sicherheit« – Wolfgang Sofsky verteidigt in seinem Essay die Freiheit mit Kalendersprüchen. von michael saager

Sicherheit ist wichtig. Das war vermutlich immer so. Wer fürchtet schon gerne um sein Leben? Nun ist die Nachfrage nach Sicherheit in den vergangenen Jahren offensichtlich gestiegen. Die Angst vor Arbeitslosigkeit, Armut und Armutsflüchtlingen, vor Kriminalität und Terror wächst. Dementsprechend laut sind die Debatten über zu treffende Sicherheitsvorkehrungen. Beinahe so laut wie das Angst schürende Gerassel der Medien. Und obwohl also derzeit viel über Sicherheit geredet wird, bleiben doch einige elementare Fragen offen. Der Göttinger Soziologe Wolfgang Sofsky hat das erkannt.

Wer als Soziologe nach Grundsätzlichem fragen möchte, kann das auf verschiedene Weise tun. Er kann etwa konkrete historische Ereignisse genauer in den Blick nehmen und so Grundlegendes über Vergesellschaftungsprozesse herausfinden. Sofskys Vorgehen ist ein anderes: Der Autor der düster raunenden Werke »Traktat über die Gewalt« und »Zeiten des Schreckens« arbeitet ausschließlich am Elementaren; historische Details dienen lediglich als Anschauungsmaterial für eine anthropologisch orientierte Soziologie, die bereits alles darüber zu wissen meint, was die soziale Welt im Kern zusammenhält oder wie es um die menschliche Natur im Allgemeinen bestellt ist. Wozu sich mit der unbequemen und arbeitsaufwändigen soziologischen Analyse von Einzelheiten aufhalten?

Sofskys Buch beginnt mit der Schilderung verschiedener Katastrophen: des Erdbebens in Lissabon 1755; des Börsenkrachs 1929; der Katastrophe von Tschernobyl 1986; des 11. September 2001. Anschließend schreibt der Autor über Gefahren und Wagnisse, scheidet Angst von Mut und Risikolust, flicht allerhand soziale Komplikationen (Argwohn, Vertrauen, Distanz und Verrat) in seinen Essay, bevor er schließlich bei den größeren Themen Staat, Krieg, Terror und Freiheit landet. Er schreibt: »Restlose Sicherheit ist eine Illusion. Zeit ihres Lebens sind Menschen von Gefahren umstellt. Kaum ein Verhalten ist gänzlich ohne Risiko.« Da hat er natürlich Recht. Und Recht hat er auch hiermit: »Wäre die Zukunft bekannt, gäbe es weder Risiken noch Entscheidungen.« Ganz zu Beginn heißt es: »Katastrophen führen vor Augen, wie unsicher die Fundamente sind, auf denen Menschen ihre Welt errichtet haben.« Genau! Und deshalb sei Sicherheit »das Grundproblem des Gattungswesens«. Niemand da, der Sofsky widersprechen wollte.

Schon gar nicht solchen Aussagen: »Unglück stürzt Menschen in Ratlosigkeit.« Oder: »Nicht jeder ist vertrauenswürdig.« Eben dies ist das Problem im ersten Teil des Buches: Es ist eine einzige, nicht enden wollende Aneinanderreihung von Plattitüden und Allgemeinplätzen, die kein Mensch braucht, weil sie keinerlei Erkenntnisgewinn nach sich ziehen, eine Nullsummensoziologie in Hauptsätzen, die klingen wie autoritäre Kalendersprüche, gemeißelt in Pudding. Offenbar ist Sofsky über seinen zahlreichen Veröffentlichungen denkfaul geworden. Zumindest hätte er wissen können: Wer sich nicht für empirische Details interessiert, sondern lediglich lakonische Aussagen über das Allgemeine im Besonderen treffen möchte, braucht einiges an Scharfsinn, damit es sich wenigstens originell liest.

Nicht wesentlich ertragreicher, dafür streitbarer ist der zweite Teil des Buches. Wenn Sofsky über den modernen Terror schreibt, er sei »wahllos, ziellos und unberechenbar«, so liegt der Widerspruch auf der Hand. Und wenn er idealtypisch den Marodeur vom Soldaten scheidet, indem er den einen als blindwütigen, dummen Feigling beschreibt, den anderen als ehrenhaften Krieger voller »Schneid, Klugheit und Opfermut«, soll ihm das ein Landserhefte verschlingender Burschenschaftler ruhig glauben. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Was Typologien über Heckenschützen, Selbstmordattentäter, Freischärler etc. in einem Essay über Sicherheit zu suchen haben, bleibt überdies völlig unklar. Und so ist es in weiten Teilen des Buches: Der Autor verliert sein Thema aus den Augen und klatscht stattdessen kurzerhand leicht variierte Passagen aus älteren Büchern auf die Seiten. Insofern stellt »Das Prinzip Sicherheit« ein überflüssiges Stück Wiederholung dar.

Sofsky trifft auch politisch-moralische Aussagen. Das Buch ist nicht zuletzt eine Ode an die Courage; der Risiken scheuende Kleinmut der Bürger geht dem Soziologen auf die Nerven. Deshalb schreibt er: »Nur auf den Mutigen ist unter allen Umständen Verlass. Wer nicht bereit ist, Nachteile auf sich zu nehmen, stellt sein Engagement, seine Überzeugungen und seine Berechenbarkeit in Frage. Ohne Courage keine Glaubwürdigkeit. Manchmal bedarf es eines ungestümen Zugriffs, um das Glück beim Schopfe zu fassen. Denn zuletzt ist es der Mut, welcher der Tücke des Geschicks zu widerstehen sucht.« Das liest sich nicht nur wie von vorgestern, es hängt auch wie blöd in der Luft. Woher diese Courage kommen soll in einer Welt, die es – wie Sofsky schreibt – gründlich verlernt hat, »Risiken zu nutzen und neuen Gefahren ohne Illusionen zu begegnen«, behält der unerschrockene, auf Schritt und Tritt mit soldatischen Tugenden liebäugelnde Soziologe für sich. Wie kommt er eigentlich darauf, dass die Menschen je mutiger waren?

Zum Komplex Courage gehören schließlich auch Sofskys Ideen zur Freiheit. Freiheit bedeutet für ihn das Recht, »unbehelligt zu bleiben«. Was gar nicht leicht ist, denn behelligt wird der Bürger auf Schritt und Tritt, vor allem von den Zudringlichkeiten des Vorsorge- bzw. Sicherheitsstaates. Über die Demokratie unserer Gesellschaft schreibt Sofsky deshalb: »Von einem Mehrheitsregime, das von den Leidenschaften der Sicherheit beseelt ist, hat die Freiheit nichts zu erwarten.« Wer hätte das gedacht! Und was möchte Sofsky? Den Sicherheitsstaat abschaffen, der sich doch immerhin anschickt, Zugriffe von außen zu verhindern, zum Wohle der Bürger drinnen? Das wohl nicht. Wir Leser sollen nur nicht erwarten, der Staat würde Freiheit verbürgen. Keine Bange, tun wir nicht. Und wenn es ganz arg werden sollte mit den sicherheitsstaatlichen Zugriffen, dann denken wir an Sofskys Desiderat der Courage, überwinden kurzerhand unsere lähmende Angst, schreien »Attacke!« und alles wird gut.

Wolfgang Sofsky: Das Prinzip Sicherheit. Fischer, Frankfurt 2005, 176 Seiten, 16,90 Euro