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»Die Idioten« und ihr Idiotentest

Kulturkanon. Dänemark muss man sich als glückliches Land vorstellen, denn das kleine skandinavische Land hat nun etwas, wovon unsere Nationalkonservativen nur träumen können: einen unbedingt verbindlichen und unantastbaren Kulturkanon. Dieser Kanon ist nicht eine von irgendwelchen »Literaturpäpsten« und eifrigen Feuilleton-Redaktionen zusammengeschusterte Liste mit Empfehlungen für Eltern und Pädagogen, sondern der offizielle staatliche Versuch, dänische Kultur in ein Ranking zu pressen und in »wichtig« bis »weniger wichtig« bzw. »völlig wertlos« einzuteilen.

Die dänische Mitte-Rechts-Regierung versucht, mit ihrem Kanon der 108 Meisterwerke das zu tun, was nationale Kanonbildungen immer im Sinn haben: die »Identität« des eigenen Landes zu definieren und sich gegen äußere Einflüsse und kulturelle Strömungen abzugrenzen. Was die Dänen für ein Volk sind, so die Idee dahinter, soll man an ihren Filmen, Büchern, Kunstwerken und ihrer Musik erkennen. Zur Debatte steht in Dänemark auch das Verfahren, künftige Migranten vor ihrer Einbürgerung nach diesem Kulturkanon abzufragen.

Natürlich gab es in Dänemark viele Debatten über den Sinn und Unsinn eines solchen Kanons, aber auch darüber, wer Eingang darin findet und aus welchen Gründen und wer nicht. Diese Diskussionen mögen nun zwar weitergehen, werden aber nichts daran ändern, dass der dänische Kanonausschuss seine Liste vorerst unwiderruflich zusammengestellt hat. Die Kenntnis dieser 108 dänischen Kulturklas­siker wird den Dänen nun förmlich eingebläut werden. An Schulen soll künftig der Kanon gelehrt und dänische Kulturinstitute sollen fortan nach ihm ausgerichtet werden.

Es ist schon ulkig, Europa will stärker zusammenwachsen, doch gleichzeitig werden die europäischen Kulturen nationalisiert. Überall sucht man nach dem »Eigenen«, um sich wenigstens kulturell gegen die Globalisierung behaupten zu können. Wie unfassbar lächerlich das ist, wird da etwa deutlich bei der Wahl der Platte »Aura« unter der Kategorie »Populärmusik« in den dänischen Kanon. Eine Jazzplatte von Miles Davis, die ganz bestimmt nicht seine beste ist, soll der Däne deswegen hören, weil die Musik von dem dänischen Flügelhornisten Palle Mikkelborg komponiert wurde. Gerade der Jazz wollte immer Grenzen, auch kulturelle, überwinden, gerade diese späte Platte von Miles Davis beweist, welch universelle, kulturelle Schranken überwindende Musik der Jazz ist. Man sollte sie eigentlich nicht in ein kleinbürgerliches nationales Korsett ste­cken. (aha)

Keine Kapazitäten

Gerichtsurteil. Im Rechtsstreit zwischen dem Verleger Abraham Mel­zer und Henryk M. Broder um die Frage, ob sich Juden in Deutschland gegenseitig als ausgemachte Antisemiten beschimpfen dürfen, hat mit einem Teilsieg Melzers ein vorläufiges Ende gefunden. Broder will sich jedoch mit seiner Niederlage vor Gericht nicht zufrieden geben und hat angekündigt, in Berufung gehen zu wollen.

Er darf jedoch vorerst nicht mehr behaupten, Melzer fülle »Lücken« im Antisemitismus mit »braunem Dreck«. Außerdem darf er Melzer und seinen in seinem Verlag publizierenden Autoren Hajo Meyer nicht mehr als »Kapazitäten für angewandte Judäophobie« bezeichnen. Die Überschrift eines Artikels, die Broder in einem Text über Melzer und Meyer verwandte (»Wie zwei Juden für die Leipziger den Adolf machten«), wurde vom Gericht jedoch nicht inkriminiert, da sie nach Meinung der Richter eine Meinungsäußerung und keine Schmähkritik sei.

Als Schmähung wurden dagegen die anderen Äußerungen Broders eingestuft. Hinsichtlich seines Vorwurfs, Melzer und Meyer verbreiteten »braunen Dreck«, hieß es seitens des Gerichts: Wer »einer Person eine nationalsozialistische Gesinnung in Form von Antisemitismus zuschreibt, impliziert, dass diese Person die im Namen des Nationalsozialismus an den Juden begangenen Verbrechen gutheißt«. In Deutschland, so das Gericht, könne dies »nur diskreditierend verstanden werden«. Die Formulierung Broders, Melzer und Meyer seien »Kapazitäten für angewandte Judäophobie«, wurde deswegen beanstandet, weil hier jemand als »vermeintlich besonders großer Antisemit gekennzeichnet und erheblich diskreditiert« werde. (aha)

Ein Guter weniger

István Szabó. Der ungarische Regisseur István Szabó hat einen Bericht der ungarischen Literaturzeitschrift Élet és Irodalom bestätigt, in dem ihm vorgeworfen wurde, in den fünfziger Jahren als Student der Theater- und Filmhochschule Budapest unter einem anderen Namen für den ungarischen Geheimdienst gearbeitet zu haben. Szabó ist der wohl renommierteste Regisseur Ungarns, für seinen Film »Mephisto« mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle bekam er 1981 den Oscar. Szabó rechtfertigte in einer ersten Stellungnahme seine Arbeit für die ungarische Stasi damit, dass er Teilnehmer des ungarischen Aufstands von 1956 vor der Aufdeckung und dem sicheren Tod gerettet habe. (aha)

Natur und Handy

Handy-Studie. Der schon wieder ein wenig aus der Mode gekommene Medientheoretiker Marshall McLuhan sprach davon, dass die Technik zunehmend Teil von uns selbst werde und den Körper erweitere. Wahrscheinlich hatte er Recht. Zu diesem Schluss kommt man zumindest, wenn man das Ergebnis einer Studie betrachtet, die von der britischen Telekommunikationsfirma Virgin Mobile in Auftrag ge­geben wurde. Demnach fühlten sich von 2 000 Befragten die meis­ten schon nach kurzer Trennung von ihrem Handy unter Stress gesetzt. 90 Prozent der Befragten gaben an, mindestens einmal pro Stunde ihr Handy zu benutzen. Vier von fünf der Befragten gaben an, sich unwohl zu fühlen, wenn sie ihr Handy nicht in Reichweite hätten, und 84 Prozent meinten, sie ließen ihr Kommunikationsspiel­zeug sowieso niemals aus den Augen. Das Handy, so scheint es, gehört zum modernen Menschen wie seine Nase oder seine rechte Hand. (aha)