Attacke oder Wechsel

Neue Chefs bei Le Monde Diplomatique

Das Wortspiel war nicht sehr elegant. »Diplomatische Attac(ke) an der Spitze von Le Monde diplomatique« titelte die Pariser Tageszeitung Libération am vorletzten Wochenende. Sie behauptet, die politischen Richtungsstreitigkeiten beim französischen Dachverband von Attac hätten jetzt auch zu wichtigen personellen Veränderungen bei der Monatszeitung geführt, die von ihren Freunden oft liebevoll »le Diplo« genannt wird.

Die Frage des Internationalismus und der Nähe oder Ferne zu Nationalstaaten bildet eines der wichtigen Streitthemen bei Attac Frankreich. Der Attac-Ehrenvorsitzende Ber­nard Cassen beispielsweise möchte eine Rückkehr zu einer stärker durch Nationalstaaten regulierten Weltwirtschaft propagieren. Er ist mit dem ehemaligen Innenminister der Jahre 1997 bis 2000, dem Linksnationalisten Jean-Pierre Chevènement, befreundet. Hingegen streben andere Kräfte, etwa viele Gewerkschafter, eine weltweite Zusammen­arbeit sozialer Bewegungen »von unten« als Gegenstrategie zum internationalen Wirtschaftskrieg in Gestalt der »Globalisierung« an. Zum Zusammenstoß kam es 2004, als Cassen eine eigene Liste zu den Wahlen zum Europa-Parlament aufstellen wollte, um eine »umorientierte« EU als Bollwerk gegen den Neoliberalismus zu propagieren. Nach heftigem Druck von Attac musste er die Kandidaturpläne zurückziehen.

Libération behauptet nun, sowohl der im November erfolgte Rücktritt des bisherigen »Diplo«-Chefredakteurs Alain Gresh als auch der seines Stellvertreters Dominique Vidal stünden in direktem Zusammenhang mit diesem politisch-ideologischen Konflikt. Die Zeitung, die redaktionell dem Mehrheitsflügel der ­franzö­si­schen Sozialdemokratie nahe steht – dieser ist seit dem Referendum über die EU-Verfassung mit Attac verfeindet –, dechiffriert diese Ereignisse folgendermaßen: »Alain Gresh und Dominique Vidal positionieren sich in einer Strömung der ›internationalistischen Linken‹, die gegen eine Chevènement nahe stehende oder ›nationalrepublikanische‹ Strömung opponiert«. Bei letztgenannter finde man den Attac-Ehrenvorsitzenden und Diplo-Redakteur »Bernard Cassen und auch den neuen Chefredakteur Maurice Lemoine wieder«.

Dieser Deutung der jüngst erfolgten personellen Besetzungen nach dem Muster eines politischen Strömungsstreits widerspricht Maurice Lemoine heftig. Der Lateinamerika-Spezialist sagte der Jungle World, die Veränderungen innerhalb der Redaktion hätten keinen ideologischen Hintergrund. Da ein Chefredakteur die unterschiedlichen Positionen, die es innerhalb der Zeitung gebe, miteinander verbinden müsse, sei diese ohnehin anstrengende Aufgabe mit hohem Druck verbunden. Alain Gresh habe einfach mal etwas anderes machen wollen. »Er kümmert sich jetzt um die Entwicklung unseres Internetauftritts und Dominique Vidal um die internationalen Ausgaben unserer Monatszeitung.« Damit gehe keine Veränderung des politischen Spektrums einher, das sich in Le Monde diplomatique widerspiegele. Er selbst, Lemoine, erkenne sich in einer Einstufung als »na­tio­nal-republikanisch« auf keinen Fall wieder, er sei davon »belustigt«.

Die Auswirkungen der personellen Veränderungen bleiben abzuwarten. Dafür, dass die Interpretation der Umbesetzungen durch Libération zumindest holzschnittartig erfolgte, spricht die Ernennung des Hochschullehrers Serge Halimi zum neuen stellvertretenden Chefredakteur. Er hat eher eine staatskritische Überzeugung im Vergleich zu den etatistischen Freunden Chevènements.

bernhard schmid