Ich will doch nur spielen

Machtkampf nach der Wahl von ivo bozic
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Was war das für ein Hype! Dabei hätte das Ergebnis der Bundestagswahl kaum langweiliger ausfallen können. Im Voraus war klar, es wird knapp für Schwarz-Gelb. Eine Große Koalition stand seit Schröders Neuwahl-Coup auf der Tagesordnung. Überraschend war lediglich, dass es für die CDU so eng werden würde, weil viele ihrer Sympathisanten diesmal lieber taktisch mit der Zweitstimme FDP wählten, also bewusst und erstaunlich demokratiegeschult gegen eine Große Koalition votierten.

Dass plötzlich »alles für möglich gehalten« wurde, von »Chaos« und »Krise« die Rede war, auf einmal wilde Farbspielereien, Ampeln, Schwampeln, Jamaika- oder Israel-Koalitionen verhandelt werden, ändert nichts an der Aussage dieser Wahl: Abgesehen von der Linkspartei stehen alle Parteien im Parlament für Sozialkürzungen, und die Wählerinnen und Wähler haben nur zwischen Pest und Cholera entschieden. Und auch der Erfolg der Linkspartei geht nicht auf eine linke Offensive, sondern auf ihre auch durch Lafontaine bedingte Etablierung im Mainstream zurück.

Von einer Krise des politischen Systems kann nicht die Rede sein. Wenn heute Grüne, Liberale und Christdemokraten über eine Koalition nachdenken, dann ist das nicht mehr als ein Ausdruck davon, dass endlich zusammenwächst, was zusammengehört. Alle Parteien im Bundestag – auch die Linkspartei – sind mit allen anderen kompatibel, also auch koalitionsfähig. Alle Parteien bemühen nationales Pathos, wollen Deutschland eine wichtige weltpolitische Rolle als »Friedensmacht« auferlegen, das Sozial- und das Steuersystem reformieren, Arbeitsplätze schaffen, das Land im globalen Wettbewerb »fit machen«, Frauen stärken, Kinder fördern und so weiter.

Nun kann man einwenden, gerade dies, gerade die Ähnlichkeit der Programme und Konzepte offenbare die Legitimationskrise der Parteien, ja des gesamten Systems, weil es keinerlei Perspektive für einen demokratischen Politikwechsel gebe. Aber war das denn vor beispielsweise zehn Jahren wirklich anders?

»Aber die Linkspartei«, rufen nun die Linken, im Hinblick auf deren Verdopplung des Stimmanteils. »Gerade die Linkspartei!« ist ihnen entgegenzuhalten. Sie bindet jedes soziale Aufbegehren ein, kanalisiert systemkritischen Protest und Wut in Forderungen wie der, die Binnennachfrage zu stärken. Für ihre gesellschaftlich stabilisierende Wirkung müssten ihr die anderen Parteien dankbar sein. Regierung, Opposition und Protest – alles unter einem Hut: Das politische System ist seit dem Ende der Blockkonfrontation stabiler und legitimierter als je zuvor.

Machtkämpfe und Rambo-Auftritte wie der Schröders in der Elefantenrunde sind Ausdruck dieser Stabilität. Auf der Grundlage eines solch enormen Konsenses kann man ungestüm herumtollen. Innerhalb der Gummizelle darf auch randaliert werden, die Mauern sind massiv genug. »Ich will ja nur spielen, ich tu’ doch nix«, lautet der Subtext dieses Machtkampfes. Gäbe es eine ernsthafte Legitimationskrise des Systems, stünde schon längst eine Regierungskoalition fest. Wenn es eng wird, sucht man in Deutschland nicht die Auseinandersetzung, sondern steht zusammen. Das Kasperletheater funktioniert nur, weil keine denkbare Koalition die Säulen des Systems ins Wanken bringen würde, weil wir uns nicht im politischen Aufbruch befinden, sondern bei der Fußball-WM, wo es schon mal eine Verlängerung oder ein Elfmeterschießen gibt. Spannend ja, aber eben nur ein Spiel.