Gold gefunden

Das dritte Album von Coloma ist sogar noch schöner als die ersten beiden. von leonhard lorek

Dovetail« haben sie das Album genannt. Nach »Silverware«, der Debütplatte von 2002, und »Finery« von 2003 haben die beiden in Köln residierenden Briten das Label gewechselt. Lange haben sie sich für ihr neues Werk Zeit gelassen. Was nunmehr als Ergebnis vorliegt, überrascht umso mehr.

Im Independentsektor Musik zu machen, ist meist ein reichlich unerquickliches Unterfangen: Selten stimmt die Geschichte mit dem Geld. Andererseits wäre bei einem Vertrag mit der großen Plattenindustrie so etwas wie »Dovetail« wohl nicht zustande gekommen; auch gar nicht möglich gewesen, was die Bewegung, die Veränderung in der eigenen Musik anbelangt. Ein Major-Label hätte Alex Paulick und Robert Taylor wahrscheinlich dazu angehalten, ihren bewährten Sound weichzuspülen und die Texte schlicht zu halten, möglichst schlicht, bitte! Beides aber ist nicht der Fall. Schon schön, dieser Abstand zur Industrie. Wer materiell nicht unter Druck gesetzt werden kann, braucht sich augenscheinlich auch nicht darauf einzustellen, seelisch oder intellektuell zu verarmen.

Auf den beiden Vorgängeralben hat Coloma Klischees verarbeitet, umgewertet; musikalisch wie textlich. Irgendwie hörte sich alles »bereits gehört« an, seltsam bekannt, nur hat man es eben noch nicht genau so wie bei Coloma gehört. Die Verkunstung des Banalen, mal in der Totalen, mal im Detail, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Auf »Dovetail« geht Coloma allerdings weiter, als es zu erwarten war.

Alle Stücke für das Album sind in Band-Besetzung eingespielt worden. Die digitalisierten Aufnahmen hat Alex Paulick anschließend wieder auseinandergenommen und aufs neue zusammengesetzt. Was dem einen oder der anderen als Marotte eines spleenigen Musikers erscheinen mag, hat Methode. Wäre es auf »Dovetail« bei den originären Bandaufnahmen geblieben, wäre das Album um vieles ärmer. Es wäre, zumindest musikalisch, wohl recht gewöhnlich geraten. Die Zurückgenommenheit, das Spröde der Musik, schafft eine Distanz zum Gewöhnlichen und macht sie dadurch wirklich und wirksam sinnlich.

Die Poetik der Texte von Rob Taylor resultiert aus einer ebensolchen Arbeitsweise, zumindest zu einem erheblichen Teil. Der Mann bringt es unter anderem fertig, abgewetzte Redewendungen zu kleinen Katarakten auflaufen zu lassen. Er schafft damit ungemein plastische Bilder und Assoziationen. »I’d take the vow and make my will /Swallow my pride like a bitter pill/ Take the smooth with the rough/ Convince you I am brave enough to love you.«

Zuweilen kommen diese Sprachbilder hilflos daher, fatal schön. Und sie stammen manchmal aus einer Welt, die fremd und weit entfernt scheint: Mittelengland, damals, irgendwann damals, beispielsweise.

Stromzähler in Form von Münzautomaten sind hierzulande ein reichlich unbekanntes Wirtschaftsphänomen. Oft sollen in England diese Geräte in einem so miserablen technischen Zustand montiert worden sein, dass der Strom nur freigeschaltet wurde, wenn die Münzen möglichst langsam hineinglitten. Das passende Kleingeld hatte immer parat zu liegen. Wenn das Geld knapp wurde, waren harte Entscheidungen zu treffen: entweder Chips, Schnaps, Bonbons im Dunkeln, oder trocken fernsehen im Warmen: »Slowly I place my last coin in the slot/ Soap suds soak cottons and nylons/ Fine spray in our faces/ Berries on hedges/ Towers, tunnels/ Fences, pylons/ Traffic on carriageways/ Rainfall and sirens«, heißt es nun bei Coloma.

Es scheint so, dass die beiden Wahlkölner auf »Dovetail« Bilder eines ausgeblichenen Fotoalbums reanimieren, eines britischen Albums, genauer: eines englischen. Wenn Coloma an den Beatles gespiegelt werden könnte, dann eher an deren Eleanor-Rigby-Seite als an der, die mit »Obladi Oblada« beschriftet ist. Und so britisch dieses Album auch scheinen mag: Die Anwesenheit der beiden auf dem europäischen Festland macht sich bemerkbar. Jacques Brel z.B. schlägt durch, hin und wieder. Marc Almond hat einmal ein ganzes Album mit Coverversionen von Brel-Chansons veröffentlicht, daran fühlt man sich ebenfalls erinnert. Coloma covert den Chansonnier jedoch nicht. Stücke wie »So Much In Common« oder »No Moving Parts« basieren jedoch auf Liedstrukturen aus den Sechzigern, wie sie bei Brel vorkommen. Taylor kommt jedoch ohne all den schwelgerischen Kram aus, wie ihn Almond in Anlehnung an Brel zelebrierte. Und Brels expressiver Gesangsgestus ist ihm ebenfalls fremd. Was alles jedoch eher für Coloma spricht; zumal Taylors Texte nicht nur moderner, sondern auch besser sind als die von Brel. Das mag an seiner Begabung liegen, oder an seinem Wissen darum, dass im 21. Jahrhundert Naivität einen weitaus teurer zu stehen kommen kann als im zwanzigsten.

Die auffälligste Ähnlichkeit zwischen »Dovetail« und den Vorgängeralben besteht darin, dass der ganze Stoff wieder einmal schnurstracks und unaufhaltsam in die Regionen der seelischen Festplatte sickert, wo er nicht ohne weiteres zu löschen ist. Und so kann es passieren, dass einem in der U-Bahn ein »Miles Away« in die Abgrenzungsfloskel zum dritten Straßenmagazin-Verkäufer innerhalb von acht Stationen hineinhuscht oder einem beim Biertrinken in der Stammkneipe mitten im Lamento eines Berufskollegen ein »You’ve wasted all your talent/ Turned your back upon the kids/ But you’re more a drunk librarian/ Than a poet on the skids« auf den Bierdeckel gerät.

»Coloma, eine Stadt in Kalifornien mit Ader zum Reichtum. Hier wird das erste Mal Gold gefunden«, heißt es in einer im Netz abrufbaren Coloma-Biographie. Nun denn: Verdient hätten Taylor und Paulick das, was in Coloma zu finden war, allemal und haufenweise. Wahrscheinlich wird es aber wieder einmal allein bei den Low-Budget-Attributen »Ruhm und Ehre« bleiben. Diese Welt bescheidet sich, dort, wo sie schön sein könnte, immer mehr und scheinbar unaufhaltsam. Coloma häuft auf »Dovetail« nichts Überflüssiges an. Schön so. Weil: Verdammt unbescheiden.

Coloma: Dovetail (Klein/Rough Trade)