Mixtape aus Istanbul

Nach »Gegen die Wand« hat Fatih Akin mit »Crossing the Bridge« einen Film über Istanbul und seine Musik gedreht. von andreas hartmann

Crossing the Bridge‹ ist kein Werbefilm«, sagte Fatih Akin in einem Interview. Als Beitrag zur Diskussion, ob die Türkei in die EU gehöre oder nicht, möchte er seinen Film über die Musikszene Istanbuls nicht verstanden wissen. Und doch ist er ein Werbefilm, der Istanbul als aufregende, bunte, widersprüchliche, ergo: westliche Stadt geradezu verklärt. Gleich zu Beginn des Films taucht die Kamera mitten in das Gewühl, unter die Menschen und findet Prostituierte, Tunten, Bettler. Wie zufällig gefunden sollen diese Einstellungen wirken, wie beiläufig entdeckte Impressionen, und sie sollen sagen: Hier geht es genauso zu wie in jeder großen Stadt des Westens.

Diese Inszenierung Istanbuls resultiert auch daraus, dass Akin einfach jemand ist, der sich immer wieder fasziniert vom Gebrochenen und vom aufgeregt schlagenden Puls der Großstadt zeigt. Er ist ein Romantiker des Betons. Seine Filme, von »Kurz und schmerzlos« bis »Gegen die Wand«, brauchen die Koloration des Urbanen, um sich überhaupt erst entfalten zu können. Die Großstadt bietet in diesen Filmen ihren Bewohnern Schutz und gewährleistet ihnen Individualität, lässt sie aber auch an ihr zerbrechen.

Natürlich wollte der Regisseur auch Klischees vermeiden. Er wollte eben keine Gemüsehändler und Dönerbudenbesitzer zeigen, sondern die Risse in den Häuserwänden, den Moloch, sein Istanbul, die Stadt, wie er sie kennt und liebt, die man jedoch nie ganz kennen und lieben kann. Sein Film will gleichzeitig Geheimnisse aufdecken und bewahren. Akin will sein Istanbul dem Zuschauer auch nicht stolz präsentieren, als etwas, das sozusagen Teil des Deutschtürken ist und auch zu seiner Identität gehört, sondern er will die Stadt zusammen mit seinem Publikum neu entdecken. Deshalb durchstreift er sie auf der Suche nach ihrem Sound nicht selbst, sondern er schickt jemand anderen durch ihre Gässchen und Straßen: Alexander Hacke, ehemals Musiker der Einstürzenden Neubauten und seit einiger Zeit eine Art Übervater der Berliner Trashrockszene sowie neugierig gebliebener Musikologe.

Doch auch er ist nicht nur Entdeckungsreisender, sondern kurioserweise bereits Angehöriger der Szene, die er ja eigentlich vor der Kamera gerade erst entdecken soll. Diese Doppelrolle funktioniert nicht immer, denn wohin er auch kommt, ist er eigentlich immer schon dort. So gibt es eine Szene, in der er aus seinem Hotel kommt, umherschlendert, eine Gruppe von Straßenmusikern entdeckt, sich zu den Jungs gesellt und dann eine Aufnahmesession anregt. Wunderbarerweise steht das Equipment jedoch schon bereit, wie von Zauberhand an Ort und Stelle gebracht. Die Szene ist also nicht »echt«, sondern sie wurde geplant, was auch kein Problem ist, da inszenierte Echtheit meist am glaubwürdigsten wirkt. Doch warum dann überhaupt der Versuch, Alexander Hacke als jemanden zu zeigen, der nur aus seiner Bude stolpern muss, um an jeder Straßenecke auf eigentümliche Zeugnisse kultureller Ausdrucksweisen zu stoßen? Viel interessanter ist seine Rolle in einer Szene, in der das Filmteam von der Türkpop-Diva Sezen Aksu zu einer Aufnahmesession geladen wird. Die Rede ist von einer großen Ehre, die dem Team zuteil werde, von einer großen und verehrungswürdigen Legende. Dennoch schnappt sich Hacke einfach die Gitarre und nimmt an dieser Session teil. So wird verdeutlicht, dass es Akin nicht nur darum geht zu dokumentieren, sondern etwas fort- und umzuschreiben. Der ehemalige Neubauten-Dekonstruktivist, der Lärmapologet, und die türkische Diva haben keinerlei Berührungsängste.

Akin macht also klar, dass er nicht als Musikethnologe nach Istanbul gereist ist, der den Gegenstand seiner Beobachtung bloß abbilden möchte, sondern er weiß, dass er formt und verändert. Als Alan Lomax Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Welt bereiste und von überall seine so genannten field recordings von bis dahin im Westen unbekannter Musik mitbrachte, globalisierte er gleichzeitig diese Musik, er beraubte sie sozusagen ihrer Unschuld. Denn im Finden des Authentischen liegt immer auch auch die Gefahr des Verlusts des Authentischen. Für Akin dagegen spielt die Frage nach dem Authentischen gar keine Rolle mehr. Ihm ist klar, dass sich die Musik, die sich ihm in Istanbul in all ihrer Vielfalt zeigt, schon seit jeher unter Einbezug der unterschiedlichsten Einflüsse entwickelt hat und dieser Prozess glücklicherweise nie abgeschlossen sein wird. Nicht zuletzt er selbst und sein eigener Film werden den Blick auf die türkische, respektive die Istanbuler Musik verändern. Er wird vielleicht sogar die Musik, auf die er gestoßen ist, dem Credo der Heisenbergschen Unschärferelation folgend, verändern. Besser gesagt: Er bzw. Alexander Hacke haben sie bereits verändert.

Der Filmemacher zeigt, dass es in der Stadt am Bospurus, in der man nur über eine Brücke gehen muss, um in Asien zu sein, mehr gibt als Tarkan und Türkpop von schnauzbärtigen Familienvätern. Er zeichnet eine musikalische Stadtkarte, die vorher gar nicht existierte. Auf ihr gibt es artschoolige No-Wave-Bands wie die Replikas, die vom New York der achtziger Jahre zu träumen scheinen, Rapper, die angeblich schneller Worte aneinanderreihen können als die flinksten Reimemonster in Brooklyn, und es finden sich Hippie-Psychedeliker, die unserem Verständnis zufolge Jahrzehnte zu spät dran sind mit ihrem Eso-Rock, deren Suche nach einem Weg zwischen westlichen und östlichen Einflüssen für viele türkische Bands jedoch geradezu paradigmatisch ist. Das alles gibt es hier, und noch viel mehr. Akin führt all das zusammen, Generationen und sich eigentlich auf völlig unterschiedlichen Planeten befindende Musikkulturen. »Crossing the Bridge« vereint und versöhnt, nicht indem der Film glättet und Widersprüche wegbügelt, sondern indem er sie belässt und sagt: Trotz der Unterschiede gehört alles gemeinsam auf die Leinwand. Und damit ist gemeint: wirklich alles.

Fatih Akin sagt, dass er keinen Werbefilm für die Türkei gemacht habe, sehe man auch daran, dass er sich mit der Geschichte der Türkei kritisch auseinandergesetzt habe, und er meint damit den Auftritt der kurdischen Sängerin Aynur, der es noch nicht lange erlaubt ist, in kurdischer Sprache zu singen. Doch gerade das ist ja die Forderung an die Türkei: Seid endlich kritisch euch selbst gegenüber, zeigt Reue, dann dürft ihr auch in die EU. Aynur singt über ihre Wunden, sie klagt und beklagt. Akin scheint es nicht wahrhaben zu wollen, doch ein echter Werbefilm für die Türkei muss sogar jemanden wie Aynur auftreten lassen.