Der Terror der Knäste

Die Ausstellung »Kunst von Außenseitern« zeigt im Berliner Abgeordnetenhaus Fotografien von Eva Haule. von richard rabensaat

Von einem »Aufstand gegen die Nackt-Kunst« wusste die BZ in der vergangenen Woche zu berichten. Auch die Bild-Zeitung hetzte gegen die Ausstellung der »Nackten«. Stein des Anstoßes waren im Berliner Abgeordnetenhaus gezeigte Fotoporträts von strafgefangenen Frauen. Der Verein Freie Hilfe Berlin präsentiert die in zwei Teile gegliederte Ausstellung, die auf Schautafeln in der Wandelhalle vor dem Plenarsaal den Verein, seine Ziele, Absichten und seine Arbeitsweise darstellt. Außerdem hängen im zweiten Obergeschoss des Gebäudes Bilder, Zeichnungen, Gedichte, Tagebücher und andere Exponate, die Gefangene während ihrer Haft gefertigt haben.

Der Verein unterstützt entlassene Häftlinge und andere »Außenseiter«; er hilft Menschen, eine Wohnung zu finden, bietet aber auch Möglichkeiten, einer Haftstrafe durch gemeinnützige Arbeit zu entgehen. Dass die Schautafeln übersichtlich und wenig spektakulär diese Arbeit öffentlich machen, scheint zunächst einmal auch niemanden zu stören. Aggressiv jedoch reagiert die Boulevardpresse auf die fotografischen Arbeiten. Zeitungen, die ansonsten kaum Hemmungen haben, nackte, vorwiegend weibliche Haut auszustellen, stoßen sich plötzlich an den Bildern der Fotografin Eva Haule.

Zum Beispiel am Porträt einer Strafgefangenen mit entblößter Brust. Anders als auf Erotikschnappschüssen ist dem fotografierten Frauenkörper aber eine Geschichte anzusehen. Die Einstichnarben der ehemals drogenabhängigen Frau sind deutlich zu erkennen.

Aber natürlich geht es vor allem um die Abrechnung mit der Fotografin. Eva Haule wurde von der Staatsanwaltschaft die Mitgliedschaft in der RAF sowie die Beteiligung an einem Anschlag auf eine Nato-Schule in Oberammergau vorgeworfen. Haule soll ein mit Sprengstoff bestücktes Auto vor der Schule postiert haben. Konkret nachweisen konnte die Staatsanwaltschaft ihre Beteiligung allerdings nicht. Nach ihrer Verhaftung im Jahre 1986 erhielt sie zunächst eine befristete Freiheitsstrafe. 1994 folgte dann eine Verurteilung in einem weiteren Prozess, der mit einem »Lebenslänglich« endete. Diesmal warf ihr die Bundesanwaltschaft die Beteiligung an einem Anschlag auf die Rhein-Main-Airbase der US-Armee und die Erschießung des GI Edward Pimental 1985 vor. Indiz war ein Zettel, auf dem Haule von der RAF als »Wir« schrieb und eine politische Einschätzung des Anschlags abgab.

Ähnliche Aufregung wie die Bilder Eva Haules verursacht derzeit noch ein anderer Fall: Der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, hat dem ehemaligen RAF-Mitglied Christian Klar unlängst einen Praktikumsplatz im Theater angeboten, sollte der Inhaftierte eines Tages in den Genuss des offenen Vollzuges kommen. Das dürfte allerdings frühestens 2007 der Fall sein. Auch dieses noch reichlich unbestimmte Angebot hielten FDP und CDU wiederum für eine Verharmlosung des Terrorismus.

Tatsächlich ist Peymanns Offerte als Resozialisierungsmaßnahme jedoch ein wenig zweifelhaft. Wera Barth, die Geschäftsführerin der Freien Hilfe, kritisiert, dass Peymann genug Gelegenheit hätte, einem der 2 600 Berliner Klienten der Freien Hilfe ein entsprechendes Angebot zu machen, was er aber bisher nicht getan habe. Die Mildtätigkeit des Theaterregisseurs müsse nicht unbedingt einem gegenwärtig noch in Baden-Württemberg Inhaftierten zugute kommen.

Zwar mutet Peymanns Offerte wie ein PR-Gag in eigener Sache an, der den Ruf des Intendanten als linker und unbequemer Theatermacher festigen soll. Andererseits hat sein Engagement für RAF-Gefangene bereits Tradition. Heftige Proteste löste er aus, als er Mitte der siebziger Jahre einen Spendenaufruf für eine Zahnbehandlung von Gudrun Ensslin ans Schwarze Brett des Stuttgarter Staatstheaters hängte.

Das laute Gebrüll über die Aktivitäten der Verurteilten außerhalb der Gefängnismauern lenkt zudem von einer überfälligen Kritik des Strafvollzuges ab. Es ist eine mittlerweile starke politische Strömung geworden, die viel Energie darauf verwendet, tradierte bürgerliche Freiheiten einzuschränken.

5 377 Straftäter sitzen derzeit in Berliner Haftanstalten, mehr als die Hälfte der Gefängnisse ist überbelegt. Viele Gefangene sind gegen ihren Willen in Doppelzellen untergebracht, teilweise sind die hygienischen Verhältnisse völlig unzureichend. Mancherorts stinkt es zum Himmel, weil entsprechende Trennwände zum Klo fehlen.

In Europas größtem Knast, der JVA Tegel, sitzen auf 1 569 Plätzen gegenwärtig ungefähr 100 Gefangene mehr ein, als der Belegungsplan vorsieht. So entstehen unter den Gefangenen in den engen Zellen zwangsläufig Reibereien. Auch die sozialen Hierarchien sind im Knast nicht außer Kraft gesetzt, Hackordnungen werden notfalls mit Gewalt durchgesetzt.

Auf all diese Missstände machen die Gefangenen mit ihren Bildern und Collagen eindringlich aufmerksam. Haules Porträts nehmen dabei eine Sonderstellung ein. Denn die Reihe der Schwarzweißfotos zeigt Gesichter, die offen und ungeschützt in die Kamera schauen. Offensichtlich hat Haule sich das Vertrauen der inhaftierten Frauen erworben und konnte sie so in dem Moment fotografieren, als sich ein Riss auftat in dem Panzer, den sich Gefangene aufgrund der Zwänge der Institution zulegen.

»Viele kennen das Leben nur als Überlebenskampf, die verhalten sich dann auch im Knast nicht anders«, erzählt Eva Haule über ihre Arbeit. Die gezeigten Bilder entstanden während ihrer eigenen Haftzeit im Frauengefängnis Frankfurt-Preungesheim in einem Fotokurs. Mit der Kamera porträtierte sie 21 Mitgefangene. Viele der Frauen entkleideten sich für die Fotosession. »Sie wollten bei den Porträt-Aufnahmen die Zeichen der Gefangenschaft ablegen«, vermutet Haule. In den Mienen der Fotografierten spiegelt sich zwar die bedrückende Situation während der Haftzeit wider, aber auch eine Würde und Offenheit, die überrascht.

Haule selbst begann während einer lebenslänglichen Haftstrafe zu fotografieren, nachdem sie in der Anstalt einen Fotokurs angefangen hatte. Sie erhielt nach 18 Jahren im Gefängnis tagsüber Freigang und kann nun mit einem Stipendium tagsüber in Berlin studieren. Nachts und am Wochenende ist sie im Knast.

Trotz all der Aufregung werden die Porträts allerdings wohl hängen bleiben. Löblicherweise hat Walter Momper (SPD), der als Parlamentspräsident für die Ausstellung in den Räumen des Abgeordnetenhauses zuständig ist, bisher keinen Rückzieher gemacht, sondern darauf hingewiesen, dass die Arbeiten lediglich das gesetzliche Resozialisierungsziel unterstützen.

Das trifft zu, denn sollten wegen »Terrorismus« Verurteilte wie Klar oder Haule mit lebenslanger Ächtung belegt werden, so hätte der Gesetzgeber das genau so festschreiben müssen. Ansonsten muss der milieubedingten Beschränktheit einiger Parlamentarier entgegengehalten werden, dass ehemalige RAF-Mitglieder ebenso zu behandeln sind wie alle anderen Verurteilten.

»Kunst von Außenseitern.« Präsentation der Arbeit des Vereins Freie Hilfe Berlin. Abgeordnetenhaus Berlin, Niederkirchnerstr. 5. Bis zum 8. April