Heavy Metaller

Die Privatisierung und Umstrukturierung der staatlichen Werften führt in Südspanien derzeit wieder zu schweren Straßenschlachten zwischen Polizei und Werftarbeitern. von tom kucharz, cadiz

An diesem Novembermorgen fahren zwischen Puerto Real und San Fernando, in der am südlichen Zipfel Andalusiens gelegenen Bucht von Cadiz, keine Nahverkehrszüge mehr. Die staatliche Bahngesellschaft Renfe setzt seit neun Uhr Schienenersatzverkehr ein. Sogar die Fahrgäste nach Madrid und Barcelona müssen den Bus nehmen. Arbeiter der Werft von San Fernando haben in der Hochspannungsleitung einen Kurzschluss verursacht. »Wir sind nicht einverstanden mit den Verhandlungen über unsere Zukunft«, rechtfertigen sich die halbvermummten Männer in Schlosseranzügen. Man sieht ihnen die Jahre in der Stahlbranche an. Obwohl Mützen, Hassmasken und Helme die teils grauen Haare verdecken. Das Durchschnittsalter mag wohl bei 45 bis 50 Jahren liegen. Dem Versprechen der Regierung, niemanden zu entlassen, trauen sie nicht.

Die etwa 1 300 Schiffsbauer aus der Fabrik Bazán besetzen die Fernverkehrsstraße C33. Aus Kabelrollen, Seilen und Gittern werden Barrikaden errichtet, angezündete Container enden auf dem Gleisbett der S-Bahn. Als ein am Straßenrand liegen gebliebenes Fahrzeug in Flammen aufgeht, kommt auch der Autoverkehr zum Erliegen. Die Wut ist den Arbeitern ins Gesicht geschrieben. »Nur über unsere Leichen werdet ihr Bazán schließen«, rufen sie, die Hände zu Fäusten geballt.

Wenige Augenblicke später taucht die Polizei auf. Mit Gummigeschossen und Tränengas versucht sie, die Demonstration aufzulösen. Manuel verschanzt sich hinter einer Holzpalette. »Die Schweine gehen immer brutaler gegen uns vor, obwohl sie wissen, dass wir nur unsere Arbeitsplätze verteidigen.« Aus einer großen Gruppe fliegen Steine und Schrauben in Richtung Polizei. Die antwortet mit einer Ladung Gummikugeln, die bei einigen schmerzhafte Wunden im Fleisch hinterlassen. »Wenn sich das nicht regeln lässt«, lautet der Sprechchor, »gibt es Krieg, Krieg, Krieg.« Gepanzerte Fahrzeuge räumen die Straßenblockaden zur Seite, während an anderer Stelle neue errichtet werden. Die Rauchschwaden brennender Autoreifen vermischen sich mit dem Tränengas der Einsatzpolizisten. Nach dem Rückzug auf das Werksgelände werden am Mittag die Verwundeten versorgt: Prellungen, Platzwunden und Blutergüsse. Einer der Arbeiter im Werk von San Fernando ist Jesús Roman, 34 Jahre alt. Er wartet seit 15 Jahren die Maschinen. Er hat die Hoffnung aufgegeben, dass nach ihm neue Generationen kommen.

Während in Cadiz die Straßenschlacht tobt, versammeln sich in Sevilla 500 Arbeiter, um sich mit dem örtlichen Gouverneur zu unterhalten. 200 sind es in Gijón, die in der Innenstadt Autobusse querstellen. In Ferrol, Manises und Sestao werden Versammlungen abgehalten. Dabei wird beschlossen, in der kommenden Woche an allen zehn Werftstandorten des Landes zu streiken. Wie schon im September und Oktober, als die Europäische Kommission bekannt gab, dass Izar, die staatliche Schiffsbaufirma, Subventionen in Höhe von 1 100 Millionen Euro an die EU zurückzahlen muss. Man fürchtete das Schlimmste. Die »blauen Overalls«, wie die Schiffsbauer auch genannt werden, gruben das Kriegsbeil aus. In Galizien (Ferrol und Fene), Andalusien (San Fernando, Puerto Real, Sevilla, Cadiz), Asturien (Gijón), Murcia (Cartagena), Valencia (Manises) und im Baskenland (Sestao) bestimmen seitdem brennende Barrikaden, verletzte Demonstranten, knüppelnde Polizisten sowie ratlose Gesichter das Bild an den Werfteingängen.

Vakant sind die letzten 10 600 unbefristeten Stellen bei Izar. Vor vier Jahren fusionierten, als eine Art Notlösung des von roten Zahlen gebeutelten Industriezweigs, sieben zivile und drei militärische Werften der Firmen Bazán und Astilleros Españoles. Die staatliche Gesellschaft für Industriebeteiligungen (Sepi) gründete das Unternehmen Izar und investierte viel Geld. Verbessert hat das die Situation der Betroffenen nicht. Die zivilen Standorte erhalten seit fast drei Jahren keine größeren Aufträge mehr. Sepi möchte aus dem zivilen Schiffsbau ganz aussteigen.

»Das Problem ist«, findet ein hoch gewachsener Elektriker mittleren Alters, dessen Gesicht ein weißes Tuch verdeckt, »dass in Spanien Umstrukturierung mit Entlassungen gleichgesetzt wird.« »20 Jahre lang das gleiche«, seufzt Juan Ceballos, 49 Jahre alt und seit 1981 Schweißer in der Werft von Puerto Real, auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht von Cadiz. Inmitten der weltweiten Rezession wurde Puerto Real 1975 als eine der größten europäischen Werften in Betrieb genommen. Ceballos ist Delegierter der anarchistischen Gewerkschaft CNT und im Arbeiterplenum aktiv, auch wenn sich die CNT nicht an den Betriebsratswahlen beteiligt. Ende der achtziger Jahre erfasste ihn erstmals das Gefühl der Unsicherheit. Als Neuling, ohne festen Vertrag, zur Zeit der ersten großen »Strukturanpassung«, der eine folgenschwere Entlassungswelle folgte. Heute fürchtet er nichts mehr: »Um meinen Arbeitsplatz mache ich mir keine Sorgen«, erklärt er. Eine Schließung, Teilprivatisierung bzw. Werftzusammenlegungen beträfen vor allem die 60 000 Teilzeitbeschäftigten sowie die 36 000 Arbeitsplätze, die direkt von dieser Branche abhängig sind. Schließlich garantiere jeder Werftarbeiter weiteren sieben Menschen eine Arbeit.

»Die Stellenkürzungen bzw. Frührentenabschlüsse dienen vor allem der Reform des Arbeitsmarktes«, beschwört Ceballos. »Es werden keine Aufträge angenommen, um die Umwandlung von festen in prekäre Jobs zu rechtfertigen, so wie es IWF und EU vorschreiben.« Flexible Verträge statt guter Ausbildung. In dem Betrieb von Nani, wie Ceballos von seinen Kollegen genannt wird, arbeiten nächstes Jahr nur noch 600 Festangestellte; vor 1984 waren es noch 3 700. Trotzdem vertraut Nani auf die ökologischen und wirtschaftlichen Sachzwänge, die den Ausbau der Seefahrt notwendig machen. »Natürlich wird es Arbeit geben«, sagt Ceballos, »nur die Bedingungen werden bedeutend mieser sein.« Dass es an Aufträgen nicht fehlt, zeigen die Werften in Ferrol und Cartagena. Dort wird bis zum Jahr 2010 durchgehend geschweißt. Aber nur an Armeefregatten.

Anfang September schlug die Sepi vor, Izar in einen zivilen und einen militärischen Bereich aufzugliedern. Die Gewerkschaften befürchten, dass die unrentablen Werften aufgegeben werden und in den rentablen Anlagen die gesamte Belegschaft zu prekären Beschäftigungsverhältnissen gezwungen wird. 80 Prozent der Produktion wird bereits von Teilzeitbeschäftigten erledigt.

Streiks und Straßenblockaden der letzten Monate zwangen die Sepi zu Verhandlungen und neuen Kompromissen. Eine öffentliche Holding soll sich nun um den militärischen und zivilen Werftbetrieb kümmern. Der zivile Bereich soll zu 51 Prozent von privaten Investoren finanziert werden, lautet der Vorschlag der Sepi und des Wirtschaftsministers und ehemaligen EU-Kommissars Pedro Solbes. Der militärische Bereich könnte weiter bei der öffentlichen Hand bleiben. »Man muss sich der Realität stellen, diese Werften umstrukturieren und einige schmerzliche Entscheidungen treffen«, erklärte die Pressesprecherin der EU-Wettbewerbsabteilung, Amelia Torres, in Brüssel. Die Werft in San Fernando soll den EU-Plänen zufolge aus dem militärischen Bereich ausgegliedert werden.

Die Abwicklung der Werften begann in den »goldenen Jahren« der Metallindustrie, mit der Marktöffnung Anfang der siebziger Jahre. Zwischen 1961 und 1973 wuchs die spanische Wirtschaft im Durchschnitt um 7,2 Prozent, die Arbeitslosenrate belief sich auf nur 1,5 Prozent (1971). Zu diesem Zeitpunkt war Spanien der drittgrößte Schiffsproduzent der Welt. Als 1975 dann der Suez-Kanal eröffnet wurde, platzten die Träume, in Spanien Supertanker zu bauen, die zwar für die Umschiffung Afrikas notwendig gewesen waren, die aber nicht durch den Kanal passten.

1979 bat die Regierung offiziell um den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft (EG). Die von der EG diktierten Strukturanpassungen, um den Beitrittsanforderungen gerecht zu werden, änderten die wirtschaftliche Lage schlagartig. Von 1976 bis 1985 gingen 2,3 Millionen Arbeitsplätze verloren, davon eine Million in der Industrie. Die Erwerbslosenrate stieg auf 22 Prozent. Nach den Regeln des Europäischen Einheitsmarktes war der staatliche Schutz des einheimischen Industriegewerbes untersagt. Durch die Neuverteilung der Quoten waren die Werften gezwungen, ihre Produktionskapazitäten gegenüber den europäischen Nachbarn zu senken. Den Auftragsrückgängen folgten Massenentlassungen und Einschnitte in die Rechte der Arbeiter. Sieben Werften mussten schließen.

Die in den achtziger Jahren regierenden Sozialdemokraten (Psoe) passten die Werftindustrie den neuen Gegebenheiten der globalen Weltwirtschaft an. Seit 1996 tat die konservative Volkspartei dann das Übrige. In einer Art »Flucht nach vorne« schüttete sie zwar finanzielle Hilfen aus, ließ die Werften aber ohne Aufträge. »Ein psychologischer Krieg, ein Manöver, um uns still zu halten«, lautete das Statement der Gewerkschaft CCOO-Metall.

Heute produzieren koreanische, chinesische und japanische Werften 47 Prozent der zivilen Schiffe, die in Europa bestellt werden. Während die EU nur noch sieben Prozent des globalen Schiffsbaus kontrolliert, liegt der Anteil der drei asiatischen Staaten bei 86 Prozent. Juan Ceballos glaubt, dass Spanien im Ausland Schiffe einkaufen wird, wenn die EU-Fonds 2007 wegfallen.

In der Provinz Cadiz, die über eine Million Einwohner hat, hinterlässt die wirtschaftliche Globalisierung deutliche Spuren: 24 Prozent Arbeitslosigkeit. Mehr als die Hälfte aller neuen Arbeitslosen in Andalusien stammt aus dieser Gegend, aus der Columbus seinerzeit in die neue Welt aufbrach. Die Jugendlichen gehen heutzutage nach Castellón, um in der Schuhproduktion zu arbeiten. Oder sie versuchen, sich in der Tourismusbranche durchzuschlagen. In Fene, wo 1987 das letzte Schiff getauft wurde, sind 16,3 Prozent der Bevölkerung arbeitslos.

Vor zwei Jahren brachte der Regisseur Fernando Leon dem Kinopublikum mit dem Streifen »Montags in der Sonne« eindrucksvoll die trübselige Stimmung der einstigen Werfthochburgen in Galizien nahe. Langzeitarbeitslose, soziale Verelendung, Alkoholismus, Familienkrisen, Emigration in die Provinzhauptstädte, Ausweglosigkeit.

Eine Kulisse stillstehender Kräne, die im Wind ächzen, zeugt von einer Wirtschaftsepoche, die schon fast eine vergangene ist. Wo einst die größten Erdöltanker der Welt vom Stapel liefen, herrscht nun bedrückende Leblosigkeit. Es ist kaum vorstellbar, dass 1978 in den heute halbverwaisten Werfthallen des Landes mehr als 45 000 festangestellte Metaller schufteten. 1984 waren es noch 39 000, zehn Jahre später nur noch 18 000, und im kommenden Jahr werden kaum mehr als 6 000 übrig sein.

In Cadiz, in der Bar »El Portal«, sprechen die überwiegend alten Leute von den Vorfällen des Vormittags. Die Werftarbeiter sind Thema. Es beginnt eine leidenschaftliche Diskussion darüber, wie weit die Arbeiter das Recht haben, andere in Mitleidenschaft zu ziehen. Cadiz ist eine Art Halbinsel und nur über Puerto Real oder San Fernando zu erreichen. Für die Streikenden ist es also kein Problem, den Verkehr der gesamten Stadt lahm zu legen. Doch so erregt auch diskutiert wird, nach nur wenigen Minuten widmen sich die Rentner wieder ihrem Kartenspiel, kauen an der Zigarette und nippen am Rotwein. »Als mein Mann 1985 in Rente geschickt wurde, wusste er nicht mehr, was er machen sollte«, erzählt Doña Manuela, »er starb vor sich hin, versank im Alkohol und verspielte unsere kleine Rente, Gott möge ihn beschützen.«

»Auch in den Stadtteilvereinen spricht man über nichts anderes«, erzählt Franzisca Casado Luque, genannt Paci. Sie arbeitet im »Zentrum zur Unterstützung der Vereine von Cadiz und der Bucht« und kommt täglich mit Menschen aus den Arbeitervierteln zusammen. Das Problem sei, dass die meisten Anwohner der Bucht nicht verstehen, warum die Arbeiter die Zufahrt zur Stadt blockieren müssen, um ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen. Paci hebt hervor: »Viele beschweren sich über die Demonstrationsformen, obwohl sie verstehen, dass die Arbeiter um die Zukunft der Region kämpfen.« Cadiz ist eine kleine Stadt und der Großteil der Leute lebt von Gelegenheitsjobs. Wer in der Werft arbeitet, gilt eher als privilegiert.

»Als sie die S-Bahn blockierten, konnte ich nicht putzen gehen«, klagt eine jüngere Frau, die dem Gespräch gelauscht hat. Vor vier Jahren kam Esmeralda aus Ecuador nach Cadiz, um »ihr Glück zu suchen«, wie sie sagt. Jeden Morgen fährt sie bis nach El Puerto de Santa Maria, um drei Wohnungen zu säubern. »Die Werftarbeiter sind nicht solidarisch mit uns«, schimpft sie.

Es scheint, als hätten es die Werftarbeiter in den letzten Jahren versäumt, den Rest der Bevölkerung in ihren Kampf einzubeziehen. »Wie erklärt es sich sonst, dass im Stadtteilverein ›Asociación de Vecinos Puntales‹, wo praktisch jede Familie irgendwie mit dem Werftbetrieb verbunden ist, niemand Verständnis für die Blockaden aufbringt?« fragt Paci. Die Schuld für die mangelnde Solidarität liege bei den Gewerkschaftsfunktionären, die sich auf ihren Privilegien ausgeruht hätten. »Ich war auch Schweißer in der Werft, bis sie mich 1994 auf die Straße setzten«, wettert ein Taxifahrer, »aber heute habe ich den ganzen Tag verloren. Warum rufen sie nicht am Wochenende zu Demonstrationen auf, an denen wir teilnehmen können?« fragt er.

In Spanien sind die Werftarbeiter bekannt für ihre radikalen Methoden. Sie sind fast die einzigen, die sich offen mit der Polizei Straßenschlachten liefern, sie mit Zwillen angreifen und mit Blockaden stundenlang den Verkehr lähmen. Doch die Jahre hinterlassen ihre Spuren. »Wir haben schon genug unternommen«, murmelt ein bärtiger Kerl auf dem Weg zurück zur Werft in San Fernando. Die harten Metaller wirken müde. Sie gestehen, keinen Ausweg zu sehen. Der Regierung ist es gelungen, Gewerkschaften und Betriebsräte gegeneinander auszuspielen. In der Bucht von Cadiz, mit ihren drei Werften, keimt langsam, aber gefährlich die Logik des Standortwettbewerbs. Am Ende sollen die Kollegen aus San Fernando in Puerto Real zur Arbeit antreten. Geschlagen geben sich die Werftarbeiter aber noch nicht. Schließlich kämpft man, so sagen sie, gegen eine der »größten sozialen Tragödien in Spanien«.