Platten für die Welt

Chicks on Speed bleiben sich treu und machen auf der neuen CD alles anders. Nur die Amerika-Kritik klingt vertraut. von werner labisch

Im Jahr 1997 starteten Alex Murray-Leslie aus Sydney, Melissa Logan aus New York und Kiki Moorse aus München hinter der Kunsthochschule München ein Projekt. Sie nannten es Chicks on Speed und es sollte was mit Musik und Kunst zu tun haben. Geboren war eine Fake-Band. Anstatt ihre Kurse zu besuchen, organisierten die drei Frauen lieber Partys in der Seppi-Bar. Und wie so oft, wenn solch ein Projekt gestartet wird und die Leute sich gut verstehen und wissen, was sie tun, entwickeln sich die Dinge. In diesem Fall ging es relativ schnell. Die Chicks wurden bekannt und coverten mit DJ Hell den Normal-Klassiker »Warm Leatherette«. Diese limitierte Single (u.a. mit Gerhard Potuznik, Patrick Pulsinger, den Goldenen Zitronen) ist längst zum begehrten Sammlerobjekt geworden. Die Frauen veranstalten Happenings, machen Mode und Kunst und natürlich Musik. Pop-Musik.

Wenn man Chicks on Speed hört, dann sind die ersten Assoziationen: Electroclash, Berlin-Mitte, Münchener Schicki. Und alles ist falsch und richtig. Die Chicks arbeiten mit diesen Klischees, und wann immer sie Lust haben, machen sie diese wieder kaputt. Und sie haben oft Lust.

Sie wurden gehypt und gefeiert; aber oftmals hatte man das Gefühl, dass die Boys und Girls (egal ob aus Berlin, Hamburg oder Oer-Erkenschwick) die Stücke gar nicht richtig angehört, sondern nur den Pop-Beat in lustiges Arschwackeln umgesetzt haben. Aber das ist ja immer die erste Reaktion, wenn drei Frauen overdressed und mit zu viel Make-up auf der Bühne stehen und Popmusik machen. Alle rufen begeistert »Hurra«, »Toll«, doch wenige schauen und hören genauer hin. Würden sie das tun, müssten sie erkennen, dass sie verarscht werden mit ihrem Ich-bin-DJ/Model/ Kreativer-Gehabe. Denn das Statement ist nicht »Sei dabei«, sondern »Mach was anderes!« Das konnte man schon 2003 in ihrem Song »Fashion Rules« auf dem Album »99 Cent« hören: »You’re a model and you walk the beat / they even told you what to eat / bacteria inbred in fashion schools / get out there now and break the rules.«

Na klar, wer chartet und auch mal mit Karl Lagerfeld zusammenarbeitet, der kann ja auch nichts Wichtiges zu sagen haben. Zumal die Musik immer leicht zu konsumieren war.

Der Musikgeschmack der Chicks ist ausgezeichnet. Sie haben Coverversionen u.a. von Malarias »Kaltes Klares Wasser« und »Euro Trash Girl« von Cracker gemacht. Ihr musikalisches Können ist, sagen wir mal, bescheiden. Die Melodien sind meist eingängig, der Gesang absichtlich schräg. Laszives Hauchen, das man nie ernst nehmen kann, Lachen mitten im Lied, weil’s so lustig ist im Studio, Kreischen. Aber auch dies ist nicht einfach so gemacht. Es ist einfach so gemacht, weil es Spaß macht und weil man nicht alles perfekt machen muss. Man muss aber Spaß haben bei dem, was man macht. Hört sich verworren an? Ist es auch und gleichzeitig einfach.

Und jetzt kommt Ende des Monats auf ihrem eigenen Label die neue Platte von Chicks On Speed in Zusammenarbeit mit den spanischen No Heads unter dem Titel »Press the Spacebar« heraus. Sie haben schon früh angefangen, alles selbst zu bestimmen. Selbstbestimmt im Pop-Universum, wenn das mal kein Widerspruch ist. Es ist keiner, wenn man es einfach macht. Und deshalb haben sie diesmal die Axt rausgeholt und alles kaputtgeschlagen. Sie haben mit einer Band gespielt. CoS: »Die letzte Platte war popmäßig und jetzt ist es musikermäßig. Am Anfang waren wir auch ein bisschen geschockt. Wir stehen drauf, dass wir nicht so ›into music‹ sind. Wir sind eher so eine multifunctional group. Aber jetzt hört es sich an, als ob wir eine richtige Band sind. Wir haben diesmal sogar richtig gespielt. Unsere Hände sind dreckig geworden, wir haben uns die Hände mit Musik beschmutzt.«

Und wie. Die ersten Stücke sind noch so, dass man sagen könnte: »Ah, die neue Chicks-Platte«. Aber dann wird es immer vertrackter. CoS: »Give the candy and then take them to hell.«

Entstanden in mehreren Jam Sessions, beginnt die CD mit dem swinging surfing »Household Song«. Allein der Text steht der Musik mal wieder entgegen. »I love sewing, it really gives me thrills / making beds is so relaxing / washing the windows gives me a new view / cleaning the floor, oh what a joy / dusting the shelves is so sexy / having babies makes me feel so real.« Aber spätestens bei »Class War« weiß man, dass diese Platte sich musikalisch stark von den Vorgängern unterscheidet. Geräusch-Collagen aus Kettensäge, Hubschrauberlärm, Funkdurchsagen und dann Hardcore-Gitarrenschrammel. Erinnert ein wenig an Dat Politics. Ihre Musik und ihre Aussagen sind politischer geworden. CoS: »Es ist politisch, aber es ist auch Alltagspolitik. Es ist auch für Amerika geschrieben. ›Class War‹ wurde bewusst vor einer Amerika-Tour geschrieben. Wir haben gedacht, wir können nicht noch mal da hinfahren und die Klappe halten, wir müssen Kritik üben und Stellung beziehen. Und das Publikum hat sich sehr gefreut, wenn man mal das Maul aufmacht. Die Leute sind sehr eingeschüchtert. Sie demonstrieren nicht mehr, weil sie keinen Bock haben, deswegen fünf Tage im Knast zu verbringen.«

Und so geht es weiter. Der Sound wird immer unzugänglicher, immer sperriger. Kein lustiges Rumgekreische mehr, sondern wütendes Schreien. Das liegt auch an der Produktionsweise. CoS: »Bis auf ›Hand in My Pockets‹ ist alles in Jam Sessions entstanden. Und bei einigen Songs hatten wir vorher ein grobes Layout gehabt, und die Band hat das dann nachgespielt. Zum Teil lief es auch so, dass Panoxa, der Gitarrist, psychedelisch auf seiner Gitarre losgelegt hat und wir dann mit Keyboards dazu gespielt haben. Und das hat sich dann so aufgebaut. Wo wir dann später gemerkt haben, da würde jetzt dieser oder jener Text dazu passen. Oder wir müssen noch einen Text schreiben.« Und dabei sind gute und sehr gute Songs entstanden. Einige Texte sind sehr plakativ, aber das ist Pop. Natürlich kann man einwenden, dass das verbale Eindreschen auf die US-amerikanische Politik eine eklige Sache ist, aber wie sie im Interview sagen: »Es ist ein weltweites Problem. Wir sind politischer geworden. Wir sind nicht mehr so verträumt wie bei den anderen Texten vorher. Es ist konkreter geworden.«

CoS: »Wir wollten eine Platte haben, auf der die ganze Welt repräsentiert ist. Dann haben wir ganz am Ende gedacht: O Scheiße, wir haben keinen Sex gehabt. Deswegen habe wir ›Wax my Anus‹ gemacht. Hier werden drei verschiedene Arten von Sex beschrieben. Es fängt an so Marylin-Monroe-mäßig, dann sadomasochistisch und geht dann über zu Sex-Slavery.« Und dass sich der Refrain – »Burn in me, gotta set it on fire, burn in me, cause I gotta get higher« – anhört wie »Dirty Deeds« von AC/DC, das, so beteuern die drei, ist reiner Zufall.

Und so verändern sie die Welt, spätestens indem sie Menschen zu solchen Aussagen bewegen: »In a cunning twist of irony, it’s almost impossible to find words to communicate how bad ›Wordy Rappinghood‹ actually is. This is a depressingly awful song that is an insult to the English language. The ›Rappinghood‹, such as it is, has a deadpan delivery that’s probably supposed to be postmodern and witty but manages to be much, much worse than that. Let’s hope that Chicks on Speed morph into Chicks at Speed, and then crash and burn before they can do any more damage.« (gefunden auf: oxfordstudent.com)

Die DJs müssen diesmal mutiger sein, um diese Platte aufzulegen. Mal sehen, was passiert.

Die neue CD heißt »Press the Spacebar«, ist eine Kooperation mit The No Heads aus Barcelona und kommt am 30. November auf dem eigenen Label Chicks on Speed Records heraus. Das Album wurde von Cristian Vogel produziert.