Die Agentur in uns

Praxis des Selbstmanagements von anton landgraf

Die Zeit läuft. Ist das Geschäftskonzept abgesegnet, der Kostenplan schon eingereicht? Wenn nicht, dann müssen Sie sich beeilen. Nur wenige Wochen bleiben noch, bis die Reform Hartz IV Realität wird. Wer jetzt einen Job sucht, verlässt sich besser nicht auf das Arbeitsamt. Die wenigen freien Stellen werden meistens über Beziehungen oder über direkte Bewerbungen vergeben. Nicht einmal jedes 20. Vermittlungsangebot habe zu einem Erfolg geführt, kritisierte kürzlich der Bundesrechnungshof die Agentur für Arbeit.

Wer längere Zeit arbeitslos ist, hat auf dem ersten Arbeitsmarkt schlechte Chancen. Als letzter Ausweg bleibt nur eine Möglichkeit: selbstständig werden, und zwar schnell. Und so brüten jetzt arbeitslose Hausmeister, Journalisten oder Architekten über Liquiditätsplänen und Geschäftsideen, entwerfen Marketingkonzepte für Drehbuchagenturen, Sprachschulen oder Schlüsseldienste.

Dieser Job verlangt vollen Einsatz, bevor er überhaupt begonnen hat. Mussten die Vermittler bislang mühselig jede Bemühung um eine neue Stelle überprüfen, kümmern sich nun ihre »Klienten« von ganz alleine um diese Aufgabe. Denn wer ohne finanzielle Reserven oder lukrative Beziehungen seine Ich-AG startet und dabei nicht bald auf der Strecke bleiben will, muss Reserven aktivieren, die bislang selbst dem hartnäckigsten Sachbearbeiter verborgen geblieben sind. Der Mangel an materiellen Ressourcen zwingt zu kreativen Lösungen: Freunde und Familie müssen helfen, auch in der Kneipe drehen sich die Gespräche um die neue Geschäftsidee. Selbst die Nachbarn erscheinen in einem neuen Licht: Sind sie vielleicht potenzielle Kunden – oder arbeitslos und deshalb möglicherweise bald ein rivalisierendes Unternehmen?

Wirkungsvoller als alle bürokratische Kontrolle wirkt die kontrollierte Freiheit. Selbst der mürrischste Beamte ist manipulierbar und zeigt vielleicht gelegentlich Verständnis für die schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt. Die eigene Existenzangst hingegen ist erbarmungslos und verweigert sich solchen Eskapaden. Sie zwingt dazu, Dinge zu akzeptieren, die zuvor undenkbar schienen: die Arbeit für einen lächerlichen Lohn, die Scham, sich selbst anzupreisen und zu verkaufen. Das Private wird von der geschäftlichen Seite betrachtet. Die Angst überwindet viele Skrupel und notfalls auch die Hemmungen, die Konkurrenz übers Ohr zu hauen.

Doch dies alles ist nichts im Vergleich zu der Perspektive, wenn die eigene Geschäftsidee scheitern sollte. Dann steht am Ende nicht nur das vermeintliche eigene Versagen, sondern auch die Gewissheit, die letzte Chance auf einen halbwegs annehmbaren Job verspielt zu haben.

Die Agentur vollzieht mit einiger Verspätung nach, was in der privaten Wirtschaft schon lange die Regel ist. Mitarbeiter werden in Subunternehmer, Abteilungen in Profit-Center, reguläre Beschäftigungsverhältnisse in Honoraraufträge umgewandelt. Die Agentur hat die fordistische Reservearmee bislang nur verwaltet. Nun lagert auch sie einen Teil ihrer »Kunden« aus.

Diese müssen nun selbständig nach Arbeit suchen und leben dabei gleichzeitig an der langen Leine. Wer am Ende wieder auf das Amt zurück muss, kann sich schon mal mit den Ein-Euro-Jobs anfreunden. Die neue Selbstständigkeit funktioniert besser als jeder überforderte Vermittler, effektiver als jedes zwiespältige Angebot. Das Arbeitsamt ist tot. Dafür lebt die Agentur jetzt in uns weiter.