Das System läuft stabil

An der Bundesagentur für Arbeit wird vieles kritisiert. Dabei leistet sie genau das, wofür sie da ist. von regina stötzel

Die Nachrichten der vergangenen Tage erinnerten an den Jahreswechsel 1999/2000 und an die Befürchtungen, ein technischer Supergau könne bevorstehen. Vielfach meldeten die Ticker, dass die Rechner in der Bundesagentur für Arbeit (BA) hochgefahren würden – mit der neuen Software für »Hartz IV«. »Sie ist in einem prekären Zustand«, befand Peter Clever, Verwaltungsrat der BA, im Gespräch mit der ARD am ersten Tag des Feldversuchs. »Das System läuft stabil«, konterte die Bundesagentur offiziell. Nahezu jede Stadt meldete ihren Einstieg ins System.

Inzwischen können 16 000 Personen gleichzeitig darauf zugreifen, die Angestellten in 180 Arbeitsagenturen und bei den kommunalen Trägern schieben Sonderschichten, um die Daten flott zu verarbeiten. Wer darauf baute, die Technik könne »Hartz IV« aufhalten, wurde trotz diverser Pannen enttäuscht.

Eine Erfolgsmeldung benötigte die Bundesagentur für Arbeit dringend, mühen sich ihre Zweigstellen derzeit doch vorrangig damit ab, die Anträge auf das neue Arbeitslosengeld II (ALG II) einzutreiben. Und dann noch die Kritik von allen Seiten. Neben den allgemeinen Protesten gegen die Hartz-Gesetze bemängeln die einen den fehlenden Datenschutz (siehe Seite 10), die anderen befürchten schon Klagen wegen einer uneinheitlichen Handhabung der neuen Gesetze. Dass es doch nicht klappt mit der pünktlichen Auszahlung des ALG II zum neuen Jahr und etwaige Vorschüsse nicht rückzahlbar sein könnten, mutmaßen die nächsten. Dem jüngsten Vorwurf des Bundesrechnungshofs, die Vermittlung in den Agenturen führe nicht einmal bei jedem 20. Vorschlag zur Aufnahme einer Erwerbsarbeit, sei also kaum effektiver als zuvor, hatte der Vorstandsvorsitzende der BA, Frank-Jürgen Weise, nicht viel entgegenzusetzen. Derweil prognostizierte das bayerische Sozialministerium bereits ein »Milliardenloch« für das kommende Jahr, weil der Haushalt auf der Grundlage zu optimistischer Wirtschaftsdaten aufgestellt worden sei.

Im Übrigen hat der »virtuelle Arbeitsmarkt« weit mehr als das Doppelte der veranschlagten Summe verschlungen, die ersten Pleiten der Betreiber von Personal-Service-Agenturen (PSA) wurden gemeldet und viel mehr Ich-AGs gegründet, als es der Bundesagentur lieb gewesen wäre.

In einem Papier der BA zum »Stand der Reform« im Oktober ist von alledem nichts zu spüren. »Effizienzsteigerungpotenziale von 15 Prozent wurden bereits verwirklicht«, heißt es darin, die Zentrale in Nürnberg sei zu einer »strategischen Steuerungseinheit mit einer straffen Führungsstruktur« umgeformt und »personell verschlankt« worden, »strategische Ziele« würden durch »leistungsfähiges Controlling« verfolgt, »Zielnachhaltungsgespräche« zwischen der BA, den Regionaldirektionen (ehemals Landesarbeitsämter) und den Arbeitsagenturen fänden statt. »Die BA verfolgt ihren Weg zu einem modernen, kundenfreundlichen und wirkungsorientierten Dienstleister für den Arbeitsmarkt konsequent weiter.« Einer Umfrage der BA in den zehn so genannten Modellagenturen zufolge seien vier Prozent der Erwerbslosen »trotz des stärkeren ›Forderns‹« zufriedener als bisher. Wie viele bisher zufrieden waren, erfährt man nicht.

Tatsächlich scheint der Anteil der Arbeitszeit, der den Vermittlerinnen und Beratern für Gespräche mit den Erwerbslosen zur Verfügung steht, größer geworden zu sein. Das bestätigt Manfred Schäfer, Personalratsvorsitzender der Arbeitsagentur in Essen, einer der zehn Vorzeigeagenturen. Auch sei die Zahl der Personen, die ein Vermittler oder eine Beraterin betreue, von früher etwa 1 000 auf rund 400 Personen gesenkt worden. Angestrebt sind 150 Personen bzw. halb so viele Jugendliche bis 25 Jahre. »Aber das alles schafft keine einzige Stelle. Wir können nur das vermitteln, was da ist«, sagt Schäfer. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung umso beängstigender, dass sich die Agentur künftig viel ausgiebiger den Erwerbslosen widmen kann.

Als die Hartz-Kommission in ihren Bericht schrieb, das »Ziel der Vollbeschäftigung durch einen übergreifenden beschäftigungspolitischen Ansatz« erreichen zu wollen, konnten sich ihre Mitglieder vermutlich das Lachen kaum verkneifen. Peinlich für die Bundesagentur für Arbeit war dagegen, dass ihr ehemaliger Vorstandsvorsitzender Florian Gerster behauptete, durch schnellere Vermittlungen nach der Reform seiner Behörde werde die Zahl der Erwerbslosen um 400 000 sinken. Die Arbeitswelt der Zukunft braucht nun mal nicht mehr Arbeitskräfte. Ein Beispiel dafür, wohin der Trend geht, ist die Bundesagentur selbst.

Allein in der Essener Agentur seien in den vergangenen zehn Jahren 152 Stellen abgebaut worden, während sich die Anzahl der Erwerbslosen verdoppelt habe. »Da stimmt doch was nicht«, meint Manfred Schäfer. Für die aktuelle Mehrarbeit sind 48 Kolleginnen und Kollegen von Vivento, der Beschäftigungsgesellschaft der Deutschen Telekom AG, über ein Amtshilfeverfahren unter Vertrag genommen worden. Ihre Verträge enden zum 31. Dezember, zur Mitte oder zum Ende des nächsten Jahres. »Ich mag so etwas überhaupt nicht«, sagt der Personalrat. »Das ist Leiharbeit, früher nannte man das Frondienst.«

Die Bundesagentur kauft vermehrt Dienstleistungen wie etwa Trainingsmaßnahmen bei privaten Anbietern ein, was nach ihren Quartalsberichten große Einsparungen mit sich bringt. Das habe auch Auswirkungen auf die Beschäftigungsverhältnisse in der BA, bestätigt Gabriele Meyer vom Fachbereich Sozialversicherung bei Verdi. Genaueres ist von ihr nicht zu erfahren, weil sie bevorstehende Tarifgespräche mit der Bundesagentur nicht gefährden will. Vor mittlerweile einem Dreivierteljahr wurde das Gespräch über die Eingruppierung der Angestellten des IT-Systemhauses der BA zwischen der Tarifkommission und der Bundesagentur abgebrochen, weil die Kommission »die von der BA geforderte Verquickung mit Leistungskomponenten« ablehnte, wie Verdi damals bekannt gab. Bei der internen Umfrage der BA in den Modellagenturen gaben acht Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, unzufriedener zu sein als vorher.

Kürzere Wartezeiten und ausführlichere Beratungen für die Erwerbslosen vermag die Behörde zu bewerkstelligen, deren Aufgabe es ist, von individuellen Schikanen oder der freundlichen Genehmigung einer tatsächlich gewünschten Fortbildung abgesehen, die Millionen von Überflüssigen in der kapitalistischen Gesellschaft in Atem zu halten. Um die Gewinne der Unternehmer in Zeiten wachsender Konkurrenz weiterhin sicherzustellen, müssen die Bürgerinnen und Bürger, egal ob mit oder ohne Job, auf Bescheidenheit, »Flexibilität« und »Eigenverantwortung« getrimmt werden. Staat, Wirtschaft und Bundesagentur arbeiten gemeinsam daran.

»Wir zwingen niemanden, billig zu arbeiten«, sagt die Sprecherin der BA, Ilona Mirtschin. »Es ist ein Geben und Nehmen auf der Grundlage des Gesetzes.« Klar, für ein bisschen mehr Geld zum Leben nehmen viele Menschen auch Unzumutbares »freiwillig« an. Die Bundesagentur wird nach ihrer Umgestaltung besser denn je dazu in der Lage sein, die Erwerbslosen so zuzurichten, wie Staat und Wirtschaft sie sich wünschen.