No Fun

Eine emanzipatorische globalisierungskritische Politik ist vom Europäischen Sozialforum nicht zu erwarten. von klaus blees und roland röder

Die Bewegung der Europäischen Sozialforen ist nach der Anfangseuphorie in eine Sackgasse geraten. Gedacht waren die ESF als organisatorisches und kulturelles Sammelbecken aller irgendwie mit dem Bestehenden Unzufriedenen. Am Anfang mag es noch angehen, wenn man eigentlich nur einen besseren Kapitalismus fordert und damit mitunter ungewollt (?) zum Modernisierer desselben mutiert. »Irgendwie unzufrieden« zu sein und ein diffuses Unbehagen an der eigenen Regierung zu spüren, ist jedoch als Grundlage einer politischen Organisierung auf Dauer nicht ausreichend.

In London wird sich das Gleiche abspielen wie bei den Sozialforen in Florenz und Paris. Für diese Voraussage braucht man kein Prophet zu sein. Man protestiert gegen »die da oben«, ohne sich einen Begriff von Politik und Staat zu machen; zumindest keinen, der über das Bestehende hinausweist. Der von Kirchentagen bekannte »Markt der Möglichkeiten« erlebt hier seine außerklerikale Wiederauferstehung. Man fühlt sich gut und einig. Gestritten wird nicht grundsätzlich. Geduldet wird das unbefangene Nebeneinander von zum Teil sich widersprechenden Ansichten. Pluralität ist angesagt. Einmal tief Luft holen, sich von den alltäglichen politischen Niederlagen erholen und eintauchen in ein ideologienübergreifendes Miteinander. So wird es der ideelle no global seinen Enkelkindern berichten und ihnen die Digitalfotos zeigen.

Diesem »Wir-Gefühl« entspricht es dann auch, dass – aller Pluralität zum Trotz – diejenigen, die Kritik äußern, als Störenfriede wahrgenommen und zum Teil auch gewaltsam ausgeschlossen werden. So geschehen letztes Jahr in Paris mit Mitarbeitern der Aktion 3. Welt Saar, als sie sich in einem Flugblatt für das Existenzrecht Israels aussprachen. Diese Erfahrungen waren für uns ein Grund, uns trotz ursprünglicher Absicht nicht am ESF in London zu beteiligen.

Gleichzeitig werden neue, klerikal angehauchte Bündnisse gesucht, wie der Auftritt des Soft-Islamisten Tariq Ramadan auf dem ESF in Paris zeigt. Eine klare Avance der globalisierungskritischen Bewegung an migrantische jugendliche Moslems. Und es hat funktioniert. Ramadan löste eine heftige, antisemitisch aufgeladene Diskussion in Frankreich aus. Er symbolisiert die Zusammenarbeit eines Teils der no globals mit Islamisten, denen auch eine andere Welt vorschwebt: ein islamischer Gottesstaat, in dem die Religion den Alltag kontrolliert und normiert. Ähnliche Avancen an den Islamismus zeigten sich auch beim WSF in Mumbai, als die indische Schriftstellerin Arundhati Roy in ihrer Rede auf der Eröffnungsveranstaltung unter starkem Beifall allen Ernstes dazu aufrief, den Widerstand im Irak, also de facto auch den islamistischen Terror, gegen die US-Besatzungstruppen zu unterstützen. Interessant ist auch, dass diese Passage später in dem schriftlich verbreiteten Redemanuskript fehlte.

Was den ESF fehlt, ist eine Aufarbeitung des offensichtlichen Antiamerikanismus und einer Israel-Kritik, die zwar ab und an auch Richtiges beinhaltet, aber Gleiches oder mit Abstand Schlimmeres nicht an den arabischen Staaten kritisiert. Zweierlei Standards sind Markenzeichen des sekundären Antisemitismus. Gleichzeitig werden die USA im Prinzip für alle Übel der Welt verantwortlich gemacht. Das nicht Gesagte ist dabei das Salz in der Suppe. Offen bezeichnen die wenigsten die EU als das zivile, friedliebende Gegenstück zum militärischen Satan USA. Es ergibt sich eben aus dem Kontext.

Wir suchen die Zusammenarbeit mit den Teilen der Bewegung no global, die bereit sind, sich der Aufarbeitung der antisemitischen Tendenzen in den eigenen Reihen und des dort anzutreffenden subtilen, häufig auch offenen Hasses auf Israel zu stellen. Der hat ohnehin Eingang in den Aufruf der sozialen Bewegungen gefunden, wie er in London beschlossen werden soll. Ein Erstarken der heute minoritären Kräfte wäre die Voraussetzung, die kapitalistische Verfasstheit der Weltgesellschaft ins Zentrum der Kritik zu rücken, statt auf der Basis eines diffusen »Wir wollen eine andere Welt«-Gefühls Unterdrückung und Ausbeutung zu personifizieren, mit Israel und den USA als Sündenböcken. Solange diese Auseinandersetzung verweigert wird, ist das ESF kein Ort, an dem eine emanzipatorische Politik entwickelt werden kann.

Die Autoren sind Mitarbeiter der Aktion 3. Welt Saar. www.a3wsaar.de