Sommer des Bällchens

Tischtennis ist ein Sport für Leute, die oft zu spät kommen und sich nicht gerne quälen, und dient in jedem Fall der Entspannung. von kim bönte

Das Spiel klingt ungefähr so: »Ping, Pong, Ping, Pong – ach, Scheiße!« Und sieht auch genauso aus, jedenfalls wenn Amateure zum Schläger greifen.

Wie viele das in Deutschland sind, ist unbekannt, aber es müssen eine ganze Menge sein, denn selbst in Dörfern, die in den siebziger Jahren kein eigenes Hallenbad errichten konnten, war auf jeden Fall genügend Geld für die Errichtung von ein, zwei Platten vorhanden. Bei schönem Wetter sind die grundsätzlich dicht umlagert. Und wenn die Pingpongspieler fertig sind, übernehmen die örtlichen Jugendlichen den Tischtennistisch als Treffpunkt.

Die Berliner Alex und Chris gehören zu denjenigen, die sich einen Sommer ohne Tischtennis überhaupt nicht vorstellen können. Einem Verein würden sich beide nie anschließen, versichern sie: »Wir wollen dann spielen, wenn wir Lust haben, und nicht dann, wenn es vorgegeben wird!«

Das ist eine kluge Entscheidung, denn Alex ist ein notorischer Zuspätkommer. Sich schon mittags eine Tischtennisplatte zu sichern und die bis Sonnenuntergang nicht mehr herzugeben, ist daher ein niemals in Erfüllung gehender Traum. So muss viel gewartet werden, bis andere Spieler keine Lust mehr haben – oder zu einem der weniger frequentierten Tische in den Randbezirken gefahren werden.

»Ein bisschen irre sind wir schon«, räumt Alex ein, »es passiert immer mal wieder, dass wir im Winter irgendwo in der Stadt unterwegs sind und uns sagen: ›Hier steht sicher eine Platte, die Gegend sieht ganz danach aus.‹« Und so falle ihnen auch auf, fügt Chris hinzu, dass es ein »höchst mysteriöses Platten-Verschwinden« gebe: »Unter der U-Bahnbrücke am Potsdamer Platz war zum Beispiel eine, an der nie jemand spielte – außer uns. Auf einmal war sie jedoch weg, vielleicht steht sie ja jetzt bei jemandem im Garten?«

Heute soll eigentlich am Märchenbrunnen gespielt werden, dort sind jedoch alle Platten besetzt. Kein Problem für wirklich entschlossene Männer:

Aufschlag Chris. Nach einigen Pings und Pongs schmettert er den Zelluloidball unhaltbar auf die Kante. »Du Hund«, ruft Alex, und wirft seinen Schläger in die Büsche. »Der Mann lebt doch nur dafür, mich im Tischtennis zu schlagen. Bestimmt trainiert er heimlich irgendwo!« Chris entgegnet ungerührt das, was er seinem Kumpel nun schon seit mehr als zehn Jahren entgegnet: »Streng dich halt an, wenn du immer zwischendurch anfängst zu quatschen, dann wird das nie was!«

Denn Alex verliert eigentlich jedes Spiel. Bis auf einmal, »es muss 1998 gewesen sein«, erzählt er, während er Chris’ nächsten Aufschlag anzunehmen versucht. Das geht natürlich schief, und so macht er sich auf ins Gebüsch, das Bällchen zu holen. Dabei kann ungehemmt geredet werden: »Also, das war mein Tischtennisgückstag – ich hab’ ihn geschlagen, nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals hintereinander!«

»Weil ich dich gelassen hab’!« grinst Chris, räumt aber ein, dass er einen kurzen Moment gefürchtet habe, nun sei seine Siegesserie »für immer gerissen. Aber gleich am nächsten Tag hab’ ich ihn wieder geschlagen.«

»Ich hätte wahrscheinlich nur dann eine Chance«, seufzt Alex, »wenn ich mal für ein Jahr in den Knast müsste!«

Tischtennis gilt schließlich als ausgesprochene Gefängnissportart. Als der berüchtigte Bautzener Knast der DDR nach der Wende modernisiert wurde, entstand neben einem »Großsportplatz« auch ein Tischtennisraum. Selbst im Pekinger Frauenknast haben die Insassinnen das Recht aufs Pingpongspiel.

Dabei war die verhältnismäßig junge Sportart zunächst ein nur dem Adel vorbehaltenes Vergnügen. Sie stammt vom Tennis, das zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert »Paume« hieß und eigentlich ein Mix aus dem heutigen Tennis und Badminton war. Gespielt wurde es ausschließlich von der damaligen Oberklasse. Und ausschließlich draußen, was natürlich dazu führte, dass die Sportart zumindest in Europa nur in den Sommermonaten ausgeübt werden konnte. Die Paume-Fans wollten jedoch auch gern im Winter aktiv sein, so dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Möglichkeiten gesucht wurde, in den beheizten Salons zum Schläger zu greifen. Zunächst wurde drinnen auf dem Wohnzimmertisch gespielt, mit Federballrackets schlug man in Ballform gebrachte Korken über ein gespanntes Seil. Ein rund um den Tisch angebrachtes Netz sollte verhindern, dass der Ball alle paar Minuten mühsam unter Schränken und Sofas hervorgeholt werden musste. Teure Lieblingsvasen und Glasvitrinen schützte diese Vorrichtung jedoch sicher nicht, und so dauerte es nicht lang, bis ein transportabler Tisch gebaut wurde, der den Spielort variabel machte. Der Schlägerbelag wurde dagegen eher zufällig erfunden: Ein eher durchschnittlich begabter britischer Tischtennisspieler namens E.C. Goode hatte irgendwann im Jahr 1902 Kopfschmerzen. Und ging folgerichtig in eine Apotheke, um sich ein Pulver empfehlen zu lassen. Beim Bezahlen machte er eine Entdeckung, von der die Welt des Tischtennis bis heute profitiert: Als er einige Geldstücke auf die weiche Gummiunterlage, die der Apotheker statt eines Tellers benutzte, fallen ließ, sprangen die Münzen wieder hoch. Goods Kopfschmerzen können nicht besonders stark gewesen sein, denn er schaltete sofort und erwarb die Matte zusätzlich zu dem Analgetikum, klebte sie auf seinen Schläger und gewann das nächste anstehende Turnier wider Erwarten souverän. Um 1920 stagnierte die junge Sportart jedoch. Der Hauptgrund war, dass sich unter den Spielern das so genannte Mauern durchgesetzt hatte, eine Taktik, bei der es darum ging, den Ball möglichst lange im Spiel zu halten und auf Fehler des Gegners zu warten. Chris setzt sie noch heute erfolgreich ein, was Alex regelmäßig zur Weißglut bringt. »Ich bin so blöd, komm, erschieß mich!« schreit er nach dem x-ten unforced error. »Nachher, erst will ich den Satz noch gewinnen«, antwortet sein Kumpel ungerührt.

Und berichtet, während Alex wieder einmal resigniert den weit weggeschleuderten Schläger holen geht, von der Ping-Pong-Diplomatie. Am 6. April 1971 hatte das US-Tischtennis-Team, das zu den Weltmeisterschaften in Japan weilte, von den chinesischen Kollegen überraschend eine Einladung zu einem Besuch in der Volksrepublik erhalten. Am 10. April 1971 überquerten neun Spieler und vier Funktionäre samt Ehefrauen eine Hongkonger Brücke und passierten ohne große Formalitäten die Grenze zum chinesischen Festland.

Seit 1949 war es keinem US-Amerikaner mehr erlaubt worden, nach China zu fahren. »Dieses Ping wurde in der ganzen Welt gehört«, kommentierte das Time Magazine damals die erste Annäherung zwischen den beiden Staaten.

Im richtigen Tischtennisleben ist die Ping-Pong-Diplomatie dagegen weit unspektakulärer. Nach dem Match lädt Chris Alex zum Weizenbier ein.