Wolle, der Antiimp

ich-ag der woche

Wolfgang Thierse, der Präsident des Deutschen Bundestages, wäre sicherlich auch ein guter Bundespräsident geworden, denn er kann prächtig mahnen und versöhnen. Doch bekanntlich haben die Union und die FDP in der Bundesversammlung die Mehrheit, deshalb muss Thierse mindestens noch einmal fünf Jahre warten. Das ist äußerst betrüblich, denn er läuft zu immer besserer Präsidentenform auf.

Seine Herzensangelegenheit ist die deutsche Identität. »Wolle vom Kolle«, wie Thierse sich in seinem Wahlkreis in Berlin-Prenzlauer Berg gerne nennen lässt, forderte in der vergangenen Woche die Rundfunksender in Deutschland dazu auf, mehr deutsche Musik im Radio zu spielen. Sollten sie dies nicht freiwillig tun, müsse eine Quote her, ähnlich wie in Frankreich.

Diese Forderung ist nicht neu, geistreich aber ist ihre Begründung. Denn Thierse will die Quote für deutsche Musik, »damit deutsche und europäische Kultur sich gegen die Allmacht des amerikanischen Kulturimperialismus durchsetzen kann«, wie er dem Fernsehen der Deutschen Welle sagte. Der Parlamentspräsident als Antiimp. Commandante Thierse im Guerillakrieg für Heinz-Rudolf Kunze, Udo Lindenberg und Stefan Reim.

Dass ein alter Quasselbarde wie Thierse dem Radiohörer seinen Musikgeschmack aufdrängen will, ist eigentlich vermessen genug. Dass er es im Stile seiner Parteigenossin Herta Däubler-Gmelin tut, ist unerträglich. Ein Aufschwung in der Ohrstöpselindustrie wird jedenfalls immer wahrscheinlicher. Und der Zustand des sozialdemokratischen Milieus immer erbärmlicher.

stefan wirner