Gefahr für den Nahen Osten

Der Krieg hat den internationalen Terror gestärkt. Clevere Islamisten nutzen die US-Besatzung im Irak für ihren politischen Aufstieg. von martin schwarz

Alles unter Kontrolle, immer rasantere Fortschritte bei der politischen Neuordnung, die Sicherheitslage signifikant verbessert, die Anhänger Saddam Husseins dezimiert, Terror kommt nur noch aus dem Ausland. Das ist es, was US-amerikanische Befehlshaber und Presseoffiziere im Irak den Medien und der Bevölkerung beinahe täglich eintrichtern. Passend dazu wurde dem täglichen Wahnsinn im Irak auch ein Facelifting verpasst: Nicht mehr Saddam Husseins Visage, sondern jene von Abu Musab al-Zarqawi, einem gebürtigen Jordanier aus der Kaderschmiede Ussama bin Ladens, ziert nun die Fahndungsfotos, die US-amerikanische Spezialeinheiten im gesamten Irak bei sich tragen. Al-Zarqawi soll jener Terrorpate sein, der für die Mehrzahl der Anschläge im Irak Verantwortung trägt, seit Saddam Hussein Mitte Dezember seiner Funktion als zumindest symbolischer Mastermind des irakischen Terrors per Verhaftung enthoben wurde.

Die Beweise dafür sind dürftig. Den US-Geheimdiensten liegt lediglich ein auf einer Diskette gespeichertes Schreiben vor, das angeblich von al-Zarqawi stammt und in dem er dazu aufruft, den Bürgerkrieg im Irak zu intensivieren, um die Etablierung einer Demokratie nach US-amerikanischem Vorbild zu verhindern. Die Involvierung al-Zarqawis in die Bombenanschläge der letzten Monate im Irak aber bleibt nach wie vor ein intellektuelles Konstrukt der US-amerikanischen Machthaber im Irak. Tatsächlich vermuten Geheimdienstexperten, dass es im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins zu einer Situation gekommen ist, in der die ideologischen Grenzen zwischen Anhängern des Ex-Diktators und Anhängern Ussama bin Ladens zunehmend verschwimmen. Die gemeinsame Leidenschaft der Anhänger des alten Regimes und des saudischen Terrorpaten, die Amerikaner aus dem Irak zu bomben, hat zu nichts weniger als einer Fusion terroristischer Strukturen geführt. Das macht deren Zerstörung beinahe unmöglich.

Bizarr mutet dabei vor allem an, dass US-Präsident George W. Bush den Krieg gegen den Irak mangels Auffindbarkeit von Massenvernichtungswaffen damit gerechtfertigt hatte, dass Saddam Hussein mit al-Qaida paktieren würde. Damals – vor dem Krieg – entbehrte diese Anschuldigung jeder Grundlage. Im neuen Irak könnte Bush kollateral Recht bekommen. Dass die US-Verwaltung im Irak die Legende vom importierten Terror bemüht, hat taktische Gründe: Importierter Terror würde nahe legen, dass die Iraker sich dem nation building powered by Washington unterworfen haben und nur noch die Irren aus Ussama bin Ladens Terrorakademien dagegen ankämpfen. Das aber ist zu kurz geschlossen: Die bloße Anwesenheit der US-Amerikaner auf irakischem Boden einigt ehemalige Gegner im Kampf gegen die USA.

Noch viel zerstörerischer ist die Sprengkraft, die das missionarische Versprechen der USA birgt, den Irak zu einem demokratischen Prototyp im Mittleren Osten zu konfektionieren und dieses Modell in die Nachbarstaaten zu exportieren. Einen »Domino-Effekt« wolle man erzielen, lautet die Sprachregelung im Weißen Haus. Doch gleichzeitig widerspricht etwa das US-Außenministerium dem Theorem vom »Domino-Effekt«. In einem lange geheim gehaltenen Bericht aus dem Ministerium Colin Powells heißt es: »Liberale Demokratien zu etablieren, wird schwierig sein. Demokratische Systeme könnten von anti-amerikanischen Elementen ausgenützt werden.« Mit diesen anti-amerikanischen Elementen ist in erster Linie nicht der irrlichternde Terrorscheich bin Laden gemeint, sondern jene islamistischen Kräfte, die es verstehen, die Segnungen des westlichen Demokratiemodells für ihre Zwecke auszunützen. Jene also, die sich in die Schaltzentralen der Macht von Damaskus bis Kairo wählen lassen werden, wenn erst einmal der von Washington erhoffte Domino-Effekt eingetreten sein sollte. Auf diese Weise werden clevere Islamisten dem Westen einen wesentlich größeren Schaden zufügen können als der in den apolitischen Wahnsinn driftende bin Laden mit seiner Terror Company.

Von Martin Schwarz erschienen im Verlag Droemer-Knaur die Bücher »Saddams blutiges Erbe« und »Atomterror. Schurken, Staaten, Terroristen: Die neue nukleare Bedrohung«, im Mai erscheint »John Kerry. Amerikas Chance«.