Agitation bildet!

Lernt Unnützes und verbreitet die Kritik an den Lebensbedingungen im Kapitalismus! von steffen falk

Geht die Bildung vor die Hunde? fragt die Jungle World in dieser Reihe. Ist die Bildung das Kapital der Moderne? Werden in Zukunft nur noch die Eliten studieren? Oder braucht der Kapitalismus auch gebildete Massen? Diese Fragen setzen etwas sehr Entscheidendes voraus und provozieren unhöfliche Gegenfragen. Wessen Bildung ist gemeint? Lebten wir nicht schon in der Postmoderne? Wer oder was sind diese Eliten? Wo haben sie sich zuvor herumgetrieben? Wozu sollte der Kapitalismus gebildete Massen brauchen?

Es fällt auf, dass viele Kritiker der hiesigen Bildungspolitik deren weltanschauliche Grundlagen teilen. Ihre Schlussfolgerungen und Forderungen sind Ergebnis richtiger Gedanken über das falsche Ziel und als solche für eine konstruktive Mitarbeit zwar nützlich. Zur Überwindung kapitalistischer Mangelwirtschaft sind sie aber wenig hilfreich. Damit nicht einmal mehr Verbesserungsvorschläge von studentischer Seite an die Verantwortlichen herangetragen werden, folgen hier einige kurze Überlegungen zum Gegenstand. Was also ist und zu welchem Ende führt Bildung?

Das Bildungsideal

Das erste und bestimmende Bildungsideal lautet, dass die Menschen viel lernen und wissen sollten, um dann, möglichst selbstbestimmt auch noch, Herr ihrer eigenen Lage zu werden. »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.« Er hub an zu denken und ließ es gleich wieder bleiben, denn im Folgenden bediente sich Immanuel Kant mehr seines Weltgeistes als seines Verstandes, um dem uneinsichtigen Früchtchen Mensch so einiges vorzuwerfen und nicht um die Ursachen seines Unvermögens zu hinterfragen.

Wer an diesem Bildungsideal festhält, schert sich nicht um die unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen zu Wissen und Bildung. Zu gern wird auch darauf verwiesen, dass Wissen den Menschen Macht verleihe. Umgekehrt: Ohne die Macht, d.h. ohne die Mittel, dieses Wissen anzuwenden, taugt alles Wissen nichts. Attac etwa gefällt sich in der Pose des trotzigen Neinsagers und behauptet erst mal das Gegenteil: Bildung ist keine Ware! Die Kritiker der Globalisierungskritik entdecken die Negation der Negation: Bildung ist eine Ware! Diese beschränkte Einsicht in die Verhältnisse gerät zu einer widersinnigen Tautologie in einer Gesellschaft, in der alles zu einer Ware gemacht werden kann und gemacht wird.

Tatsache ist, dass Erzieher, Lehrer und Professoren keine materiellen Güter produzieren und Kindergärten, Schulen und Hochschulen abgetrennt von der materiellen Warenproduktion vom Staat eingerichtet sind. Mit der erworbenen Bildung müssen die fertig ausgebildeten Träger ihrer Arbeitskraft sich allerdings auf dem Arbeitsmarkt beweisen. Gefragt ist dort aber nur ein Wissen, das sich in irgendeiner Form Gewinn bringend verwerten lässt.

Wer heute an gute Bildung denkt, meint damit immer auch das Einkommen, das sich mit ihrer Hilfe verdienen lässt oder eben auch nicht. Die auf dem Arbeitsmarkt umtriebigen Käufer nehmen sehr gut wahr ob das Angebot ihren Ansprüchen gerecht wird, und machen diese beim Staat geltend. Wie alles andere auch muss sich Bildung hier und jetzt als wirtschaftlich erweisen.

Nur so ist ein widersinniger Schicksalsschlag wie eine akademische Überqualifizierung überhaupt möglich. Das gesellschaftliche Wissen wird eben nur in der Menge und in dem Ausmaß an den Nachwuchs herangetragen, wie es dieser Gesellschaft zweckdienlich erscheint. Wenn Wissen eine Ressource ist, verkörpert vom Humankapital, dann ist es entweder nützlich oder einzusparen.

Das Ziel aller Bildungspolitik ist eine an der Nachfrage orientierte Nachwuchsförderung. Am Erreichen dieses Ziels lässt sich jeder Bildungs- und Kultusminister messen, und daran wird er auch von Kritikern aus der Wirtschaft, den Hochschulen, den Schulen, den Kindergärten und den Entbindungsstationen gemessen.

Mit der Elite an die Spitze

Glaubt man den deutschen Politikern, wurde der deutsche Nachwuchs sträflich vernachlässigt. Die Universitäten seien bis auf wenige Ausnahmen zu einer mittelmäßigen Massenveranstaltung verkommen. Und das, obwohl sich an so genannten Massenuniversitäten ganz offensichtlich nicht die Masse aufhält. Die Folgen deutscher Bildungspolitik seien verheerend, weil die Elite nicht so umhegt werde, wie sie es verdient habe.

Eliten haben dafür zu sorgen, dass sich an der Gesellschaft, wie sie sie vorfindet, nichts ändert. An einer Gesellschaft, die eben so funktioniert, weil es die Eliten, die Gewinner, gibt und die breite Masse, die Verlierer. Die Elite ist und bildet die Oberschicht, die die Geschicke des Restes lenkt und bestimmt, und sie wird an dieser Tatsache ganz sicher nichts ändern.

Hochschulen betreiben nichts anderes als die Ausbildung dieser Elite, und das wird so bleiben, solange es Universitäten gibt. »Deutschland soll wieder Spitze werden!« Dieser Beschwörungsformel folgen seit der Ankündigung der Agenda 2010 Taten. Die Innovationsoffensive des Kanzlers aller Deutschen ist bei der Bildung angelangt, insbesondere bei jener, die die Hochschulen zu vermitteln haben. Voller Neid schauen die Sozialdemokraten nach Yale und Stanford.

Verständige Leitartikler propagieren in der Debatte dasselbe Ziel, mit dem die Bundesregierung sie angestoßen hat: die Wettbewerbsfähigkeit des »Bildungsstandorts Deutschland«, einer Unterabteilung des Wirtschaftsstandorts. Und immer wird dabei so getan, als seien Eliten nicht eine Einrichtung dieser Gesellschaft, sondern eine von Natur aus bestehende Notwendigkeit. Die Kritik setzt dann da an, wo ein mangelnder Durchsetzungswille und eine unfähige Bürokratie entdeckt werden.

Dass elitäres Wissen gebraucht wird, um sich in der Konkurrenz zwischen Unternehmen und Nationen einen Vorsprung zu sichern, ist unumstritten. Deutschland braucht Spitzenuniversitäten, um sich im internationalen Wettbewerb besser durchsetzen zu können. Also eben nicht, um möglichst viele Menschen so schlau wie nur irgend möglich zu machen. Es soll und kann nicht allen alles beigebracht werden. Deutschlands Stärke als Wirtschaftsstandort gilt die ganze Anstrengung der rot-grünen Bundesregierung. Und dafür reichen drei bis fünf Superhochschulen.

Diese Universitäten sollen nicht auf der grünen Wiese neu gegründet werden, sondern aus einem Wettbewerb hervorgehen. Miteinander konkurrieren werden aber demnächst nicht nur die Hochschulen, auch von den Hochschullehrern und Hochschülern wird dies verlangt. Gefördert werden kein Wissen und keine Bildung, sondern Anpassungsfähigkeit und die Jagd nach dem eigenen, kurzfristigen Gewinn. Nur noch den Besten der Besten soll das Beste, also beste Lehr- und Forschungsbedingungen zur Verfügung gestellt werden. Dass der Wettstreit, in den sich die Hochschulen stürzen, noch mehr Menschen von der akademischen Bildung ausschließt und diese selbst immer mehr einen reinen Ausbildungscharakter für die um die besten Köpfe konkurrierende Wirtschaft erhält, wird nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern gewünscht.

Was tun?

Wenn es um Wissensvermittlung ginge, dann müsste sie ganz anders organisiert werden. Eliteuni oder Sparzwang – diese Wahl, die eigentlich keine sein sollte, scheint die einzige zu sein, vor die sich die Studierenden gestellt sehen. »Ein verlorenes Semester für die Eliteuni«, titelte der Spiegel. Nein, dafür haben wir nicht gestreikt.

Was können die wenigen noch verbliebenen kritischen Studierenden tun? Erstens: keine Kaderschmiede sein. Eine Kritik, die sich an der mangelhaften Betreuung derjenigen, die es geschafft haben, stört, sollten wir nicht teilen. Nicht, dass den Leuten das Blaue vom Himmel heruntergelogen und dann nicht eingehalten wird, ist der Skandal, sondern dass Wissensvermittlung in dieser Gesellschaft an die Bedürfnisse von Staat und Kapital geknüpft ist. Lieber setzen wir uns weiter für eine Bildung ein, die den Menschen das Denken über ihre Lebensbedingungen ermöglicht.

Zweitens: Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Sich gesellschaftlich unnützes Wissen aneignen, um zu einer richtigen Erklärung falscher Verhältnisse zu gelangen. Und drittens: nichts Geringeres als die gute alte Aufklärung über die Funktionsweise dieser Gesellschaft organisieren. Es geht um den Ausgang nicht des Menschen, sondern der Besitzlosen, aus dem Unvermögen, sich ihres Verstandes ohne Leitung eines anderen, d.h. ohne auf den Besitz eines anderen angewiesen zu sein, zu bedienen.

Selbstverschuldet war und ist dieses Unvermögen nie. Eine Bewegung, die aber die intellektuelle Auseinandersetzung scheut und sich nur nach dem Gelingen ihrer kreativen Aktionen bewerten lässt, ja sogar den politischen Erfolg davon abhängig macht, verdient keine Aufmerksamkeit außer der solidarischen des politischen Establishments.

Für alle, die etwas anderes wollen, geht es um eine Aufklärung, die auch in etwas münden kann, darf und sollte, das sich früher einmal Agitation nannte. Mit dieser Agitation einen Streit auszulösen, mit den streikenden und nicht streikenden Kommilitonen und allen Interessierten, könnte für eine Bewegung sorgen, die mal wieder eine wäre.

Der Autor ist Referent für Hochschulpolitik und Weltrevolution im Asta der TU Darmstadt