Sleeper Cell

Hauptquartier, Meldung 3 257

Freakparty am Lagerfeuer. Seltsam friedlich alles. Obwohl am Horizont ockerfarbenes Licht leuchtet, Übungsfeuer der US-Marines. Wir hören dem Gequassel von Teenyfreaks und lokalen Akademikern aufmerksam zu. Es sind Skateboarder aus Palm Spring, Sandbuggy-Fanatiker, UCLA-Kunststudenten und lokale Macho-Girls mit ärmellosen Lewis-Jacken und diesem massiven Anspruch nach mehr – was das ist, darüber kann man aber meistens nicht mehr erfahren als über einen mittelalterlichen Geheimbund. Jetzt geht es gerade um zerquetschte Schildkröten auf dem Highway 62. Dann fällt plötzlich dieser grausame Begriff: Citizen Reporter.

Hey, was ist das denn? Blöder Begriff. Die technoiden Smarties von der University of California haben ihn fallen lassen, labern hier plötzlich von der Zukunft des Journalismus: Die neuen Augenzeugen von Katastrophen, Verbrechen und Großanlässen werden künftig ihre unmittelbaren Eindrücke auf dem Handy festhalten und die geschossenen Bilder in Sekundenschnelle in alle Welt übermitteln. Das behauptet ein Typ, den sie Savage Sam nennen. Er belieferte die Los Angeles Times mit Brutalo-Bildern von den Krawallen beim Wirtschaftsgipfel in Seattle.

Sams Mädchen heißt Mountain Girl. »Etablierte Medienbetriebe machen sich das Instantpublishing längst zunutze…«, sagt Mountain Girl. MG gehört zur neuen Medien-Gang, mit Kamera-Handys bewaffnete »Gaffer« am Ort eines unerwarteten Ereignisses. Manchmal fahre sie mit ihrem Daddy, einem Riesenungeheuer von Lastwagenfahrer, quer durch Amerika und publiziere ihre persönlichen Erlebnisse. Die ausgefreakten Weblogs haben sich aber längst vom Tagebuch zum ernst zu nehmenden Darstellungsformat mit seriösen Inhalten gewandelt: Augenzeugenberichte! Lüstern! Krätzig! Geil! Ein Macho-Ding. Die Vorstellung, dass Mountain-Girl die US-Medien revolutioniert, treibt den Skateboardern aus Palm Spring das Adrenalin in die Birne. Ein Telefon mit Kamera? Wahnsinn.

Das Orakeln geht weiter. »Professionelle Fotografen und Reporter sind erledigt«, sagt ein übel aussehender Freak namens Bob the Gloom, eine richtig abgerissene Urschleim-Majestät. Die BBC habe ihn vergangenen Sommer ermuntert, sich als illegaler Immigrant einzuschleusen und die Schreckenswanderung von Mexiko in die USA durch die kalifornische Wüste mitzumachen. Da kommen ja wegen der schweinischen Schlepperkojoten immer wieder ganze Familien um. Hitze und Orientierungslosigkeit im Nirgendwo, versteht ihr. Müssen Wahnsinnsbilder sein, wenn diese Leute so austrocknen und die eigene Pisse trinken…

»Klingt aber mühsam«, sagt jetzt ein zottelhaariger Sandbuggy-Freak, den sie Winzig nennen. »Alle wollen Action in den Medien, und alle wollen sie sofort, aber geile Zombie-Action könnt ihr ja nicht immer garantieren, seid ja auch nur Menschen, ha, ha, ha …«

Und dann platzt es aus Mountain Girl heraus: »Das ist ja nichts«, sagt sie. »Ich hab Bilder von der nackten Uma Thurman …«

Alle Augen sind jetzt auf MG gerichtet. Sie habe auf dem Set von »Kill Bill« gearbeitet und da sei es passiert. Im Wohnwagen der Thurman, einfach so, schnell das Handy gezückt, klick-klack. Niemand hat’s gemerkt. Die Bilder sind ein Vermögen wert, obwohl sie die nie verkaufen wird. Schließlich mag sie Uma. Das habe sie auch einer Condé-Nast-Tante erzählt. Und die hat ihr dann einen Auftrag für die kommende Oscar-Nacht verschafft: Scharfe PhonePix von den Afterpartys, schneller um die Welt als die Agentur Reuter, hi, hi, und ha,ha, und klick, klack. Da lacht Mountain Girl.

»Sleeper Cell« erscheint als anonymer Kolumnenroman.