Anschwellender Zwiegesang

Die Frankfurter Sonntagszeitung ruft das deutsche Vaterland aus von jörg sundermeier

Der Vater macht es einem nicht leicht. Wenn man erwachsen wird und Fragen stellt, die der Vater nicht beantworten kann, dann schmollt er. Und redet nicht mehr mit einem. Und man steht dumm da. Besonders dumm steht man da, wenn der Vater abstrakt ist, etwa, wenn er das Vaterland ist. Das Vaterland nämlich lässt sich nicht ansprechen, nicht bezirzen, nicht rütteln und schütteln, das Vaterland, sofern man an es glaubt, ist da und schweigt. Es muss beschworen werden. Und es antwortet, wenn man, wie gesagt, ans Vaterland glaubt, nur über Medien und Orakel.

Auf Zeichen vom Vaterland wartete Konrad Schuller in der vergangenen Woche. Dann erschienen sie ihm. Und gleich zuhauf. Das Vaterland meldete sich, und Schuller, in Sorge, jemand möge die Zeichen übersehen haben, schrieb unter der Überschrift »Ist das der Ruck? Löst sich der Knoten?« für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung noch einmal alles auf. So erfuhren wir, dass die »Woche voller Inszenierungen« ausgerechnet mit dem gemeinsamen Auftritt von Roland Koch und Peer Steinbrück am 30. September begann: »Jeder hat an diesem Tag den anderen gebraucht. Erst im Zwiegesang, sich gegenseitig sekundierend und bewachend, haben Koch und Steinbrück sich aus dem Schützengraben getraut, der zu den Neuigkeiten dieser Tage zählt.« Zwiesingend und sich brauchend stiegen also Rot und Schwarz aus dem Schützengraben, um jenen »Rasenmäherplan« zu verkünden, der die sozialen Einschnitte fordert, die schon immer gefordert werden. Durch diesen Auftritt, so Schuller, wurde »der Aggregatzustand der deutschen Politik« »ein anderer«: »Was fest war, ist jetzt flüssig.« Und wenn was Festes flüssig geworden ist, dann kann es auch gleich verdampfen und in die Höhe steigen.

Dort sitzt Roman Herzog. »Roman Herzog sitzt hoch. Oberster Richter ist er gewesen, als Bundespräsident hat er seine Laufbahn beschlossen. Mit dem Ruf in der Wüste, ein ›Ruck‹ müsse durchs Land gehen, ist er vor Jahren in den Olymp der deutschen Rhetoriker eingegangen.« Wenn der Ruf in der Wüste bereits in den Olymp eingehen lässt, muss der geforderte Ruck auch bald mal kommen.

Angela Merkel versagt nun Gerhard Schröder die Unterstützung bei den »Reformen« nicht, und schon ist das ein »Vaterlandstag«. Denn: »Angela Merkel hat all die Themen und Leitmotive durchgespielt, die in diesen Tagen der unerwarteten Resonanzen aus dem deutschen Klangkörper gedrungen sind.« Der deutsche Klangkörper besteht nicht nur aus den Körpern von Steinbrück, Koch, Herzog und Merkel, nein, der deutsche Klangkörper ist auch der Joschka Fischers. Denn Fischer habe, als er jüngst das neue Buch Wolfgang Schäubles vorstellte, »übrigens Schwarz-Rot-Gold getragen bei dieser Fraternisierung«, einen Anstecker mit der Nationalfahne, obschon er »vor Jahren« noch den »Gedanken weit von sich gewiesen« habe, »sein Amtszimmer mit Fahnen zu schmücken«. Und Schröder schließlich habe bei den Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit im Dom zu Magdeburg tatsächlich gebetet.

Der deutsche Klangkörper ist hergestellt, freut sich Schuller, »der Tross ist in Bewegung«. Er ruckt. Es ruckt. Und mancherorts hat sich auch der Knoten gelöst, ganz und gar.