Wieder verzweifelt sein

Warum der Ex-Smiths-Frontsänger Morrissey gute Chancen hat, wieder groß rauszukommen. von kerstin müller

Pubertät in den Achtzigern – viel ist gesagt worden über die umhegte, in vorgewärmte Bademäntel eingewickelte »Generation Golf«. Aber wo sind die, für die Erwachsenwerden auch in den Achtzigern Krise und Rebellion oder zumindest Verweigerung bedeutete? Wer spricht von denen, die nicht mit ihren Eltern »Wetten, dass« gucken wollten? Wann melden sich die Holden Caulfields, die sixteen, clumsy and shy waren und nur eines mit Leidenschaft taten: verachten und The Smiths hören? Smiths-Sänger Morrissey drückte es für alle Suchenden und Adoleszenz-Verwirrten aus, die ausgesprochen unfröhlich pubertierten: »And when you want to live / how do you start?«

The Smiths gehören zu den einflussreichsten Bands der achtziger Jahre und waren der krasse Gegensatz zu Glamour-Bands wie Duran Duran oder Spandau Ballet, bei denen die Welt in Ordnung war und es keine Probleme gab. Die Independent-Band aus Manchester klagte, lamentierte und beschwerte sich in jedem ihrer Songs. Selbst in »Some girls are bigger than others«, dessen Sinn sich nicht unbedingt sofort erschließt, klingt die Ungerechtigkeit der Welt an.

Die melancholischen, bisweilen agressiven und oft auch ironischen Texte drehen sich um Themen, wie sie jene umtreiben, die nicht mehr in die eine und noch nicht in die andere Welt gehören. Die Songtexte der Smiths handeln praktisch die gesamte Palette adoleszenter Gefühle ab: von jugendlichem Ennui, Unsicherheit und Zweifeln und immer und immer wieder Einsamkeit. Eine ihrer berühmtesten Zeilen lautet: »Life is very long when you’re lonely.« Der Eintritt ins »wahre« Leben wird verhindert durch eine tief empfundene Zugehörigkeitslosigkeit, verbunden mit einer romantisierten Todessehnsucht, die zum Beispiel davon träumt, gemeinsam beim Crash mit dem Doppeldecker-Bus zu sterben.

The Smiths wurden zu Idolen, weil sie genauso wenig zurechtzukommen schienen wie viele, die 1987 sechzehn Jahre alt waren und sich wie »the boy with the thorn in his side« fühlten: verwundet, behindert durch ein Übermaß an Sensibilität und gänzlich unverstanden. Ihre eigenen Idole bzw. die Morrisseys zeichnet übrigens ebenfalls der Protest, die unangepasste Haltung aus. Über James Dean und Oscar Wilde sagt Morrissey 1984 in einem Interview mit dem Rolling Stone: »Sie waren die einzigen Gefährten, die ich als verzweifelter Teenager hatte.« Gemeinsam haben der »rebel without a cause« und der viktorianische Dandy, dass sie in gesellschaftlich gesehen extrem restaurativen, konservativen Zeiten gegen das bürgerliche Normen-Korsett protestiert, anders gelebt und letztlich mit ihrem Leben dafür bezahlt haben.

Auf dem Album-Cover von »The Queen is dead« liegt Alain Delon hingestreckt auf Pflasterstein. Es wirkt so, als wäre er von einem Auto angefahren worden, Symbol für beschädigte, verschwendete Jugend.

Nachdem der Höhepunkt der Verlorenheit knapp überwunden war, galt es dann aber, die eigene Haut zu retten, sich doch zu arrangieren, die Krise zu meistern. Die Reliquien der Verzweiflung mussten verschwinden. Eine Band, die das Außenseitertum feiert, ja en vogue gemacht hatte, behindert beim Dazugehören.

Denn es ging nun darum, sich nicht mehr als Gegensatz zu allem Etablierten, Gesunden, Normalen zu empfinden. Nicht mehr am Rand stehen, sondern den Absprung kriegen. Nicht mehr überkritisch und mies gelaunt sein. Der Misanthropie abschwören, bei der Hass und Scheu so dicht beieinander liegen. Nie wieder so deprimiert und überanspruchsvoll in moralischen Fragen sein wie Morrissey. Philanthrop werden, positiv denken, jung sein, endlich die Möglichkeiten entdecken. Alle wollten das plötzlich. Willkommen in den Neunzigern. Die Zahl derer, die schwarz sahen, schrumpfte, und so wollte jeder an die glänzende Zukunft glauben, in der sich ein schönes Plätzchen fände. Erwachsen werden. Und nicht mehr nörgeln. Ebenso wie die Adoleszenz selbst war das Phänomen The Smiths so plötzlich beendet, wie es begonnen hatte. 1987, nach nur fünf Jahren, löste die Band sich auf. Eine Generation begann sich einzuordnen.

Jetzt erreicht uns die Nachricht aus Großbritannien, dass der 44jährige Morrissey, der mittlerweile in Los Angeles lebt, einen neuen Plattenvertrag hat, und zwar mit dem Reggae-Label Attack. Sie erreicht uns in dem Moment, in dem sich »um-die-30jährige« fragen, ob sie ihre besten Zeiten nicht schon längst gehabt haben. Ob nicht die pubertäre Depression und Lebensangst sich wiederholen, diesmal allerdings auf einer wirtschaftlich-sozialen Basis, die Grund zu Sorge und Pessimismus gibt. In den achtziger Jahren haben wir uns schwer getan mit der Integration, mit dem Verlust von Unschuld und Kindheit, erwachsen werden fühlte sich kalt und einsam an. Wir betrauerten den Verlust von Sicherheit und Geborgenheit – Dinge, die uns jetzt erneut und gleichzeitig zum ersten Mal abhanden kommen.

Zeigt sich nicht, dass die Möglichkeiten zu tausend Daseinsformen im Grunde lauter Unmöglichkeiten waren? Wir haben die neunziger Jahre genutzt, um uns zu betäuben, zu besänftigen, abzulenken, redlich um Eingliederung zu bemühen. »But we never quite managed to fit in«, schreibt ein Morrissey-Fan auf einer der zahlreichen Websites, auf denen Fans bis heute tapfer alles zusammentragen, was The Smiths jemals gesagt und gesungen haben.

Jetzt finden wir uns – wenn überhaupt – in Arbeitsverhältnissen wieder, in denen die Streber von gestern die Vorgesetzten von heute sind. In denen nicht Talent und Persönlichkeit zählen, sondern die Fähigkeit, auch in vorgeblich flachen Hierarchien schnellstmöglich die Obrigkeit als solche zu identifizieren und sich ebenso schnellstmöglich einzuschleimen. Wir haben Kommunikationswissenschaften studiert, um zu wissen, dass es Sender und Empfänger gibt. Wer sendet und wer empfängt – das lernen wir jetzt –, wird nur selten vom Intellekt bestimmt. Wir haben Chefs, die auf unseren Lebenslauf schauen und meinen, uns zu durchschauen. Die Sensibilität, mit der wir einst The Smiths und ihre poetischen Texte verstanden haben, ist es, mit der wir uns jetzt im Wege stehen.

Morrissey hat gute Chancen, wieder zur Stimme einer Generation zu werden. Langsam machen sich Depressionen – der Nährboden eines Künstlers, der in den neunziger Jahren kaum beachtet und so gut wie nie gecovert wurde – wieder breit: Arbeitslosigkeit bedroht auch die, die sich bisher als gut ausgebildete High Potentials verstanden haben. Tägliche Meldungen von Kürzungen, Sparmaßnahmen, Streichungen, Entlassungen, Insolvenzen kühlen die Stimmung auf den Nullpunkt herunter. Zeit, auf cool Britannia zu blicken.

Die Stadt, aus der The Smiths kommen, Manchester, hat immer noch eine der höchsten Selbstmordraten Englands. Die Spanne zwischen Arm und Reich wird auch hierzulande größer, Hoffnungslosigkeit macht sich breit, eine »The winner takes it all«-Ideologie verstärkt das Gefühl des Versagens. How soon is now? Zeit für Morrissey.

Ich habe kürzlich alle Smiths-Alben neu gekauft. Diesmal als CDs: Depression und Larmoyanz neu aufgelegt. »But don’t forget the songs / That made you cry / And the songs that saved your life/ Yes, you’re older now / And you’re a clever swine / But they were the only ones who ever stood by you.«