Mekka in Bayreuth

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Auf der Suche nach der kulturellen Identität ihres neuen historischen Projekts machen zwei Intellektuelle aus Ljubljana und Frankfurt deutliche Fortschritte. Nachdem Jürgen Habermas bereits kürzlich die zivilisatorische Mission Europas entdeckt hat, ist nun auch Slavoj Zizek fündig geworden: in Bayreuth.

»Die Bayreuther Inszenierungen registrieren am genauesten, was uns geistig und politisch umtreibt«, schreibt Zizek in der aktuellen Ausgabe der Zeit. Dort werde alles thematisiert, von der »ökologischen Kritik« über die »Raumfahrttechnik« bis zur »politischen Revolution«.

Einige Jahrzehnte zuvor haben sich schon ganz andere Denker als Zizek von Richard Wagner inspirieren lassen. Doch manche haben dabei, wie sich nun in der Zeit herausstellt, sein Werk ganz falsch interpretiert. Wagner, ein Antisemit? Ach was. Der Ring sei keineswegs ein einziger »antisemitischer Traktat«, meint Zizek. »Wesentlicher« sei, dass bei Wagner »die antisemitische Figur des Juden selbst bereits eine Chiffre für ideologische und soziale Antagonismen ist«.

In Bayreuth, werden soziale Konflikte immer wieder neu interpretiert und aktuelle »Bezugsrahmen« gefunden. Kein Wunder also, dass Kulturschaffende dort nach Inspirationen suchen. »Als Mekka der kulturellen Fundamentalisten Europas taucht es immer wieder auf – der Ort ihrer hadj, ihrer heiligen Pilgerreise. (…) Der Kern wird nicht mehr von eingefleischten Konservativen gebildet« – sondern eben von linken Philosophen wie Slavoj Zizek. Auf seiner hadj in das europäische Mekka wird er sicherlich auf zahlreiche Kollegen treffen. Vorsorglich hat er sie jedenfalls schon dazu eingeladen.

»Nach den öffentlichen Briefen von Jürgen Habermas, Jacques Derrida, Richard Rorty und anderen Philosophen ist in den vergangenen Monaten viel von der Wiederbelebung der Werte Kerneuropas geredet worden, die ein Gegengewicht zur amerikanisierten Weltordnung bilden sollen«, folgert Zizek am Ende seines Artikels. »Wenn es heute ein kulturelles Ereignis gibt, in dem sich die europäische Tradition verkörpert, dann ist es Bayreuth – oder, um Max Horkheimer zu paraphrasieren: Wer von Bayreuth nicht sprechen will, der sollte von Europa schweigen.« Siegfried, übernehmen Sie!

anton landgraf