Die Fortsetzung des Krieges

Objekte polizeilicher Routine, weltweit | Thomas Atzert und Jost Müller

Die linke Debatte über den Krieg gegen den Irak war schnell in den eingefahrenen Bahnen der traditionellen Imperialismustheorie. Auch die Polarisierung innerhalb der Linken – Kriegsbefürworter hier, Kriegsgegner da – ist nicht gerade neu. Einer Kritik der imperialen Kriegsordnung steht vor allem das Festhalten an instrumentalistischen Auffassungen vom Krieg entgegen.

Von einer neuen Form des Kriegs und der Kriegsführung ist nicht erst seit den Ereignissen der letzten 18 Monate die Rede. Die Debatte setzte im Golfkrieg 1991, spätestens aber mit den Kriegen in der ehemaligen Sowjetunion und im ehemaligen Jugoslawien ein. Waffentechnologische Neuerungen, historische und soziologische Aspekte sowie politische Programme zur neuen Kriegsführung wurden herbeizitiert. Und man gelangte dabei kaum über eine Typologisierung hinaus: Es gibt Bandenkriege wie in Somalia oder Afghanistan, geführt von Warlords, deren einziges Ansinnen darin zu bestehen scheint, den Krieg zu prolongieren, weil er die Quelle ihrer Macht darstellt. Es gibt Staatszerfalls- und Staatsbildungskriege, wie etwa im Fall des Kriegs zwischen Aserbaidschan und Armenien oder auch im ehemaligen Jugoslawien, und weiterhin Bürger- und Staatenkriege, zudem die vielen low intensity wars. Es gibt schließlich asymmetrische Kriege wie den Krieg in Israel und Palästina, den in Afghanistan oder den im Irak heute und nicht zuletzt den dem Terrorismus erklärten Krieg. Die neue Form des Kriegs lässt sich anhand der Typologie jedoch nicht hinreichend bestimmen, denn sie beseitigt keineswegs die Unübersichtlichkeit der Kriegsmotive und ihrer Legitimationen, und jeder einzelne Typus hat seinen historischen Präzedenzfall.

Die Fortsetzung der Politik

Ungebrochen ist in den Debatten die Dominanz einer instrumentalistischen Auffassung vom Krieg, getreu der viel zitierten Formel Clausewitz’: »Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.« Ein solcher Instrumentalismus beseelt auch die linken Kriegsbefürworter, die sich heute wieder zu Fürsprechern einer Zivilisation machen, die ihre Destruktivkräfte gegen die versprochene Zivilität ausschlagen lässt und den zivilen Gesellschaften eine Militarisierung ihrer Potenziale auferlegt. Und Instrumentalismus kennzeichnet die Position jener, die anhand politökonomischer Kategorien und der Analysen geostrategischer Interessenslagen die Kriegsbedingungen glauben hinreichend bestimmen zu können und dann eine imperialistische Konkurrenzsituation mit unterschiedlichen Kriegszielen diagnostizieren. Doch die Argumente für westliche Demokratien und gegen diktatorische Regimes sind ebenso bekannt wie die geostrategischen Ziele in der Golfregion.

Es ist zweifelhaft, ob sich die gegenwärtige Form der internationalen Kriegsführung mit solchen Argumenten bestimmen, geschweige denn kritisieren lässt.

Einen grundlegenden Perspektivwechsel bietet eine Verschiebung, die Michel Foucault an Clausewitz’ Formel vornahm. Um die Dispositive der Macht präziser zu bestimmen, spricht Foucault davon, dass »die Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist«. Foucault kehrt Clausewitz’ Satz um, er beschreibt Macht als Krieg. Diese Perspektive richtet die Aufmerksamkeit nicht länger auf die Relation der Ziele und Mittel, sondern auf Kämpfe und Kräfteverhältnisse, Konfliktlinien und Dynamiken. Der Krieg stellt eine Ordnung her.

Ordnung stiftender Krieg. In den imperialen Kriegen der Gegenwart formiert sich die politische Ordnung des globalisierten Kapitalismus. Der Krieg ist kein Mittel der Expansion einer konstituierten Ordnung oder ihrer Wiederherstellung, der Krieg ist weder roll back noch containment, er ist nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern der Krieg wird zur Grundlage der Politik und der Legitimität. Das Wiederaufleben der Vorstellung vom »gerechten Krieg« in der Gegenwart gibt einen zentralen Hinweis, um diese Form des »Ordnung stiftenden Kriegs«, wie Toni Negri ihn nennt, zu erläutern.

Heute ist der säkularisierte »gerechte Krieg« zu einem Moment der Weltpolitik geworden, das seine Rechtfertigung in sich selbst trägt. Zwei Elemente sind im Unterschied zu den Konflikten nach 1945 in diesem Konzept des »gerechten Kriegs« kombiniert: erstens die Legitimität des militärischen Apparats als ethisches Instrument von Weltordnung, etwa im Diskurs über die Durchsetzung der Menschenrechte oder über das Vorgehen gegen verbrecherische Regimes, zweitens – qua Effektivität – die Legitimität der militärischen Aktion, um die gewünschte Ordnung und den vermeintlichen Frieden herzustellen. In diesem Sinn wird der Krieg, wie im übrigen auch der Feind, zugleich banalisiert und verabsolutiert, auf ein »Objekt polizeilicher Routine« reduziert und gleichzeitig als absolute Bedrohung der ethischen Ordnung dargestellt.

Die Synthese der beiden Elemente schafft ein Kontinuum und eine Ununterscheidbarkeit zwischen Polizeimaßnahmen und militärischem Vorgehen, das zweifellos ein entscheidender Faktor ist, von dem die Grundlagen der Ordnung abhängen werden, die Michael Hardt und Toni Negri als Empire beschreiben. Die säkularisierte Form des gerechten Kriegs mündet in eine diffuse permanente Kriegsordnung, wie sie sich im »langandauernden Krieg gegen der Terrorismus« propagandistisch angekündigt hat. Es handelt sich um einen Krieg ohne Beginn und ohne Ende. Der Irakkrieg stellt in diesem Rahmen lediglich eine Zwischenstation zur Etablierung einer globalen Kontrollgesellschaft dar, in der die Überbleibsel der West-Ost-Blockkonfrontation sukzessive bereinigt werden sollen, zumal wenn die bestehenden Kriegsökonomien, wie im Fall Jugoslawiens, Afghanistans und des Irak, der kapitalistischen Akkumulation wie der politischen Integration in die Weltordnung hinderlich sind.

Kontrollgesellschaft. Der Krieg zerstört Gesellschaften und setzt die Bevölkerungen neu zusammen, reißt Grenzen nieder und errichtet neue. Der Krieg zielt auf die Etablierung globaler Kontrollmechanismen, die die Verfügung über die Mobilität, die Produktion und die Ressourcen regeln sollen. In diesem Sinn ist Krieg konstitutiv präsent in der biopolitischen Produktionsweise, wie sie sich gegenwärtig herausbildet.

Es geht um die Durchsetzung einer Kontrollgesellschaft, in die sich die einzelnen politischen Regimes eingliedern, um den Prozess der kapitalistischen Globalisierung, die Formen der internationalen Vergesellschaftung von Kapital, Arbeitsteilung und Wissensproduktion, die Hardt und Negri als reelle Subsumtion der gesamten Gesellschaft unter das Kapital bezeichnen, gegen die Risiken und Krisen abzusichern, die dieser Prozess fortlaufend produziert.

Die Regierungen bereiten durch entsprechende Sicherheitsgesetze ihre Gesellschaften auf diese Kriegsordnung vor: Sie organisieren keine Massenmobilisierung für den Krieg wie in den Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts, formieren jedoch die staatlichen Apparate umso gründlicher, wie etwa die Vorbereitungen zum innenpolitischen Einsatz der Armee in Deutschland oder die Durchsetzung der Rasterfahndung zeigen. »Gott« und »Vaterland« dienen dabei lediglich als säkularisierte Galionsfiguren, denn vor allem die soziale Panik, die der universelle Kampf gegen den Terror schürt, fördert die Muster autoritärer Kollektivbildung, die den Verlust nationalstaatlicher Souveränität kaschieren und die kriegführenden Gesellschaften in die katastrophische, ja manichäische Alternative »wir«, die Guten, oder »sie«, die Bösen, zwingen helfen.

Imperialismus und Empire

Die Brisanz der Analyse von Hardt und Negri liegt darin, dass sie den Niedergang der nationalstaatlichen Regulierung und die Krise der nationalstaatlichen Institutionen diagnostizieren. Der Nationalstaat ist nicht länger der wichtigste Akteur internationaler Politik. Imperiale Weltordnung meint ein stratifiziertes, in Netzen organisiertes Herrschaftssystem, das kein Äußeres mehr kennt. Staatliche Organisation und nationale Form entkoppeln sich und die völkerrechtliche Definition nationaler Souveränität besitzt de facto keine Gültigkeit mehr. Doch dieser Niedergang ist kein sang- und klangloses Verschwinden des Nationalstaats, sondern die Ablösung seiner paradigmatischen Funktion, wie sie vor allem auf dem europäischen Kontinent entstand und sich über Kolonialismus und Imperialismus verallgemeinerte.

Imperialismus und Empire lösen einander aber nicht im Sinne einer definitiven Epochenfolge ab, nach der das Zeitalter des Imperialismus von der Ära des Empire einfach ersetzt würde. Offensichtlich versuchen die USA unter der Regierung George W. Bushs jr. in unmittelbarer Anknüpfung an die Regierungen Ronald Reagans und George Bushs sen., erneut eine imperialistische Politik zu treiben. Hardt und Negri haben darauf verwiesen, dass der Imperialismus die permanente Versuchung der USA ist. Sie haben aber auch gezeigt, dass und wie sich die Politik der USA historisch als Staat »weißer Dekolonisation« von Anfang an vom Imperialismus der europäischen Nationalstaaten unterscheidet.

Allerdings sollte man die strategischen Optionen einer Administration und ihrer think tanks, die heute das »American Empire« und ein »New American Century« proklamieren, nicht mit den strukturellen Bedingungen der Weltpolitik verwechseln. Das imperiale Archipel kennt keine monokratische Spitze mehr, aber Konkurrenzbeziehungen, deren Ausagieren eine Schranke an den politischen Erfordernissen globaler Kapitalakkumulation findet. Der Auf- und Ausbau der EU sind, wie auch deren Konflikte mit den USA, in diesem Sinn kein imperialistisches, sondern ein imperiales Herrschaftsprojekt.

So sehr die gegenwärtige Bush-Administration im Krieg gegen den Irak ein nationales Interesse herausstreicht, so sehr entäußert sie sich zugleich der Kontrollmechanismen der Weltordnung, daher der Zickzack-Kurs zwischen multinationalem Konsens und nationalem Alleingang, der die Politik zur Vorbereitung der massiven Kriegsintervention seit dem Spätsommer 2002 gekennzeichnet hat. Der politischen Option, Kontrolle militärisch zu restaurieren, fehlt angesichts der Internationalisierung des Kapitalverhältnisses unter der US-Hegemonie nach dem Zweiten Weltkrieg und mit deren Krise in den achtziger Jahren letztlich ein ökonomisches Pendant, das auf nationaler Basis organisierte Kapital oder – mit Blick auf die Klassenfraktionierung ausgedrückt – eine nationale Bourgeoisie, die wie einst die englische Vorreiter einer globalen Dynamik sein könnte. Die Konzerne der Ölindustrie sind diese Vorreiter mit Sicherheit nicht.

Gegen die Ordnung des Kriegs. Eine antimilitaristische Opposition gegen die militärische Option darf sich allerdings nicht in die imperialen Konkurrenzbeziehungen eingliedern lassen. Sie hat auch nicht zwischen imperialen oder imperialistischen Strategien zu wählen, sondern deren jeweilige militärische Logik offen zu legen und beide zurückzuweisen. Klar scheint, dass das allein weder von den dominanten Kräften der kritischen globalen Bewegungen noch vom Pazifismus zu erwarten ist. Ein wichtiger Aspekt der Demonstrationen gegen den Krieg am 15. Februar 2003 wie der metropolitanen Blockadeaktionen bis jetzt war, dass sie für die soziale Opposition eine Möglichkeit andeuteten, die Orientierung auf den nationalen Staat hinter sich zu lassen. Die autoritären Muster der imperialen Kriegsordnung dienen dem Zweck, das Leben der Bevölkerungen, der Multitudes vollständig zu durchdringen und zu formieren. Für den Widerstand dagegen bleibt von entscheidendem Interesse, wie man die sich konstituierende Weltordnung als kapitalistische Herrschaftsordnung angreift. Mit anderen Worten, man muss also durchs Empire hindurch, um eine Orientierung auf eine nicht mehr nur internationale, sondern vielmehr transnationale Perspektive der Befreiung zu finden.