Bildung ist nicht mal Ware

Bildung für den Kapitalismus wäre immerhin noch ein Fortschritt im Vergleich zum heutigen System der Bildungsverhinderung. von ivo bozic
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Die Schule als Zurichtungsanstalt für die kapitalistische Verwertung der Ware Mensch. So sehen Kritiker unser Schulsystem gerne. Aber wenn es das nur wäre! Wenn wir statt wichtiger Dinge, wie Philosophie, Literatur, Gesellschaftskunde, Geschichte und Sprachen, wirklich wichtige, wie Betriebswirtschaft, EDV-Fähigkeiten und Bewerbungstraining, vermittelt bekämen. Das wäre zwar gegen jeden linken und emanzipativen Anspruch von Bildung, aber es wäre zumindest brauchbare Bildung. Stattdessen lernen wir in der Schule lauter Unsinn! Das ist noch schlimmer!

Neulich fand ich beim Aufräumen eine alte Biologie-Klausur aus der 11. Klasse, mit der Note 4 minus bewertet. Fast wäre ich wegen Bio sitzen geblieben. Ich habe noch einmal nachgelesen, was ich damals immerhin vorübergehend wusste und wovon ich heute kein einziges Wort mehr verstehe. Ich konnte immerhin Zellorganellen als Mitochondrien, Vakuolen, Lysoplasmen, Ribosomen, Mikrotubili usw. klassifizieren und die Enzymhemmung in kompetetive und allosterische Hemmung einteilen. Ich las völlig nebulöse Sätze aus meiner Feder: »Bei der Spektralfarbe mit der kürzesten Wellenlänge (violett mit 400 nm) ist die Photosynthese bei der Grünalge Chlorelle pyrenoidosa bereits sehr wirksam.« Mit diesem Wissen kann man Professor der Biologie werden, und bei Günther Jauch reicht das dicke zum Millionär. In meiner Bio-Klausur reichte es nicht einmal zu einem Ausreichend. Und ich war an einem humanistischen und nicht an einem naturwissenschaftlichen Gymnasium.

Wir lasen auch Hamlet auf Englisch. Als wir zum ersten Mal nach Großbritannien fuhren, standen wir wie die letzten Idioten an der Imbissbude und konnten nicht einmal eine Bockwurst bestellen. Ich weiß bis heute die Glaziale Serie auswendig und kann die Erdgezeiten der Reihe nach herunterbeten, ebenso wie all jene Kurvendiskussionen, die mir fast das Genick gebrochen hätten.

Ist solches Wissen tatsächlich im Interesse des Kapitals? Nein. Denn es geht in der Schule gar nicht um die Vermittlung von Wissen! Wenn es darum ginge, dann würde man uns ja wohl in neun Jahren bessere Englischkenntnisse vermitteln können als bei einem guten vierwöchigen Manager-Intensivkurs. Kann man aber offenbar nicht. Ja, nicht mal lesen und schreiben können viele Leute nach der Schule richtig. Aber Pantoffeltierchen erklären! Also worum geht es dann?

Lehrer behaupten gerne, es ginge gar nicht um die Inhalte, sondern darum zu lernen, wie man lernt. Aber auch das stimmt nicht. Das Gegenteil ist der Fall! Man lernt, wie man nicht lernt! Wie man ein Buch bespricht, das man nicht gelesen hat, wie man im Bus noch schnell die Hausaufgaben abschreibt, wie man spickt, trickst und mogelt. Das ist auch wichtig, sicher, jedoch nicht im Sinne der Veranstalter.

Nein, nein, es geht nicht darum, Lerntechniken zu erwerben. Es geht einzig und allein darum auszusieben. Es können eben nicht alle Abitur machen, es können nicht alle studieren. Es geht darum, uns den Weg zu höherer Bildung so schwer wie möglich zu machen. Ziel der Schule ist es, genügend Schülern eine bessere Bildung vorzuenthalten. Es geht um die Eintrittskarten zur Gesellschaft, die am Ende verteilt werden. Und da hat man für uns nun mal verschiedene Ränge vorgesehen.

Das ist kein Fehler des Bildungssystems, der durch Pisa und andere Studien erkannt und nunmehr repariert werden könnte, nein, das ist das Prinzip unseres Bildungssystems. Das ist es, worum es den Betreibern geht.

Den Arbeitnehmer, den die Industrie braucht, den motivierten 30jährigen kreativen, eloquenten Computerexperten mit 20jähriger Berufserfahrung, kann man ohnehin nicht an der Schule züchten. Da wäre eine Ausrichtung der Bildung auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes, also auf die Bedingungen des Kapitalismus, fast ein Fortschritt. Wenn man lernte, wie man sich bewirbt, aber auch wie man streikt, wie man eine Steuererklärung ausfüllt und wie die Riester-Rente funktioniert, das wäre zumindest nützlich. Oder auch Häkeln und Stricken, um später als Arbeitsloser die Zeit totschlagen zu können.