Nur diese Experimente

Common und Roots machen anderen HipHop, und er klingt verdammt gut. von tobias rapp

Eigentlich erzählt sich die Geschichte dieser beiden Platten wie von selbst, und sie hört sich ein wenig so an wie die des kleinen Dorfes in Gallien, das seit vielen Jahren Widerstand gegen das übermächtige Imperium leistet. Da gibt es ein kleines HipHop-Kollektiv in Philadelphia, das sich seit Jahr und Tag von nichts und niemandem korrumpieren lässt, nicht nur Platten herausbringt, sondern auch für andere Künstler produziert, und außerdem, wann immer es der Zeitplan erlaubt, auf Tour geht. Mit diesen Touren hat es etwas Besonderes auf sich, denn die Roots, um die es hier schließlich geht, sind eine der wenigen, wenn nicht die einzige vollgültige HipHop-Band. Es lohnt sich wirklich, zu ihren Konzerten zu gehen, weil sie eine großartige Show spielen und nicht nur schreiend auf der Bühne herumkaspern wie die anderen Rapper.

Nicht zuletzt wegen des Rufs, eine großartige Live-Band mit richtigen Instrumenten zu sein, aber auch weil sie sich regelmäßig über die kommerziellen Auswüchse des HipHop lustig machen und weil sie außerdem eine der wenigen Gruppen sind, die Erfolg nicht über Verkaufszahlen definieren, wird ihnen rund um den Globus heiße und innige Liebe von allen HipHop-Heads entgegengebracht, die das Abitur anstreben.

Ganz Ähnliches gilt für Common. Spätestens seit seinem Album »Like Water For Chocolate«, das vor zwei Jahren erschien und bei dessen Produktion auch das eine oder andere Mitglied der Roots seine Finger im Spiel hatte, gilt er ebenfalls als einer der Protagonisten im HipHop, der sich von niemandem vorschreiben lässt, wie seine Musik zu klingen hat. Außerdem ist er das, was man in Europa wohl einen Linken nennen würde, und fährt z.B. nach Kuba, um sich dort mit der Black-Panther-Exilantin Assata Shakur zu treffen.

Jetzt haben sowohl die Roots mit »Phrenology« als auch Common mit »Electric Circus« neue Alben vorgelegt, und die amerikanische und europäische Kritik jubelt. »The weirdest HipHop-Album in recent memory«, schreibt der britische new musical express über »Electric Circus«, und in der Neuen Zürcher Zeitung heißt es unter der Überschrift »Keine Angst vor Experimenten«: »Common und The Roots stehen für intelligenten Rap und Klänge zwischen Jazz, Rock und Elektronik.«

Nun ist »experimentell« eine Kategorie, die an Bescheuertheit kaum zu überbieten ist und die sich nur Leute einfallen lassen können, die wahrscheinlich auch »mit Drogen experimentieren« sagen und nicht »kiffen« oder »koksen«. Doch so bescheuert diese Kategorie auch ist und obwohl sie zu nichts anderem dient als dazu, einen guten, künstlerisch wertvollen Pop gegen den wertlosen Schrott, der die Charts regiert, in Stellung zu bringen: Leider Gottes stimmt sie. Zumindest »Electric Circus« ist eine experimentelle, intelligente und außerdem noch großartige Schallplatte.

In dem Videoclip zu Erykah Badus aktueller Single »The Love Of My Life (An Ode To HipHop)« sitzt Common auf den Stufen einer Treppe, und während Badu an ihm vorbeirennt, rappt er die klassischen Old-School-Zeilen in die Kamera: »A freak-freak, y’all, and you don’t stop / To the beat y’all and you don’t stop.« Die Geschichte, die Badus Stück erzählt, ist einfach. HipHop ist die Liebe von Badus Leben, und ähnlich wie man im Leben von Situation zu Situation schlittert, trifft Erykah Badu im Video etwa auf die Rapperin MC Lyte, die in einem Korridor freestylt, stolpert ins Public-Enemy-Hauptquartier, wo über eine Weltkarte gebeugt, revolutionäre Pläne geschmiedet werden, und am Schluss setzt sie sich in einen Schulbus, der von DJ Kool Herc gefahren wird, einem der Pioniere des HipHop. Vorher sprüht sie noch die Worte »I Used To Love H.E.R.« auf die Mattscheibe.

Wegen der funky Melancholie funktioniert das auch dann, wenn man nicht weiß, dass Erykah Badu und Common schon seit geraumer Zeit zusammenleben und dass »The Love Of My Life« das Thema von »I Used To Love H.E.R.« wieder aufnimmt. »I Used« ist ein vor neun Jahren erschienenes Stück von Common, in dem er die Geschichte seiner Liebe zu dem Mädchen erzählt, das er auf dem Schulhof traf und das sich über die Jahre verändert, sich mit den falschen Leuten einlässt, an dem er aber trotzdem noch immer hängt und über das es am Ende heißt: »Who I’m talkin about y’all is HipHop.«

Wenn HipHop tatsächlich in der Krise sein sollte (und es gibt im Augenblick eine ganze Reihe von Stücken, die zumindest andeuten, dass es ihm schon einmal besser ging), so dürfte mit »Electric Circus« tatsächlich seine Wiederauferstehung möglich sein; als HipHop, der eigentlich gar kein HipHop mehr ist, sondern sich nach allen Seiten öffnet, oder wie Common in dem Stück »I Got A Right Ta« sagt: »HipHop is changin, y’all want me to stay the same?« Diesen Satz könnte man auch umkehren, Common hat sich verändert, wird HipHop derselbe bleiben?

86 Menschen hat Common aufgeboten, um sein Werk in einen soliden Rahmen zu stellen. Deren Porträts sind ähnlich wie bei »Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band« aufs Cover collagiert. Das können Künstler sein, die auch auf der Platte auftreten, wie Prince oder Pharrell Williams von den Neptunes, es findet sich aber auch ein Bild von Commons Vater und eins seiner Katze.

Es sind vor allem zwei Stücke, die »Electric Circus« zu einer außergewöhnlichen Platte machen. Da ist zunächst »Jimi Was A Rockstar«, ein Tribut an Jimi Hendrix, der sich anhört wie eine Geisterbeschwörung, als würde Hendrix’ »Voodoo Chile (Slight Return)« durch einen Zeittunnel in die Gegenwart gezogen, inklusive all der Irrungen und Wirrungen, die eine solche Reise mit sich bringt. Zu sagen, Common öffne den HipHop für andere Genres, trifft eigentlich nicht den Punkt. Wenn er den »magic place that he could touch in the sky / just to get his people high« beschwört, holt er Hendrix nur zurück ins Reich des schwarzen Pop.

Und wenn die Geburtsstätte des schwarzen Pop die Kirche war, dann kehrt Common mit »Heaven Somewhere« auch dorthin zurück. »Heaven Somewhere« ist so etwas wie ein HipHop-Gospel-Stück, eine sieben Minuten lange Predigt über die Worte »no one knows the hour, nor do they know the day, but the kingdom is near« (Matthäus 24), fantastisch produziert vom Roots-Schlagzeuger ?uestlove und gesungen von Common, Erykah Badu, Mary J. Blige, dem Rapper Cee-Lo, den Soulsängern Omar und Bilal und Commons Vater.

»Phrenology« ist nach einer obskuren Pseudowissenschaft aus dem 19. Jahrundert benannt, der Schädellehre, die glaubt, aus der Form des Kopfes und der Größe des Hirns Rückschlüsse auf den Charakter ziehen zu können. Was es damit auf sich hat, interessiert allerdings genauso wenig wie die Frage, warum es Louis Farrakhan, der Führer der Nation of Islam, in die Porträtgalerie der Common-Platte schaffte.

Musikalisch bewegt sich »Phrenology« in einem ähnlichen Feld wie »Electric Circus«. Die Tore zum Rock sind weit geöffnet, für eines der Stücke luden die Roots den Jazzfunknoiserock-Gitarristen James »Blood« Ulmer ein, ein anderer Gast ist der Low-Fi-Rocker Cody Chessnutt. Da gibt es einen Auftritt der Sängerin Nelly Furtado und einen von Jill Scott.

Trotzdem ist die Platte im Vergleich etwas langweilig. Ja, die Roots können spielen, ja, es ist vielleicht ihre beste Platte, aber das hieß es bisher noch bei jeder ihrer Platten, und das wird es wahrscheinlich auch weiterhin von jeder ihrer Platten heißen. Die Roots leben von einer gewissen Erwartung und davon, diese Erwartung nicht zu enttäuschen. Doch irgendwann mag man die Geschichten von gallischen Dörfern nicht mehr hören, davon, es anders zu machen als alle anderen, davon, dass Geld die Welt regiert und dass deswegen etwas nicht stimmt.

Common: »Electric Circus« (MCA)

The Roots: »Phrenology« (MCA)