Haut euch doch!

Demotourismus oder Arbeit an der Basis? Eine Diskussion über die künftige Strategie führt zu persönlichen Streitigkeiten in den Freien Kameradschaften. von stephan lindke und andreas speit

Wenn Nazis sich streiten, ist das immer ein Grund zur Freude. Bei den so genannten Freien Nationalisten findet gegenwärtig ein Disput statt, der über politische Fragen weit hinausgeht. Seit mehreren Wochen diskutieren die militanten Neonazis der Freien Kameradschaften über ihre Strategie. Demotourismus oder Basisarbeit, lautet die Frage.

Schon Ende des vergangenen Jahres stellten die norddeutschen Kader Thomas Wulff und Tobias Thiessen und das von ihnen geleitete Aktionsbüro Norddeutschland die Frage nach Kaderpolitik und Bündnissen. Vor allem die Befürwortung des »Demotourismus« des Hamburger Nazianführers Christian Worch und seine Bewertung der NPD als »feindliche Organisation« wurden kritisiert. Doch was vom Aktionsbüro auf den Internetseiten widerstand.com und stoertebeker.net angesprochen wurde, führt mittlerweile zu persönlichen Angriffen in der Naziszene.

»Viele Kameraden kennen die Bahnhofsplätze und Innenstädte ungezählter Städte – aber wo bei ihnen um die Ecke die örtliche Antifa-Location ist, davon haben sie keinen Schimmer«, klagen Wulff und Thiessen in ihrem Diskussionspapier. Von »wenigen wichtigen Themen (1. Mai, Hess-Märsche in Wunsiedel, Demos gegen die Antiwehrmachtsausstellung) abgesehen«, seien die Demos »ein sinnloser Kräfteverschleiß«. Denn die Aufmärsche hätten »überhaupt keinen Zulauf neuer Mitstreiter« gebracht, und wenn »dann doch mal neue Menschen« dazugestoßen seien, habe »ein Konzept gefehlt, die Neugewonnenen zu integrieren«. Auch fehle »die inhaltliche Vor- und Nachbereitung«. Dies sei »kein Agieren«, sondern »nur einfallsloses Reagieren«. Unter den »verantwortungsbewussten Führungskameraden« habe sich die Einsicht durchgesetzt, dass »ein Übermaß an Demonstrationen ein sinnloser Kräfteverschleiß« sei.

Ohne dass sein Name fiel, wurde klar, dass es sich hier um Kritik an Worch handelte. Der Unerwähnte rechtfertigte sich auch sogleich. Allein im Jahr 2002 habe er »34 Demos« organisiert, »eine Fahrstrecke von 27 190 Kilometer« hinter sich gebracht und »11 040 Teilnehmer« mobilisiert. Eine »Demo-Müdigkeit« könne er nicht erkennen. Stattdessen kritisierte er, dass »die Autoren selten an Demonstrationen« teilnähmen.

»Man kann trefflich darüber streiten, welche politischen Aktivitäten am wirksamsten sind«, schreibt Worch. »Natürlich sind auch Kampagnen (…) wirksam, Internetarbeit, interne Versammlungen, die nicht alleine der Geselligkeit dienen, sondern auch der Schulung und der Festigung kameradschaftlicher Bande.« Aber »auf Jahre hinaus« halte er »Demonstrationen für die wirksamste Waffe gegen Repression und fehlerhafte Politik«.

Dem widersprechen Wulff und Thiessen nicht völlig, sie fordern jedoch »Demokultur statt Demotourismus«. Und sie verweisen auf die linken Bambule-Demonstrationen in Hamburg: »Die ganze Stadt wurde wochenlang in Atem gehalten, es wurde überall diskutiert und thematisiert, die Medienschlagzeilen rissen nicht ab.«

Aber nicht nur Worchs Strategie wird in Frage gestellt. Die so genannte Recherchegruppe Mitteldeutschland spricht ihm auf der Internetseite die-kommenden.net die moralische Integrität in der Frage der NPD und der V-Männer ab. Man zeigt sich entsetzt, weil er von der angeblichen Zusammenarbeit des Neonazis Hartmut Wostupatsch aus Würzburg mit dem Verfassungsschutz gewusst habe, und will »auf Distanz zu dem falschen Propheten gehen«.

Ohne sich auf die Vorwürfe einzulassen, schimpft Worch darüber, dass niemand die Verantwortung für den »hetzerischen Text« übernommen habe. Als Mitschuldigen macht er den Webmaster der Internetseite aus, Casjen Bayen. Nach Worchs Polemik habe Thiessen einen »Ehrenkodex« der Initiative gegen Schwätzer und Selbstdarsteller verbreitet. Darin ist zu lesen: »Schützt Personen und Arbeitsstrukturen im nationalen Widerstand durch Anonymisierung! Meidet jeden, der sich dieser Selbstverständlichkeit widersetzt!« Und weiter heißt es: »Wir liefern Staat und Antifa den Strick, an dem sie uns aufhängen können.«

»Ich habe nichts gegen die Anonymität von Angehörigen des nationalen Lagers, solange ihre Aktivitäten sich nach außen richten«, rechtfertigt sich Worch. »Aber wenn sie sie missbrauchen, um Menschen aus den eigenen politischen Zusammenhängen anzugreifen, wenn sie andere herabsetzen wollen, (…) weil sie mit echten Leistungen nicht konkurrieren können, dann haben sie (…) kein Recht auf Anonymität.« Fast könnten einem die Tränen kommen.

Schließlich behauptet Worch, dass Thiessen schon einmal bei der Polizei ausgesagt habe. Außerdem habe es Thiessen als Redakteur der Schrift Zentralorgan zu verantworten, dass die Polizei bei einer Hausdurchsuchung eine »Liste der Mehrfachbezieher« gefunden habe und daraufhin auch die »Wiederverkäufer gerazzt« worden seien.

Dieser sich verschärfende Streit in der Szene führt zu Spaltungen und Solidarisierungen. Den »Ehrenkodex« Thiessens haben bisher das Aktionsbüro Süddeutschland, der Widerstand West, das Nationale Infotelefon Rheinland, unorganisierte Nazis aus dem Hochsauerlandkreis und aus Halle-Merseburg unterzeichnet. Worch unterstützen dagegen die Betreiber des Nazizentrums »Club 88« in Neumünster, der verbotene Hamburger Sturm, die Wählergemeinschaft Nationaler Sozialisten für Lübeck sowie die Kader der Kameradschaften in Kiel, Flensburg und Neuruppin.

Sie alle kamen zu dem von Worch angemeldeten Naziaufmarsch in Uetersen bei Hamburg am 18. Januar. Als Redner hatte er neben Wostupatsch auch den Anführer der Kameradschaft Northeim, Thorsten Heise, gewinnen können. Wie lange Worch sich deshalb auf der Autobahn quälen musste, ist nicht bekannt.