Die Türkei nach der Wahl

Keine Hektik

Die Türkei ist ein europäisches Land. In einem Europa, in dem Jean-Marie Le Pen oder Jörg Haider Wahlerfolge feiern, in dem die katholische Kirche in Italien oder die orthodoxe in Griechenland zu den einflussreichsten gesellschaftlichen Kräften zählen, der Sieg der postislamistischen AKP kann nichts Ungewöhnliches sein.

Auch wenn das Wörtchen »europäisch« gerne als Synonym für allerlei Aufgeklärtes verwendet wird, ist es, seiner ideologischen Verbrämung entkleidet, entweder ein Kurzwort für einen politischen, wirtschaftlichen und demnächst militärischen Staatenbund oder schlicht eine geografische Bezeichnung. Und dieses Europa wählt mehrheitlich rechts, so wie eben die Türken und übrigens auch viele Kurden.

Die AKP steht rechts von der Mitte. Von der deutschen C-Partei, mit denen viele Kommentatoren die Partei Recep Tayyip Erdogans voreilig vergleichen, ist sie weit entfernt. Selbst wenn ihr das Kunststück gelänge, so etwas wie einen »demokratischen politischen Islam« zu kreieren, dürfte die von manchen Beobachtern erhoffte Wirkung auf andere islamische Länder bescheiden ausfallen. Zu sehr unterschied sich das Land in den letzten 80 Jahren von der übrigen islamischen Welt, als dass die Saudis oder die Ägypter sich ausgerechnet die Türken zum Vorbild nehmen könnten.

Außerdem ist die Partei noch nicht so weit. Zwar hat die junge, von Erdogan geführte Generation der islamistischen Bewegung ihre Lektion gelernt, als Mitte der neunziger Jahre der erste islamistische Ministerpräsident des Landes von den laizistischen Militärs aus dem Amt gedrängt wurde. Erdogan bekam vier Monate lang im Knast von Kayseri einen Nachhilfeunterricht. Heute gibt er sich moderat und will nichts mehr davon wissen, dass er noch vor wenigen Jahren als Oberbürgermeister von Istanbul den Alkoholausschank verbieten wollte.

Nicht er nur selbst, sondern fast sein gesamtes Personal kommt aus den Reihen der alten Milli Görüs. Dass sie tatsächlich geläutert sind, müssen sie erst noch beweisen. Dabei dürfen sie sich auf ungebetene Hilfe verlassen. Die Streitkräfte werden die Republik gegen »jegliche Art von Bedrohung, insbesondere gegen Fundamentalismus« beschützen, erklärte der Generalstabschef Hilmi Özkök.

Und die Konflikte sind programmiert. Denn die AKP ist dazu verpflichtet, ihre Anhänger nicht nur dem traditionellen Klientelismus entsprechend mit öffentlichen Ämtern und Aufträgen zu bedienen, sondern auch, zumindest an wichtigen symbolischen Punkten, politische Erfolge vorzuzeigen. Im Innern dürfte der Kopftuchstreit früher oder später aufflammen, die außenpolitischen Konflikte könnten schon sehr viel früher aufbrechen.

Nicht in der Frage der EU, schließlich befürworten die Islamisten nicht zuletzt deshalb eine Anbindung an Europa, weil sie sich davon eine Schwächung der Generäle versprechen. Wohl aber in der Frage eines möglichen Irakkrieges. Denn während die Armee unter bestimmten Bedingungen einem Krieg zustimmen dürfte, hätte die AKP große Probleme, die Nutzung türkischer Flugplätze durch die USA ihrer Klientel zu erklären. Für Probleme sorgen dürfte auch das strategische Bündnis der Türkei mit Israel

Andererseits, ein Grund zur Panik besteht nicht. Verunsicherten säkularen Türkinnen empfahl ein Kommentator der linkskemalistischen Tageszeitung Cumhuriyet, ihre Röcke etwas zu kürzen und abzuwarten. Außerdem empfiehlt es sich, eine Flasche Raki zu öffnen. Man muss ja nicht gleich auf die Generäle anstoßen.