USA vs. Irak

Die Geschichte ist keine Hühnerleiter

Ein Krieg gegen den Irak ist für die Linke mit geschichtsphilosophischen Argumenten nicht zu rechtfertigen.

Wenn ein relevanter Teil der Linken heutzutage seine Position zum drohenden Golfkrieg markieren will, versichert er sich zuerst, was er nicht sein will: antiamerikanisch, deutschtümelnd-pazifistisch und antiimperialistisch. Diese Linken folgen lediglich dem Bedürfnis, sich von den Parolen des traditionellen Antiimperialismus, der sich vor allem gegen die USA richtet, abzusetzen. Denn diese Parolen erscheinen als hohl, der Pseudo-Materialismus, der nach Pipelines und Bodenschätzen sucht, wird dem Spott ausgesetzt.

Doch was bleibt jenseits der Abgrenzung von solchen Phrasen? Nicht viel. Die Linke ist zu einem Tummelfeld obskurer Meinungen verkommen, in dem selbst eine antideutsche Politsekte »Militärschläge gegen islamische Zentren« fordern kann. Üblich ist es aber auch, dass diese Positionen zunächst vehement zurückgewiesen werden, um sie anschließend in abgeschwächter Form zu übernehmen.

Einige Autoren entwickeln in diesem Zusammenhang eine sehr realpolitische Fragestellung. Ein Militärschlag der USA könnte die notwendige Voraussetzung für einen Volksaufstand schaffen, der Sturz Saddam Husseins neue Spielräume für die Opposition eröffnen. Außerdem habe die irakische Führung stets das Existenzrecht Israels abgelehnt, sodass auch aus diesem Grund ein Krieg der USA zu begrüßen sei. Und manche glauben gar, in der Person von Karl Marx einen Gewährsmann des militärischen Interventionismus entdeckt zu haben, wie etwa Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken (Jungle World, 02/38). Marx habe sich, so wird argumentiert, für die Durchsetzung bürgerlicher Verhältnisse gegenüber rückständigeren Gesellschaftsformen ausgesprochen und durchaus Kriege darauf überprüft, ob sie diese Möglichkeit bieten.

So weit, so schlecht. Der Hinweis auf die Gefahr für Israel gehört seit dem zweiten Golfkrieg zum moralischen Arsenal der Bellizisten, um die Linke auf einen Kriegskurs einzuschwören. Damals wurde ersichtlich, was auch heute gilt. Die Gefahr, dass Saddam Hussein mit einem Angriff auf Israel den Panarabismus mobilisieren will, steigt gerade mit einem Militärschlag der USA.

Meint es die radikale Linke mit ihrer Sorge um Israel ernst, müsste sie gerade deswegen einen möglichen Krieg ablehnen. Zudem ist es purer Wahnsinn, darauf zu hoffen, dass die USA demnächst sämtliche Regime in der Region beseitigen, die den Nahost-Konflikt für ihren Machterhalt ausnutzen und Israel bedrohen.

Angesichts der Tatsache, dass die emanzipatorischen Kräfte im arabischen Raum weitgehend paralysiert sind und sich der politische Islamismus radikalisiert hat, kann es nur einem unverantwortlichen Nihilismus entspringen, wenn linke Autoren nun hoffen, dass ein Krieg gegen den Irak die gesamte Region destabilisieren und die Verhältnisse zum Tanzen bringen könnte.

Die Erfahrungen zeigen, dass die USA keinerlei Interesse daran haben, die arabischen Massen zum Sturz ihrer jeweiligen Herrscher aufzurufen. So wurde Saddam Hussein am Ende des zweiten Golfkrieges freie Hand gelassen, die desertierten Soldaten abzuschlachten und den Volksaufstand im Norden des Irak niederzuschlagen. Damals zogen die Verantwortlichen in Washington eine Fortführung der Herrschaft Saddam Husseins einer unüberschaubaren und chaotischen Situation vor. Auch jetzt ist es denkbar, dass die USA doch noch auf eine Intervention verzichten, weil ihnen die Folgen zu unkalkulierbar erscheinen, und somit der Baath-Partei weiterhin die Herrschaft überlassen.

Sollten sich aber die Falken in der US-Regierung durchsetzen, müssten die USA nach einem Sturz des irakischen Diktators dafür Sorge tragen, dass die Region in ihrem Sinne stabil bleibt. Die Überlegungen, ein Protektorat einzurichten, sind in den führenden think tanks der US-Regierung schon lange kein Tabu mehr. Dabei sollte man nicht vergessen, dass diese Planspiele natürlich mit dem Widerstand der irakischen Bevölkerung konfrontiert wären, die sich durchaus ein Leben jenseits US-amerikanischer Kontrolle und ohne eine Rekolonisation der Ölfelder vorstellen kann. Dass dieser Widerstand eine Form annehmen kann, die mit linken oder emanzipatorischen Vorstellungen wenig bis nichts zu tun hat, steht auf einem anderen Blatt.

Ein von den USA geforderter Militärschlag wird jedenfalls nicht dafür sorgen, dass sich neue Klassenwidersprüche entwickeln oder die lokale Herrschaft in Frage gestellt wird. Vielmehr würde ein solcher Feldzug den von Islamisten wie von christlichen Fundamentalisten erwünschten Clash of Civilisations wahrscheinlicher machen.

Ein idealistisches Stufenmodell, demzufolge auf autokratische Regimes zunächst die bürgerliche Gesellschaft folgen müsse, die ihrerseits erst eine kommunistische Umwälzung ermögliche, hat mit der Realität nichts zu tun. Herrschen etwa in Afghanistan mittlerweile »bürgerliche« oder »zivile« Zustände? Eine materialistische Kritik der aktuellen Kriege hätte stattdessen vor allem auf die Verwobenheit der unterschiedlichen Herrschafts- und Ausbeutungsformen hinzuweisen.

Warum sollte sich auch ausgerechnet die radikale Linke für die Durchsetzung einer so genannten bürgerlichen Revolution einsetzen? Es scheint, als sei die Ideologie der Zivilgesellschaft nun sogar in der Linken angekommen. Diese Ideologie vermischt sich heute mit dem leninistischen Erbe einer Linken, die von den K-Gruppen der späten siebziger Jahre geprägt wurde.

In Russland stellte sich der Bolschewismus zunächst jakobinisch an die Stelle des Bürgertums, um eine nachholende Modernisierung einzuleiten. Immerhin gelang es den Leninisten, mit ihren Antikriegsparolen die revolutionären Arbeiter und Bauern hinter sich zu versammeln und gegen den sozialdemokratischen Chauvinismus aufzuwiegeln. Als sich der Bolschewismus aber der Kriegslogik beugte, verlor er gleichzeitig auch seinen sozialrevolutionären Gehalt. Er brauchte zu seiner eigenen Legitimation einen Marx, der die Arbeit verherrlichte, den Staat als Notwendigkeit ansah und schließlich die vergesellschaftenden Segnungen der Kriegsökonomie pries.

Eine linke Befürwortung des Krieges kann aber auch spontaneistisch begründet werden. Die Hoffnung auf die befreiende anarchische Wirkung des Krieges hatte schon manch einer. Der undogmatische Dada-Sozialist Franz Jung zog begeistert in den Ersten Weltkrieg und verkündete, dass der Krieg ohne Ziel und Tendenz die Menschen wieder aufbaue. Denn die Pazifisten, so Jung, forderten lediglich Freiheit und Brot, während die Bellizisten Brötchen und Kaviar verlangten.

Heutzutage verspricht der Krieg weder Kaviar noch Freiheit. Die linken Kriegsbefürworter werden sich also fragen lassen müssen, welchen materiellen oder immateriellen Mehrwert sie sich von ihrem Bellizismus erhoffen.

Die meisten heutigen Linksradikalen haben Marx als Kritiker der Arbeit und als Kritiker der Politik wieder entdeckt. Und in der Frage des Krieges? Marx bezeichnete in der Schrift »Der Bürgerkrieg in Frankreich« den »Krieg der Geknechteten gegen ihre Unterdrücker« prinzipiell als den »einzig rechtmäßigen Krieg in der Geschichte«.

Wenn Marx an anderen Stellen einen bestimmten Krieg der Herrschenden rechtfertigte oder ihm eine »List der Vernunft« unterstellte, dann war das vor allem seinen geschichtsphilosophischen Grundannahmen geschuldet, die selbst noch liberalistisch-evolutionistischen Vorstellungen verhaftet blieben.

Marx und Engels legten an diesem Punkt aber auch falsche Fährten, die den Klassenkampf ins Elend der offiziellen Arbeiterbewegung führten. Engels' Bekundung angesichts des Eroberungskrieges der USA gegen Mexiko, man solle das sterile Moralisieren beiseite lassen, wenn ein Krieg »im Interesse der Zivilisation« geführt werde, reicht nahe heran an den späteren Kolonialrassismus der offiziellen Arbeiterbewegung. So kritisierte Bakunin scharf Marx' pangermanische Hoffnungen auf einen Krieg Deutschlands und Frankreichs gegen Russland. Diese Hoffnungen mündeten schließlich in die Russenphobie der deutschen Sozialdemokratie.

Abgesehen von diesen historischen Irrtümern bleibt von Marx die Untersuchung der gesellschaftlichen Wirklichkeit und die Kritik ihrer Formen bestehen. Eine heutige Untersuchung der Form der neuen Kriege kommt auch zu dem Ergebnis, dass sich jeder Glaube an eine »List der Vernunft« verbietet. Die Perfektionierung des Luftkriegs durch B-52-Bomber und die heutigen »intelligenten Waffen« haben eine Trennung von hoch bezahlten Spezialisten des Tötens auf der einen Seite und ohnmächtigen Opfern auf der anderen hervorgebracht.

Die Bedingungen der Russischen Revolution, als die demoralisierten, hungernden und leidenden Soldaten auf beiden Seiten der Schützengräben desertierten und revoltierten, sind nicht mehr vorhanden. Und auch damals konnte aus einer vom Krieg deformierten Gesellschaft nur eine deformierte Revolution entstehen.

Nichts spricht heute für einen besseren Ausgang, im Gegenteil. Dass sich Teile der »radikalen Linken« von den neuen Kriegen eine Emanzipation versprechen, zeigt, dass sie dem »Vulgärbewusstsein der Epoche« verhaftet sind, in dem »Nihilismus und Bombe wirklich Eines sind« (Günther Anders).