Der neue Spilberg ist da

Die Zukunft des Mordens

In Steven Spielbergs neuem Film »Minority Report« gilt das Verbrechen als abgeschafft. Doch bis zum Happy End ist es ein langer Weg.

Washington D.C. im Jahr 2054. Das Verbrechen wurde abgeschafft, Morde gibt es nicht mehr, die schöne neue Welt existiert. Damit das Leben auch in Zukunft so friedlich bleibt, wird eine Eliteeinheit mit der Mordprävention beauftragt. Die Polizeieinheit Pre Crime arbeitet mit drei Pre Cogs genannten Mutanten zusammen, die in einer Art Nährlösung schwimmen und die Fähigkeit besitzen, in die Zukunft blicken zu können. Kaum haben die Pre Cogs einen potenziellen Täter gemeldet, greift die Einheit ein und verhindert die Tat. Alles läuft super, die Menschen fühlen sich sicher, und Pre Crime, das sich immer noch in einer auf Washington D.C. begrenzten Testphase befindet, hat beste Chancen, demnächst im ganzen Land zum Einsatz zu kommen.

Für den Erfolg von Pre Crime sorgt John Anderton (Tom Cruise), der erste Mann bei der Sicherheitspolizei, dessen Privatleben total zerrüttet ist. Er lebt allein, getrennt von seiner Frau, die er aber immer noch liebt, und ist zerfressen von Erinnerungen an seinen Sohn, den er unter mysteriösen Umständen verloren hat. Hin und wieder halluziniert er ihn sich mit Hilfe von Drogen herbei. Nur in seinem Job als Verbrechensbekämpfer geht Anderton voll auf, er glaubt an Pre Crime, ja, er ist irgendwie sogar Pre Crime, und er versteht es wie kein anderer, die teilweise wirren traumartigen Visionen der Pre Cogs zu einem schlüssigen Mord-Szenario zusammenzusetzen, das es eben zu verhindern gilt. Anderton scheint von einer Idee besessen zu sein: Wenn die Vergangenheit für ihn, den Einzelgänger, schon ein Schreckgespenst ist, soll die Zukunft der Menschheit wenigstens das Paradies sein.

Blöd nur, dass die Pre Cogs plötzlich einen Mord voraussehen und dass in einem Orakelritual sein eigener Name in eine der Kugeln eingraviert wird, die den Ermittlern der Vorab-Verbrechensbekämpfung entgegenrollen. Fortan wird aus dem Jäger der Gejagte, das System, das Anderton so entscheidend mitgeprägt hat, wendet sich gegen ihn, und er sieht sich in die absurde Lage versetzt, eine Tat abstreiten zu müssen, von der es nur Bilder gibt, eine Tat, die nie stattgefunden hat und an deren Wirklichkeit dennoch alle glauben.

Nach »A.I.« hat Steven Spielberg also wieder einen Science Fiction-Film gedreht. Mit »A.I.« wollte er Stanley Kubrick gerecht werden und ging gehörig baden. Einen Roboterjungen dabei zu beobachten, wie er um die Liebe seiner Pflegemutter buhlt und wie er selbst noch unter Wasser nicht müde wird, »Mami« vor sich hinzumurmeln - das war in Überlänge kaum zu ertragen.

Abgesehen von dem wirklich schlimmen Schluss - aber: Hey, das ist Hollywood! -, wo sich das gehetzte Opfer des totalen Überwachungsstaats plötzlich happyendig in der kuscheligsten Hütte auf dem Land zusammen mit seiner wiedergewonnenen und erneut schwangeren Frau wiederfindet, gelingt Spielberg dieses Mal ein Genre-Film, der seinem Sujet - die Macht der Bilder - auch formal gerecht wird. Dabei zuzusehen, wie sich Tom Cruise durch die trostlosen Großstadtschluchten schlängelt und dabei von allerlei Zukunftsschnickschnack penetriert wird, ist schon ein großer Spaß. Allein die tollen Autos, die einen bis vor die Haustüre und noch weiter bringen; dann die »intelligente« Wohnung, die auf akustische Befehle reagiert und ebenso die Werbeindustrie, die auf den individuellen Kunden zugeschnittene Claims produziert, ergeben ein lupenreines Zukunftsbrimborium, wie man es in einem Science-Fiction-Film sehen möchte.

Spielberg, der mit »Minority Report« die gleichnamige Kurzgeschichte von Philip K. Dick verfilmt hat, interessiert sich nicht nur für die Umsetzung der im Buch noch einigermaßen übersichtlichen Story, sondern beweist Sinn für futuristischen Klimbim und hat damit zugleich eine Hommage an K. Dick geschaffen. Das mögen all die Kritiker anders sehen, die auch nach »Minority Report« weiterhin der Meinung sind, die einzige jemals gelungene Verfilmung eines K. Dick-Stoffes sei »Blade Runner« von Ridley Scott. In dem Film steckt viel von der Paranoia Philip K. Dicks drin und viel von seinem Hang zum Esoterischen, den er im Alter entwickelte. Dafür typisch sind die Roboterspinnen, diese mobile Identifikationspolizei, die sich im Zweifelsfall gegen den Menschen richtet, oder das Grundszenario einer Welt, die völlig anders ist, als sie scheint, und nicht zuletzt die Mutanten, die Pre Cogs, die von den Menschen als göttliche Wesen betrachtet werden und bei denen nicht so recht klar wird, was sie eigentlich für Wesen sind.

Inwiefern »Minority Report« nun aber Spielbergs Abrechnung mit der amerikanischen Politik und dem immer realer werdenden Überwachungsstaat nach dem 11. September ist, das ist wieder eine andere Frage. Was hätte George Bush getan, wenn er die Bilder der in das WTC gecrashten Flugzeuge vorab gekannt hätte? Natürlich alles, damit diese Bilder nicht Realität werden, auch wenn das Verschwörungstheoretiker anders sehen mögen. Doch tatsächlich wurde Bush ja von CIA und FBI gewarnt, Szenarien wie die des 11. September waren durchaus denkbar, es gab also bereits eine Art von dunklem Pre-Cog-Geraune. In »Minority Report« jedoch scheitert Pre Crime. Spielberg macht deutlich, dass sich die Zukunft eben doch nicht detailgetreu voraussagen lässt, die Katastrophe kann nicht verhindert werden.

Doch nun wird ja auch Saddam von Pre-Crime-Officer Bush, der stärker denn je an ein Präventivsystem glaubt, als Mörder betrachtet, der demnächst wieder zuschlagen wird. Deswegen will er ihn für etwas bestrafen, was er noch gar nicht getan hat. Saddam ist damit John Anderton nicht unähnlich. Ist die Gegenwart also bereits weiter als die Science Fiction bei Steven Spielberg, der sich in persönlichen Äußerungen zur Politik des US-Präsidenten bekennt? Nicht ganz.

Um das scheinbar Unabwendbare doch zu verhindern, muss der Überwachungsstaat funktionieren, und hier ist »Minority Report« voll auf der Linie von George Bush. Von dem, was »Minority Report« an zukünftigen Überwachungstechniken auffährt, kann Bush noch einiges lernen. Spielberg scheint dennoch daran zu glauben, dass der good guy auch im totalen System zu seinem Recht kommt. Anderton, der König Ödipus ähnlich nicht nur eine self-fullfiling prophecy abzuwehren versucht, sondern sich auch noch die Augen herausreißen lassen muss, um überhaupt weiterleben zu können, versucht, sich Zutritt zum Pre-Crime-Office zu verschaffen. Dazu schleppt er seine alten Augen in einer Plastiktüte mit sich herum. Eines verliert er auch noch. Es kullert in einen Gully und verschwindet. Spielberg zeigt hier eindringlich die Monstrosität eines Überwachungsapparats, über den er sich gleichzeitig lustig macht.

Zwar spart er nicht mit seiner Kritik an der Zerstörung des Individuums, doch resultiert diese eher aus einem konservativen Gestus, sie ist kein Einspruch gegen den Überwachungsfanatismus seit dem 11. September, sondern hat eher etwas mit einem generellen Kulturpessimismus zu tun. So greift er in die Gen-Debatte ein, die Pre Cogs sind schließlich genmanipulierte Mutanten, denen das Recht auf einen eigenen Willen ausgetrieben wurde. Und natürlich könnte auch eine perfektionierte Werbeindustrie mit ihrer manipulierenden Macht zum Problem werden, zumindest zu einem größeren als Retina-Scans. »Minority Report« ist ein ziemlich reaktionärer Film, wenngleich man sich das Ganze auch noch schlimmer hätte vorstellen können. Doch Tom Cruise und die Action-Szenen sind echt gut.

»Minority Report«; USA 2002. R: Steven Spielberg. Start: 3.Oktober