Djuna Barnes' »Im Dunkeln gehen«

Wie gelebt wurde

Djuna Barnes' Briefe aus dem Amerika der dreißiger Jahre handeln von privaten und gesellschaftlichen Depressionen.

Lange war Djuna Barnes eine berühmte Unbekannte. Zwar erschien ihr Hauptwerk, der Roman »Nightwood« (»Nachtgewächs«), bereits 1936 und wurde in der sehr guten Übersetzung von Wolfgang Hildesheimer 1959 auch auf deutsch veröffentlicht. Dennoch wurde Djuna Barnes erst nach 1982, dem Jahr, in dem sie 90jährig ziemlich vereinsamt starb, zu einer literarischen Berühmtheit. Nicht unwesentlich dazu beigetragen hat der Verlag Klaus Wagenbach, der seit 1984 Barnes' großen Werken - dem satirischen Roman »Ryder«, dem Theaterstück »Antiphon« und eben »Nachtgewächs«, die auf deutsch allesamt bei Suhrkamp erschienen waren - die Übersetzungen der Erzählungen und der zahlreichen journalistischen Arbeiten hinzufügte.

Zudem veröffentlichte Wagenbach ihren »Ladies Almanack«, eine Parodie auf den Frauenzirkel um Natalie Barnes, als Autorin firmierte 1928 eine anonyme »Lady of Fashion«. Schließlich brachte Wagenbach auch eine Barnes-Biografie heraus.

Mitte der Achtziger wurde Djuna Barnes in Deutschland zu einer Ikone. Jede und jeder mit Literatur Vertraute kennt das berühmte Bild von ihr aus den zwanziger Jahren, man kennt ihren Namen und weiß, dass sie mit Gertrude Stein, André Gide, James Joyce, Coco Chanel, E.E. Cummings und Paul Valéry entweder bekannt, befreundet oder verfeindet war. Ebenfalls weiß man, dass sie in New York, London und Paris gelebt hat, dass sie Wien und Berlin bereiste, und Marokko und Budapest kannte. Auch ihre heftigen und traurigen Liebschaften mit verschiedenen Männern und ihre gescheiterte große Liebe zu der Bildhauerin Thelma Wood sind vielen ihrer Leserinnen und Leser besser bekannt als ihr Hauptwerk.

Djuna Barnes ist zu einer Ikone der Frauenbewegung geworden, weil man sie als weibliches Pendant »unseres« Oscar Wilde lesen konnte, sie war sehr früh eine selbstbewusste Frau, sie entstammte einem ekligen Elternhaus, sie war bisexuell, sie reiste viel, sie war schon in jungen Jahren ziemlich berühmt, sie bewegte sich souverän in Salons und mischte sich unter die berühmtesten Künstlerinnen und Künstler ihrer Zeit, sie litt, jedoch nicht öffentlich, sie verarbeitete ihre Schmerzen zu nicht autobiografischer Literatur, sie lebte zuletzt ein sehr abgeschiedenes Leben, verbrannte viele der persönlichen Schriftstücke und wurde so für viele vieles.

Vor allem aber gelang es dem Wagenbach-Verlag durch eine Stilisierung des Lebens der Autorin zum eigentlichen Ereignis, sie als »Exzentrikerin« zu vermarkten, als weiblichen Dandy. Exzentrik, gerade weibliche, war ein großes Thema in den Achtzigern und frühen Neunzigern, in denen das Jungbürgertum keine Geldsorgen kannte und Unterhaltung wollte und viele Verlage versuchten, ihre Autorinnen als Exzentrikerinnen und Dandys zu verkaufen, was etwa bei Kay Boyle oder Edith Sitwell ebenfalls gelang. Erst mit der Popliteratur hatten sich die »Exzentrikerinnen« erledigt.

Umso schöner ist es, dass der Wagenbach-Verlag an seiner Autorin festhält und nun das Buch »Im Dunkeln gehen. Briefe an Emily Coleman« veröffentlicht. Zwar findet man auf seinem Umschlag das berühmteste Foto der Barnes wieder, und Mary Lynn Broe, die die Auswahl der Briefe an die Schriftstellerkollegin besorgte, nennt Djuna Barnes wieder einmal »unergründlich«. Dieser Band jedoch, in dem »zum ersten Mal überhaupt«, so der Verlag, Briefe von Barnes veröffentlicht werden, belegt, dass sie etwas lebte, was man als klassische Künstlerinnenbiografie bezeichnen kann.

Die Briefe stammen aus den Jahren 1934 bis 1938. Amerika befand sich in der Depression und interessierte sich weniger für feingeistige Literatur als für die schockierenden Reportagen von James Agee oder für Kitsch. So musste sich Djuna Barnes von Freundinnen aushalten lassen, zudem war sie gezwungen, »nach Gold zu graben«. Das hieß, dass Frauen sich von potenziellen Ehemännern oder Liebhabern aushalten ließen. Barnes, die dergleichen hasste, reagierte ungezügelt auf den materiellen Zwang. Einem Mann sagte sie: »Ich will hundert Dollar, und zwar oft. Ich will Parfüm, und zwar jedes Wochenende. Notieren Sie sich die Sorten, die ich mag. Ich will Kaviar.«

Das war der öffentliche Auftritt. Die Briefe dagegen zeigen sie als eine einsame und von Zweifeln zermürbte Künstlerin, deren Existenzängste enorm sind, die mehrfach ihren Selbstmord androht und von »Sinnlosigkeitsattacken« befallen wird; hinzu kommen der starke Alkoholkonsum und mehrere Nervenzusammenbrüche. Ihre Liebesbeziehung zu dem Künstler Peter Neagoe ist chaotisch und wird von seiner Unentschlossenheit zerstört, ferner kann sie ihre große Liebe Thelma nicht vergessen, die Arbeit an »Nachtgewächs« stockt.

Als der Roman schließlich erscheint, bleibt der Erfolg aus. Sie muss ihre Wohnung in Paris auflösen und sich in London und New York mit Leuten treffen, deren Arbeit oder Charakter sie nicht schätzt. Ihr Schmerz ist ebenso groß wie ihre Häme gegenüber anderen. Norbert Wehr schrieb in der Frankfurter Rundschau fast bedauernd, dass man, sofern man die Barnes-Biografie gelesen hat, nichts Neues erfahre, die Eindringlichkeit dieser persönlichen Zeugnisse lasse die Leserinnen und Leser aber noch stärker an Barnes' Leben teilhaben.

Was Wehr vermisst, ist das Exaltierte, denn in Zeiten der Buchhandels- und Zeitungskrise wirken das Verruchte, der Rausch, die Sucht und die Verzweifelung von Künstlerinnen vergangener Tagen nicht mehr so exotisch, man kann dergleichen auch in der Kneipe um die Ecke betrachten. Einer solchen, mit Identifikation und Faszination rechnenden Leseerwartung, bleibt nichts anderes, als Mitleid zu empfinden.

Dabei bietet diese Ausgabe mit Briefen, deren Antwortschreiben von Coleman leider nicht mitgeliefert werden, vor allem einen Einblick in die Ästhetik der Autorin. Gegen Kritik wehrt sie sich: Sie sei kein weiblicher Proust, der mit dem »Kopf im Herzen« schreibe. »Ja, sicher ist ein Großteil meines Schreibens intuitiv, Erinnern von Zeit und Schmerz, aber du lieber Himmel, glaubst du wirklich, das Buch sei gedankenlos geschrieben worden? Dann irrst du, oder vielleicht sollte ich eher sagen, dass ich nicht genug Verstand besitze, um genau das zu leisten, was du dir wünschst und ersehnst. Wenn du jedoch (was du natürlich nicht tust) mit Verstand meinen solltest, ich hätte keine Handlung oder Struktur oder was immer du von einem Buch erwartest, dann hast du, zum Teufel, Recht. (...) Mag sein, dass andere damit arbeiten können, mir erscheint es völlig abwegig, eine Synopse der Kapitel und der Handlung und was dergleichen mehr ist zu erarbeiten und dann meine Gefühle dranzuhängen.« Das war Barnes' Auffassung von Realismus, und es ist ihr gelungen, mit diesem Konzept tatsächlich große Kunst abzuliefern.

Djuna Barnes: Im Dunkeln gehen. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2002, 206 S., 22,50 Euro