Die deutsche Kritik an den USA nimmt zu

Kalter Krieg

Droht jetzt ein Atomkrieg zwischen Europa und den USA? Um die Menschenrechte? Oder um den Multilateralismus? Keine Panik, die ABC-Schutzmasken bleiben im Schrank. Auch wenn sich der Konflikt zwischen den Partnern verschärft hat.

»Es scheint, als würde Washington jetzt eine Rolle übernehmen, wie sie Moskau während des Kalten Krieges hatte.« Dieser Satz des CDU-Politikers Elmar Brok zeigt, wie viel sich geändert hat seit dem 11. September 2001. Nachdem die US-Regierung die Verlängerung des Sfor-Einsatzes in Bosnien von der Immunität ihrer Soldaten vor einem internationalen Strafgerichtshof abhängig gemacht hatte, überschlug sich in Deutschland die Kritik.

Im Lärm der Vorwürfe ging es fast unter, dass die britische Regierung Anfang des Jahres mit der afghanischen Übergangsregierung auch eine Immunität vereinbart hatte. Angehörige der Isaf-Truppe dürfen »nicht ohne Zustimmung des Entsendestaates« an internationale Tribunale überstellt werden. (Jungle World, 27/02) Davon profitieren auch die in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrsoldaten. Die US-Regierung bezeichnete deshalb die Anschuldigungen aus Europa als »heuchlerisch«.

Freilich bietet die US-Regierung unter George W. Bush genug Anlass zur Kritik. Doch die Vehemenz, mit der sie in Deutschland vorgetragen wird, ist bezeichnend. So wurde in der vorigen Woche ein internes Papier aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) bekannt, in dem 20 Themen aufgelistet sein sollen, bei denen es einen Dissens zwischen den deutschen Vorstellungen und den US-amerikanischen gebe. Wie die Frankfurter Rundschau berichtete, rügt das BMZ nicht nur die Haltung der USA zum internationalen Strafgerichtshof oder in der Nahost-Politik, sondern auch zur Bildungs- und Menschenrechtspolitik und in der Frage der Kinderrechte. In der Familienpolitik wirft es den USA vor, eine »unheilige Allianz« mit »islamistischen und erzkatholischen Kreisen« einzugehen.

Der neue Mut der deutschen Politiker, sich gegen den »großen Bruder« zu stellen, ist nicht unabhängig von der so genannten Normalisierung zu sehen, die die Bundesrepublik seit 1990 verstärkt anstrebt und mit der die Folgen des Zweiten Weltkriegs überwunden werden sollen. Gerade in der Außenpolitik zeigen sich dabei Erfolge. Nachdem die Bundeswehr wieder dort kämpfen darf, wo einstmals die Wehrmacht mordete, nachdem man den Tschechen erklärt hat, warum die Vertreibung der Sudetendeutschen fast so schlimm war wie der Holocaust, und den Israelis, warum sie gerade auch von Deutschland wieder kritisiert werden müssen, kommt es nun zum Affront gegen die ehemaligen Befreier.

Es ist die »selbstbewusste Nation«, von der nicht nur die Neue Rechte in Deutschland seit Jahren träumt, die sich nun gegen die »unentbehrliche Nation«, wie die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright die USA nannte, wendet. Europa müsse hart bleiben, schreiben die deutschen Kommentatoren, weil sich die USA verrannt hätten. Man ist bereit, aufs Ganze zu gehen.

Von der »uneingeschränkten Solidarität«, wie sie Bundeskanzler Gerhard Schröder den USA im vorigen Jahr zusagte, ist nicht mehr die Rede. Von der »kritischen Solidarität«, wie es die Grünen nannten, auch nicht. In einer Runde im Bundeskanzleramt soll Bundesaußenminister Joseph Fischer »mächtig über den Verbündeten jenseits des Atlantiks« geschimpft haben, berichtete die Süddeutsche Zeitung.

Die Solidaritätsbekundungen nach dem 11. September waren vor allem interessegeleitet. Damals erhoffte man sich Vorteile von einer engen Bindung an die USA, heute verspricht man sich mehr von einer gemeinsamen Politik der EU, die von Deutschland und Frankreich dominiert würde. So verwandelte sich der Spruch, wir seien alle Amerikaner, auffallend schnell in das Bekenntnis: Wir sind alle gegen die Amerikaner.