Zur Bedeutung der Aufklärung

Begierde des Rettens

Die moderne Barbarei ist das Produkt einer an sich selbst zugrunde gehenden Aufklärung. Sie zu verteidigen, ist die Bedingung jeder Kritik und Emanzipation.

In jenen kaum mehr erinnerten Zeiten, da hiesige Werbespots noch bisweilen den Eindruck erweckten, als würde aus dem Führerhauptquartier übertragen, und eine schnarrende Stimme das Volk zur patriotischen Pflicht des Konsums ermahnte, gab es eine mit Blechbläserakkorden untermalte Werbung, in der eine Stimme im Tonfall der Heilsverkündung sprach: »Nürnberger Versicherung - Sicherheit im Zeichen der Burg«. Markige Sicherheitsversprechen kommen nach wie vor aus Nürnberg, mit dem Unterschied nur, dass die Nürnberger Versicherung jetzt Krisis heißt, für Sicherheit nicht mehr im Zeichen der Burg, sondern der »fundamentalen Wertkritik« wirbt, die Versicherungsbeträge statt in harter Währung in Gesinnung auszahlt und die Begleitmusik mit entsprechend schrillen Ergebnissen gleich selber übernimmt.

Was die Krisis für den fortschrittlich sich dünkenden Spießer an geistiger Rückversicherung bereithält, ist das wohlige Gruseln über eine rettungslos dem Untergang geweihte, wesenhaft negative Gesellschaft, das der linke Spießer sich in der Vergangenheit hauptsächlich bei der Lektüre von Foucault, Derrida und anderen Jüngern der Postmoderne verschafft hatte, die seiner Untergangsstimmung Ausdruck verliehen, indem sie nachwiesen, dass Aufklärung identisch sei mit Irrationalität, Vernunft gleichbedeutend mit Repression und Zivilisation deckungsgleich mit Barbarei.

Dank Krisis können sie ihren Defaitismus der Vernunft nun auch mit einer »Wertkritik« ausleben, die diesen Namen entschieden nicht verdient und die sich, je mehr sie sich ihren Adressaten gleichmacht, als marxistische Variante jener trüben, deutsch-alternativen Lebensphilosophie zu erkennen gibt, die schon immer die Subsumtion des konkreten, pulsierenden Lebens unter die Abstraktionen der Vernunft und des Geldes bejammerte.

Dass Aufklärung den Keim zu ihrer Selbstzerstörung stets schon in sich trägt, dass also weder die Nazis noch die Islamisten »vormoderne Relikte« sind, sondern originäre Produkte einer an sich selbst zugrunde gehenden Aufklärung; dass die moderne Barbarei, Opferkult und Vernichtungswahn einer vom Kapital gestifteten Zivilisation entspringen, die damit in ihr Gegenteil verkehrt und widerrufen wird, ist spätestens seit der »Dialektik der Aufklärung« bekannt. Nur haben diese Bestimmungen eine ebenso banale Voraussetzung: dass man das Vermittelte überhaupt unterscheidet, dass Aufklärung eben nicht schlechthin mit Irrationalität und Barbarei identisch ist, sondern darin umschlägt, in einem historischen Prozess.

Auf diesem einfachen Unterschied beharrt zu haben, ebendies belieben die Postmodernen, die Auf- und Abgeklärten aller Couleur, Adorno und Horkheimer als Borniertheit oder Mangel an Radikalität vorzuwerfen, während sie sich weiß Gott wie fortgeschritten und konsequent vorkommen, wenn sie zwischen Vernunft und Barbarei ein simples Gleichheitszeichen setzen. Das sind sie auch, aber im gänzlich negativen Sinne: als intellektuelle Kapitulanten, die vor dem Unheil die Waffen strecken, indem sie es als Weltenlauf routiniert klassifizieren und kommentieren.

Adorno und alle anderen Institutsmitglieder zeichnete dagegen aus, dass sie nie mit dem in der Aufklärung angelegten Unheil fraternisierten, sondern sich im Gegenteil zum Sachwalter des Untergehenden machten. Nicht weil sie die aufklärerischen Ideale verwirklichen oder als positive Grundlage materialistischer Kritik reetablieren wollten, sondern weil sie diese, negativ, als Bedingung der Möglichkeit jeglicher Kritik und Emanzipation begriffen.

Solche Mindestbedingungen wurden in Deutschland von den Aliierten und in Afghanistan vom US-Militär wiederhergestellt. In Israel existieren sie ohne Gefahr ihres Umschlagens in die Barbarei, wofür dieser Staat von allen anderen insgeheim oder offen gehasst und auch von der Krisis, die solche Mindestbedingungen, wie in ihrer neuen Nummer zu lesen ist, zur Disposition stellt, mit eiskalter Indifferenz bedacht wird. Es ist diese durchaus theoretischer wie praktischer Militanz zuneigende »Begierde des Rettens«, die die materialistische Kritik von der Gegenaufklärung unterscheidet, komme diese nun aus Paris, Nürnberg oder Kairo.