Jürgen Teipel weckt alte Punk-Geister

Feuilletongerechte No Future

Voll gesellschaftsfähig scheint Punk heute, betrachtet mit einem zeitlichen Abstand von 25 Jahren. Zumindest als Buchthema. Mit Verschwende Deine Jugend hat der Journalist Jürgen Teipel im renommierten Frankfurter Suhrkamp Verlag einen »Doku-Roman über deutschen Punk und New Wave« veröffentlicht. Und erntet dafür Beifall in den Feuilletons.

Bekannte und unbekannte Punks aus den Anfangstagen in Düsseldorf, Hamburg und Westberlin machte Teipel ausfindig und befragte sie. Ihre Aussagen fügte er zu einer Montage zusammen. »Erlebnisse aus dieser Zeit waren nicht mehr im Bewusstsein der Leute verankert. Die Geschichte der späten siebziger und frühen achtziger Jahre in Deutschland fehlt völlig. Die Leute von damals gelten als gescheitert. Meine ProtagonistInnen erzählen aber eine andere Geschichte.«

In Verschwende Deine Jugend gehe es um die »gesellschaftsverändernde Punk- und New-Wave-Revolution«, so der Autor. Er setzt das ausdrücklich in Gegensatz zu der von großen deutschen Plattenfirmen als Antwort auf Punk und New Wave zu Beginn der achtziger Jahre initiierten Neuen Deutschen Welle. Mit der NDW wurden Punk und New Wave schlagerförmig und mit Interpreten wie Nena oder Markus massenkompatibel. Sein Buch gebe die Geschichte der wahren achtziger Jahre wieder, erzählt Teipel der taz. »Damit ist Punk endgültig museumsreif«, konstatierte hingegen die inzwischen verblichene Die Woche.

Teipel, der als freier Journalist im bayerischen Regensburg zu Hause ist, kam wie viele seiner Befragten zufällig zu Punk und New Wave, veranstaltete in der bayerischen Provinz Konzerte und gab Anfang der Achtziger das Fanzine Marionett heraus. Damals träumte er davon, einen Roman zu schreiben. »Ich hatte eigentlich die Idee zu einer groß angelegten Geschichte, mit verschiedenen Charakteren, die ich in ihrer ganzen Tiefe ausloten wollte. Spannungsbögen, Handlungsebenen - alles sollte miteinander verzahnt sein, so wie bei Thomas Manns Familiensaga Buddenbrooks.«

Vorbilder. Statt der Buddenbrooks las Teipel englisch, Bücher wie Edie und Please Kill Me - The Uncensored Oral History of Punk, spannende Dokumente über die New Yorker Factory-Szene Ende der Sechziger und über die Entstehung des Punk am gleichen Ort einige Jahre später. Beide Veröffentlichungen folgen der Methode der Oral History, man zeichnete Interviews mit Beteiligten auf und gab sie auszugsweise wieder. Das sei eine unverkrampfte Art, Geschichten zu erzählen, so Teipel. Die offene Erzählform gebe den zur Sprache gebrachten Anekdoten den nötigen Drive.

Den Drive von Verschwende Deine Jugend sollen Interviews mit mehr als 70 AkteurInnen aus der Zeit Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre garantieren. Darunter sind so bekannte Leute wie Ben Becker, Blixa Bargeld und Campino, aber auch heute weitgehend vergessene wie Franz Bielmeier und Martina Weith.

Passagen aus den Interviews montierte Teipel zu einer polyphonen Erzählung und brachte sie in eine chronologische Abfolge. Am Ende des Buches stehen ein Personenregister und eine Zeittafel, in einer Linie finden sich die Ereignisse des Herbsts 1977 und die wichtigsten Eckdaten von Punk in Deutschland.

New York, Düsseldorf.In England und den USA verdankt sich die Entstehung des Punk bestimmten, an zentrale Orte gebundenen Milieus. Für New York (Please kill me) und London (England's Dreaming. Anarchie, Sex Pistols und Punk Rock) sind die Ereignisse bereits zitat- und faktenreich belegt. Man erfährt von den Beteiligten, dass sie J. G. Ballard oder Joris Karl Huysmans gelesen haben oder wie die Massenmedien mit ihnen umsprangen.

Teipel nahm den Titel für sein Buch von einem Song der Band Deutsch-Amerikanische Freundschaft (Daf). Bei ihm geht es nicht um die Erzählungen von Mitgliedern einer historischen Avantgarde, nicht um die theoretischen Grundlagen oder gesellschaftlichen Auswirkungen gut durchdachter antibürgerlicher ArtSchool-Aktionen, getragen von Pop-Tycoons und jugendlichen Lumpenbrigaden, sondern in erster Linie um die Erlebnisse von jungen MusikerInnen in Deutschland. »Für die linke Plattenindustrie war Punk faschistisch, für die Majors war es keine Musik. Es ist ja auch ein Kampf gewesen um die Freiheit der Produktionsmittel«, sagt Jürgen Teipel der taz.

In Deutschland war Punk von Anfang an keine reine Metropolen-Angelegenheit. Es gab keine ideologischen Gurus wie Malcolm McLaren. Niemand hatte im Umgang mit der Musikindustrie Erfahrung gesammelt. Die ersten Anzeichen von Punk nahmen die meisten deutschen Akteure in der Bravo oder im Spiegel wahr, oder durch den Kauf von Schallplatten, also aus zweiter Hand.

Spießer. Verschwende Deine Jugend reflektiert die verhärtete politische Stimmung in der Bundesrepublik Ende der siebziger Jahre, nach den Ereignissen von Mogadischu und Stammheim. Man kriegt einen Eindruck von dem, was es hieß, während der RAF-Hysterie jener Zeit jung und unzufrieden mit den Verhältnissen zu sein. Die ersten deutschen Punks waren Schüler, Lehrlinge, Studenten und Künstler. »Punkrock war ja gerade so interessant, weil es auf einmal keinen ideologischen Ballast mehr gab. Das Tolle war, dass man sich selber erfinden konnte«, resümiert der »erste deutsche Punk«, Jäki Eldorado. So wie er wollten die meisten sich weder mit den christ- und sozialdemokratischen Autoritäten des in den letzten Zügen liegenden Nachkriegsdeutschland abfinden, noch bei den spießigen und verkrusteten Linksradikalen landen. »Die hatten alles besetzt, was mit Protest zu tun hatte«, zitiert Teipel den Künstler und Musiker padeluun. Das große Feindbild für Punks waren die Hippies. Mit zur Schau gestellter Straightness wollte man deren Jämmerlichkeit und selbstgefälliges Getue angreifen.

»Punk war die erste Subkultur, die den Verstoß gegen political correctness in gewissen Grenzen tolerierte und sogar in manchen Kreisen zum guten Ton erhob«, resümiert eine Rezension in der FAZ. Die Anekdote eines Musikers, er sei in linke Buchläden gegangen und habe sich mit dem Hitler-Gruß verabschiedet, findet Eingang in die Rezension der Süddeutschen Zeitung. Man könnte in Verschwende Deine Jugend auch andere Haltungen und Aussagen finden: »Natürlich war ich gegen Nazis, das verstand sich ja von selber.« (Jäki Eldorado) Oder: »Ich bin angepöbelt worden, ich bin verprügelt worden. Leute haben mir hinterhergeschrien: 'Unter Hitler wärste vergast worden!'« (Bernward Malaka)

Anders als in England und in den USA, wo man auf eine längere, sich schnell und spielerisch ändernde Tradition der Popkultur zurückblicken konnte, gab es für Punk in Deutschland kaum Pop-Erklärungsmodelle und auch keine musikalischen Traditionen, gegen die man sich hätte wenden können. Selbst der Bruch mit den musikalisch für verabscheuungswürdig gehaltenen Vorläufern in Kraut- und Prog-Rockbands und mit den Hippie-Sozialarbeitern und -Lehrern wirkt irgendwie bemüht. »In Wirklichkeit waren wir weder Revolutionäre, noch Bohemiens. Wir waren Auszubildende. Irgendwo wohnten immer diese Eltern in ihren Einfamilienhäusern«, erklärt der Düsseldorfer Musiker Ralf Dörper. Die Radikalität sei im Grunde Bluff gewesen, um die erdrückende Kleinbürgeridylle abzuschütteln, glaubt die Frankfurter Rundschau.

Beton. »Und dann hat irgendeine Zeitung geschrieben, dass sich in England Teds und Punks prügeln.« Gewalt nimmt in Teipels Buch breiten Raum ein. Ben Becker berichtet von Verwüstungsaktionen in Berlin, es gibt zahlreiche Anekdoten über Schlägereien und Berichte von Konzertprügeleien. Doch die härtesten Prügler wurden später Heilpraktiker und Psychologen. »Punk nach Feierabend«, folgert Die Zeit.

Tatsächlich brachte Punk Farbe in den muffigen deutschen Alltag, stachelhaarige Jugendliche mit außerirdischen Klamotten konnten den gesellschaftlichen Mief - für eine Weile wenigstens - aus den Fußgängerzonen verbannen. Die ProtagonistInnen schafften das mit großer Selbstverständlichkeit und Geschwindigkeit und mit bescheidenen (Produktions-) Mitteln. Punkrock ermutigte viele, zu den Instrumenten zu greifen und einfach anzufangen. »Ich habe Technik schon immer geliebt«, sagt Beate Bartel. Viele Frauen gründeten Bands, und Mania D, Malaria oder Östro 430 gehörten zum Anti-Establishment in New Wave und Punk und brachten ihre Platten auf unabhängigen Labels heraus.

Fast alle Combos hatten deutsche Namen; doch bei Punk fand, anders als noch bei den Krautrockbands, auch in den Texten ein eigenwilliger und lockerer Umgang mit der deutschen Sprache statt. Syph oder Mittagspause texteten schon 1978 auf deutsch. Harry Rag, Sänger von Syph aus Solingen: »Uns ging es um eine klare, normale Sprache. Um uns herum war: Parkhaus, Atomkraftwerk, Hochspannungsmast. Und innerhalb dieser Umgebung der Mensch, in unserem Fall: Pubertätsprobleme.«

»Zurück zum Beton, zurück zum Beton, zurück zur U-Bahn, zurück zum Beton«, sangen Syph. Eine Revolte, wie sie Jon Savage in England's Dreaming beschreibt, blieb in Deutschland aus. Manche wollten ihre Jobs nicht kündigen oder doch lieber im Studium weiterkommen. Teipels Buch verzichtet weitgehend auf die Reflexion, die England's Dreaming auszeichnet. Statt die Medien zu kritisieren, wie Savage, wird die Definitionsmacht der Presse in Verschwende Deine Jugend nicht hinterfragt.

Die Reaktionen auf Verschwende Deine Jugend waren vielleicht auch darum recht einhellig: »Ein herrliches Auskunftsbüro« (Zeit), »ein stolzes Buch« (Süddeutsche Zeitung) oder »eine Art Punk-Familienroman« (FAZ). Nach der Lektüre von Verschwende Deine Jugend bräuchte ihr kein Punk mehr mit »Haste-ma-ne-Maak« zu kommen, befand die Rezensentin im Modemagazin Tussi Deluxe.

Jürgen Teipel, Verschwende Deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave. Suhrkamp Verlag: Frankfurt a. M., 2001. 375 Seiten, 12, 50 Euro

Jürgen Teipel geht mit Verschwende Deine Jugend auf Lesereise. Außerdem erscheint bei Universal eine von Moritz R (Der Plan) zusammengestellte CD mit Hörbeispielen.

Termine: 24.4. Nürnberg, Desi; 25.4. München, Club 2; 26.4. CH-Zürich, Sphères; 27.4. Freiburg, Jos Fritz Cafe; 28.4. Heidelberg, Karlstorbahnhof; 30.4. Frankfurt, U 60311; 1.5. Mainz, Caveau; 2.5. Köln, Theaterhaus; 3.5. Düsseldorf, Cinema; 4.5. Göttingen, Literarischer Salon; 5.5. Münster, Odeon; 6.5. Essen, KKC; 7.5. Hamburg, Hafenklang; 8.5. Berlin, Volksbühne, Roter Salon; 9.5. Hannover, Indiego Glocksee